Werbung

Organe im Widerstand

Resilienz heißt das neue Zauberwort gegen Krankheiten. Es soll den Menschen immun machen

  • Henriette Palm
  • Lesedauer: 5 Min.

Was ist Resilienz schon wieder für ein neues Wort, werden manche Leser fragen. Keine Sorge. Vielleicht gehören sie ja zu den Glücklichen, die resilient, sprich: widerstandsfähig, sind und deshalb noch nie bei Google unter 167 000 dazu existierenden Einträgen recherchiert, keines der zahlreichen Bücher gekauft und keines der oft nicht ganz billigen Trainings gebucht haben. Solche Trainingsangebote nehmen inflationär zu - für Beschäftigte in der Wirtschaft, für das Militär, für Schüler. Schnelltests gibt es bereits für wenig Geld, Manager müssen für ein professionelles Resilienztraining aber auch schon mal über 1000 Euro hinlegen. Geworben wird dafür mit Slogans wie: »Resilienz - Ihr persönlicher Schutzschild gegen Stress und Burn-out« und mit ähnlichen Verheißungen.

Zufall oder woher kommt dieser Hype? Als Psychologen und Pädagogen vor vielen Jahren begannen, über Resilienz nachzudenken, ging es ihnen um die Stärkung der gesunden seelischen Kräfte des Menschen; Psychoanalytiker würden von ICH-Stärke sprechen. Mit einem auf die Reifung der Persönlichkeit und die Stärkung ihrer Widerstandskraft orientierten Resilienz-Konzept arbeiten heute zahlreiche Psychologen, Psychotherapeuten und speziell ausgebildete Pädagogen. Es gibt aber auch viele Trainingsangebote aus anderen Berufsgruppen wie denen der Heilpraktiker oder Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler sowie von Menschen mit dubiosen Titeln - vom Burn-out-Berater bis zur Ernährungstrainerin. Rund um den Begriff ist ein Geschäftszweig entstanden, bei dem Resilienz zu einer individuellen Bewältigungskompetenz wird. Der Psychologe Thomas Gebauer sieht darin eine große Gefahr: Der Blick für die komplexe Interaktion zwischen Menschen und Umwelt gehe verloren, Resilienz werde zu einer immunisierenden Persönlichkeitseigenschaft erklärt, die es lediglich - wie der Psychologe Michael Fingerle schreibt - zu wecken und zu trainieren gilt.

Die guten Absichten der Persönlichkeitsstärkung werden laut Gebauer so ins Gegenteil verkehrt. Soziale Ressourcen, die Menschen für eine positive Entwicklung auch benötigen, werden ausgeklammert - so ein gut funktionierendes sozial durchlässiges Bildungssystem, gesellschaftliche Anerkennung und soziale Gleichheit. Ebenso die vielen Risiken auf der einen und die Schutzfaktoren auf der anderen Seite, durch die Menschen krank werden oder gesund bleiben können. »Alles, selbst die Bekämpfung gesellschaftlich verursachten Leids, die Frage, warum Menschen am Arbeitsplatz zusammenbrechen, warum sie den Eindruck haben, nicht mehr gebraucht zu werden und wie der im Alltag um sich greifenden Gewalt zu begegnen sei, - all das erscheint mit einem Mal allein durch erzieherische bzw. therapeutische Interventionen abwendbar«, so Gebauer im März auf dem Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie in Berlin. Es gibt nur noch den Einzelnen, der Verantwortung dafür übernehmen soll, seine Widerstandskraft zu stärken, fleißig zu trainieren und resilient zu werden. Wenn es nicht klappt: selbst schuld.

Die Psychologin Julia Scharnhorst widerspricht dieser Kritik. Sie kennt den Einwand, man sollte doch lieber die Arbeitsbedingungen verbessern, statt Menschen beizubringen, mit Stress am Arbeitsplatz klar zu kommen. Für sie geht es dabei aber nicht um ein »Entweder - oder«, sondern um ein »Sowohl - als auch«. Das praktiziere man bei der Rückengesundheit doch auch: »Wir sorgen für ergonomische Arbeitsplätze und bieten gleichzeitig Rückenschulen an, in denen die Teilnehmer ihre Rückenmuskulatur trainieren, also selbst Verantwortung übernehmen.«

Auch den Vorwurf von Kritikern, im Resilienz-Diskurs würden staatliche Institutionen durch informelle Gemeinschaften - Familie, Freundeskreis, Nachbarschaften - ersetzt, an die sich keine Rechtsansprüche mehr richten lassen (wie an den Staat), relativiert sie. »Nach meinem Verständnis ist ein soziales Netzwerk ein Baustein von Resilienz, der Menschen schützend zur Seite stehen kann. Die Verantwortung z.B. für Investitionen in Bildung oder für ein funktionierendes allen Bürgern zugängliches Gesundheitswesen wird dem Staat damit keineswegs abgenommen.« Seriöse Anbieter würden eine solche Alternative zwischen dem Staat oder der Gesellschaft einerseits und den privaten Netzwerken andererseits nie propagieren.

Deutschland hinke auf diesem Gebiet hinter den USA hinterher, weshalb die Psychologin Julia Scharnhorst eine Zertifizierung am renommierten Al Siebert Resiliency Center in Portland (USA) angestrebt und erhalten hat. Auch konnte sich die Fachwelt noch auf keine einheitliche Definition einigen, was Raum für Missbrauch lässt. »Für den Einzelnen birgt das Risiken, denn wo Nicht-Psychologen ohne diagnostische Fähigkeiten mit psychologischen Methoden arbeiten, kann immer Schaden an der Seele angerichtet werden.« Da es noch keine Listen mit zertifizierten Anbietern gebe, sollten Interessenten darauf achten, welche Qualifikation der Anbieter hat, welches theoretische Modell seinem Training zugrunde liegt, welche Maßnahmen es beinhaltet und was damit gefördert werden soll.

Politik und Krankenkassen haben ihren eigenen Blick auf Resilienz. Die Kassen beobachten schon seit langem eine Zunahme von Diagnosen psychischer Erkrankungen - nicht selten ein Ergebnis von Überlastung am Arbeitsplatz oder Arbeitslosigkeit. Therapien dauern lange und sind teuer. Resilienz erscheint als preiswerte Lösung. Auch einige Sozial- und Kultusbehörden sehen darin eine Chance zur Entlastung öffentlicher Kassen. Eigenverantwortung ist billiger als die Beseitigung von Mängeln in vielen Bereichen oder gar die Schaffung eines sozialen Ausgleichs. Selbst die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgieva, lobt das Resilienz-Konzept, weil es sich auf Bewältigungsmechanismen beziehe, die die Menschen selbst schaffen müssen.

Noch einen bedenklichen Schritt weiter gehen US-Psychologen rund um Martin Seligman. Sie haben Resilienz als ideales Trainingsinstrument für Soldaten ausgemacht. Im Mittelpunkt steht die Vorbereitung von Soldaten auf traumatische Ereignisse. Sie sollen lernen, selbst extreme Ereignisse bei Auslandseinsätzen in Kriegs- und Krisengebieten als Herausforderung für den persönlichen Reifeprozess anzusehen, also Resilienz gegen eventuelle Traumata zu entwickeln. Ziel sei »eine unbezwingbare Armee«, so Seligman, eine Armee, die negative Gefühle nicht mehr kennt, an der alles, was die Kampfkraft stören könnte, abprallt. Und am Ende kommen Soldaten nach Hause, denen jede menschliche Regung abtrainiert und stattdessen ein Charakterpanzer verpasst wurde.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal