Die Lehren des Spielerverstehers

Mit gedämpfter Offensive geht Bayern München in die entscheidenden Wochen der Saison

Ostern ist gerade vorbei, doch beim FC Bayern München geht es am Mittwoch noch immer »auch ein bisschen um die Eier«, wie Thomas Müller etwas irreführend formulierte. Der 25-jährige Offensivallrounder blickte auf das Viertelfinalspiel im DFB-Pokal bei Bayer Leverkusen und sprach dabei natürlich in Metaphern. Die deutsche Fußballersprache übersetzte ein Spanier. »Es geht um Kopf, Herz und Leidenschaft«, beschrieb also Trainer Pep Guardiola, worauf es am Mittwoch neben allen fußballerischen Fähigkeiten ankommen wird. Mühelos macht Guardiola allgemeinverständlich, was Müller oder auch Manuel Neuer (»Jetzt kommen die Wochen, in denen es knallt«) etwas unbedarfter der Welt verkünden. Die Worte seines Torhüters brachte Guardiola in folgende Form: »Wir sind jetzt im April, und der April entscheidet alles. Jetzt ist jedes Spiel ein Finale.«

Nicht nur als Spielerversteher ist der Katalane zweifellos einer der intelligentesten Arbeiter an der Seitenlinie. Denn Guardiola besitzt die Fähigkeit und den Willen, sich stets selbst zu hinterfragen und trotz aller Erfolge offen und lernfähig zu bleiben. Zuletzt hat er es Ostern bewiesen. Wahrscheinlich hatte noch nie eine Mannschaft von Pep Guardiola weniger Ballbesitz als die Bayern am Sonnabend im Spiel bei Borussia Dortmund: nur 50,3 Prozent. Und nur siebenmal schossen die Münchner dabei auf das Tor - so selten wie nie zuvor unter dem Spanier. Guardiola ließ aufgrund der Verletzungen von Frank Ribéry, Arjen Robben und David Alaba seine Philosophie von Ballbesitz und Pressing Philosophie sein und beorderte gleich acht defensiv orientierte Feldspieler in die Startelf. Die kluge Taktik überraschte den Gegner, der FC Bayern gewann 1:0.

Die Zurückhaltung der Münchner in Dortmund wurde aber nicht nur von den aktuellen Verletzungssorgen bestimmt. Denn beispielsweise Mario Götze war gesund, saß aber 80 Minuten auf der Bank. Vielmehr hat Guardiola gelernt: aus den Niederlagen in der Rückrunde der Bundesliga in Wolfsburg (1:4) und gegen Mönchengladbach (0:2). Wie der VfL und die Borussia ist auch die Dortmunder Mannschaft mit technisch guten und schnellen Einzelspielern besetzt, hat ein besonders gutes Umschaltspiel und kann deshalb sehr gefährlich kontern. Diese Spielweise bevorzugt auch Bayer Leverkusen. Und deshalb werden die Münchner auch am Mittwoch mit einer gedämpften Offensive und mehr defensiver Stabilität ihren Erfolg suchen. »Ich denke nicht, dass wir unsere Spielweise ändern. Die Idee bleibt die gleiche«, verriet Thomas Müller.

Diesen Satz seines Spielers ließ Guardiola einfach stehen. Nicht, weil er keine Übersetzung gebraucht hätte. Sondern weil sich der Münchner Trainer nicht gern in die Karten schauen lässt. Auch nicht vor einem Viertelfinale im DFB-Pokal, obwohl dieser Wettbewerb in der bayerischen Hitliste ganz unten steht. Davor rangiert die Bundesliga. Dort kann der FC Bayern die Meisterschaft rein rechnerisch schon am 2. Mai feiern, vorausgesetzt er gewinnt bis dahin seine vier Spiele. Am 25. Titel der Vereinsgeschichte zweifelt bei derzeit zehn Punkten Vorsprung aber schon lange niemand mehr.

Höchste Priorität hat in München die Champions League. Und genau aus diesem Grund wurde Guardiola auch vor anderthalb Jahren in die bayerische Landeshauptstadt geholt. Nationale Titel konnte und kann der FC Bayern mit fast jedem Trainer gewinnen, die europäische Königsklasse nicht. In der vergangenen Saison kam das Aus im Halbfinale. Auch daraus hat Guardiola seine Lehren gezogen. Im Rückspiel, beim 0:4 gegen Real Madrid, wurden die Münchner im eigenen Stadion perfekt ausgekontert. Das Umdenken des Trainers hat wahrscheinlich schon damals, im April 2014, begonnen. So richtig umgesetzt hat er es erstmals in Dortmund, im April 2015. In dem Monat, der alles entscheidet. »Das motiviert mich, eine Lösung zu finden«, sagte er nach dem Sieg beim BVB.

All das bedeutet aber nicht, dass Pep Guardiola seiner eigenen Ballbesitzphilosophie komplett abtrünnig wird. Vielmehr eröffnet er seiner Mannschaft neue Chancen - indem er sich selbst für Neues öffnet. Er macht den FC Bayern variabler, unberechenbarer. Und damit vielleicht auch erfolgreicher. Endgültige Gewissheit darüber bringt erst der Mai mit dem DFB-Pokalfinale sowie der Juni mit dem Endspiel der Champions League - beides im Berliner Olympiastadion. Den Weg dorthin im April beschrieb der Münchner Stürmer Robert Lewandowski: »Erst Pokal, dann Bundesliga, dann Champions League.« Sechs Pflichtspiele erwarten die Münchner in den kommenden 18 Tagen.

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