Putin: Tsipras hat nicht um Geld gebeten

Griechische Agrargüter: Moskau könnte Einfuhrstopp lockern / Deutsche Politiker nennen Antrittsbesuch des griechischen Premiers bei Putin »Drohgebärde«: Athen kritisiert Bevormundung

  • Lesedauer: 9 Min.

Update 16.30 Uhr: Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras hat bei seinem Besuch in Moskau keinen finanziellen Beistand angefragt. »Die griechische Seite hat uns nicht um Finanzhilfe gebeten«, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin am Mittwoch nach einem Treffen mit Tsipras. Allerdings sei die russische Wirtschaft an »Großprojekten« in Griechenland insbesondere im Energiebereich interessiert. Sollten diese realisiert werden und Gewinn bringen, könne dies dem griechischen Staat helfen. Wenn sich Athen der neuen Pipeline Turkish Stream anschließe, dann werde es zum »geopolitischen Akteur«, so Putin, es stünden hunderte Milliarden Euro an Einnahmen aus dem Gastransit sowie viele Arbeitsplätze in Aussicht. Die geplante Pipeline von Russland durch das Schwarze Meer in die Türkei ersetzt das geplatzte transeuropäische Vorhaben South Stream.

Der griechische Regierungschef wies Kritik von EU-Politikern an seiner Russland-Reise zurück. »Manche sollten aufhören, jede unserer Bewegungen in einer Art zu kommentieren, als wäre Griechenland eine Schuldenkolonie«, sagte er. Griechenland werde auch weiter versuchen, seine Probleme innerhalb Europas zu lösen. »Aber als souveräner Staat hat es das Recht, Abkommen mit Staaten außerhalb Europas zu schließen. Das trägt zur Stabilität bei - und ich glaube, das verstehen andere Staaten«, meinte Tsipras. Er sei nicht als »Bittsteller« nach Moskau gereist. Tsipras bezeichnete die akute Schuldenkrise Athens als »europäisches Problem«, für das eine »europäische Lösung« gefunden werden müsse. Putin wies Befürchtungen der EU zurück, Russland könne mit guten Beziehungen zu Griechenland die Europäische Union spalten wollen. Russland habe nicht vor, ein einzelnes Mitglied der EU auszunutzen, sagte er.

Der Gast aus Athen sprach sich zugleich dafür aus, den »Teufelskreis der Sanktionen gegen Russland aufzugeben«. Ein »Wirtschaftskrieg« sei keine gute Lösung. Sein Land arbeite daran, eine diplomatische Lösung zu finden. Die »Gegensanktionen«, die Moskau als Reaktion auf die Strafmaßnahmen der EU verhängt habe, hätten der griechischen Landwirtschaft eine große Wunde zugefügt, sagte Tsipras. »Die beste Lösung für die Krise ist ein Ende des ganzen Sanktionskrieges«, sagte Putin nach dem Treffen mit Tsipras. Russland sei bereit, mit ganz Europa zusammenzuarbeiten, betonte der Kremlchef. Putin forderte die ukrainische Führung und die moskautreuen Aufständischen im Donbass auf, sich an den Mitte Februar im weißrussischen Minsk vereinbarten Friedensplan für die Ostukraine zu halten.

Update 16.05 Uhr: Kremlchef Wladimir Putin und der linke griechische Regierungschef Alexis Tsipras haben nach ihren Verhandlungen in Moskau mehrere Abkommen unterzeichnet. Unter anderem vereinbarten sie am Mittwoch einen gemeinsamen Aktionsplan für die Jahre 2015 und 2016. Anschließend sollte eine gemeinsame Pressekonferenz beginnen.

Update 15.35 Uhr: Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat die Kritik von EU-Politikern an der Moskau-Reise des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras zurückgewiesen. Wenn ein EU-Mitglied seine nationalen Interessen wahrnehme, werde es von Brüssel gleich als unsolidarisch gegeißelt, sagte er am Mittwoch in Moskau. Lawrow warf der EU eine antirussische Front vor. »Immer mehr Länder werden sich bewusst, wie kontraproduktiv die Sanktionen gegen Russland sind«, meinte der Chefdiplomat der Agentur Interfax zufolge. »Von unserer Seite bleiben aber alle Vorschläge von Präsident Wladimir Putin zur Zusammenarbeit (mit der EU) auf dem Tisch, einschließlich einer gemeinsamen Freihandelszone«, sagte Lawrow.

Update 14.25 Uhr: Die russische Regierung will ihr Lebensmittelembargo für Griechenland lockern. »Die Regierungschefs beider Länder werden am Donnerstag dahingehende russische Vorschläge erörtern«, sagte Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew am Mittwoch in Moskau der Agentur Tass zufolge. Athen hatte zuvor Moskau gebeten, Lebensmittel wieder auf dem russischen Markt zuzulassen. Der Import etwa von Pfirsichen, Erdbeeren und Milchprodukten war 2014 als Reaktion auf EU-Sanktionen gestoppt worden. Kremlchef Wladimir Putin bot Tsipras zudem eine Wiederbelebung des Handels ihrer Länder an. Es gehe darum, das frühere Wachstumstempo wiederherzustellen, sagte Putin nach Angaben der Agentur Interfax am Mittwoch zum Auftakt eines Treffens mit Tsipras. Nach Darstellung des Kremlchefs brach der Handel zwischen den beiden Ländern im vergangenen Jahr um 40 Prozent ein im Vergleich zum Vorjahr. Bei den Gesprächen geht es nach Angaben aus Moskau außerdem um Rabatte bei russischen Gaslieferungen an Griechenland. Die Russen wollen auch eine Beteiligung der Griechen an der neuen Gas-Pipeline Turkish Stream erreichen, die durch das Schwarze Meer und in der Türkei verlegt werden soll.

Update 12.20 Uhr: Vor seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hat der griechische Regierungschef Alexis Tsipras am Mittwoch in Moskau einen Kranz am Grabmal des Unbekannten Soldaten niedergelegt. Tsipras und Putin sollen am Mittag zu Gesprächen zusammenkommen. Er erinnerte auch an den gemeinsamen Kampf von Russen und Griechen gegen die Faschisten im Zweiten Weltkrieg.

Update 11.50 Uhr: Die Ermahnungen und Vorwürfe zahlreicher EU-Politiker im Vorfeld der Reise des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras nach Moskau sind nach Ansicht der Regierung in Athen nicht produktiv. Diverse Ratschläge hätten die Ebene einer Bevormundung erreicht, verlautete am Mittwoch aus Kreisen der Regierung in Athen. Griechenland sei ein altes Mitglied der EU und wisse, wie es handeln solle, hieß es. Tsipras begann am Mittwoch einen zweitägigen Besuch in Moskau.

Update 9.10 Uhr: Der Wirtschaftsberater der griechischen Regierungspartei SYRIZA, Theodoros Paraskevopoulos, hält die Befürchtungen in der EU, sein Land könnte in der Sanktionsfrage von der bisherige Linie abweichen, für Unsinn. Paraskevopoulos sagte im Radiosender RBB, sein Land werde sich an die EU-Sanktionen gegen Russland halten. »Diese Sanktionen, obwohl Griechenland sie kritisch sieht, die stehen«, betonte er. Mit Russland würden heute und morgen in Moskau Energiefragen diskutiert. Die EU-Staaten hätten das Recht, ihre außenpolitischen Beziehungen eigenständig zu entwickeln, und das tue Griechenland im Moment. Griechenland ist laut Paraskevopoulos an einer Fortführung der Gaspipeline, die Russland mit der Türkei verbindet, interessiert. Außerdem wolle man landwirtschaftliche Produkte nach Russland verkaufen und russische Investoren nach Griechenland holen. »Russland interessiert sich für Investitionen in griechische Bahnen und griechischen Häfen und darüber wird gesprochen«, sagte Paraskevopoulos. Über russische Kredite für Griechenland werde nicht gesprochen.

Update 9 Uhr: In der Debatte um den Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in Moskau hat der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD) für »gelassene Beharrlichkeit« plädiert. Es handele sich bei Tsipras' Visite um einen Antrittsbesuch, wie ihn auch andere Regierungschefs machen würden, sagte Erler am Mittwoch im ARD-»Morgenmagazin«. Dabei werde es um die Senkung des Öl- und Gaspreises gehen, die Öffnung Russlands für griechische Apfelsinen und Aprikosen sowie um russische Investitionen in Griechenland, »bestimmt aber nicht um die Lösung« der Hauptprobleme. Niemand werde etwas dagegen einwenden, wenn Russland Athen bei den gegen griechische Agrarprodukte verhängten Gegensanktionen entgegenkomme, sagte Erler. Entscheidend sei die Einigkeit der EU-Staaten im Verhältnis zu Russland im Ukraine-Konflikt, insbesondere was die EU-Sanktionen betreffe. »Dabei sollte es bleiben, da sollten wir beharrlich bleiben«, sagte Erler.

Deutsche Politiker nennen Antrittsbesuch des griechischen Premiers in Russland »Drohgebärde«

Berlin. Die Reise des griechischen Premiers nach Moskau sorgt weiter für einen hohen Empörungspegel in Deutschland - Politiker von Union und SPD griffen die SYRIZA-geführte Regierung in Athen scharf für den Russland-Besuch von Alexis Tsipras an. Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok sagte der Zeitung »Die Welt«, dessen Reise sei eine »Drohgebärde«. Tsipras wolle mit der Annäherung an Moskau »zeigen, dass Griechenland auch anders könnte«. Brok forderte sogar Reaktionen der europäischen Partner: Gegenüber Tsipras müsse deutlich gemacht werden, dass er sich an Moskau binden könne, wenn er das wolle. Dann müsse er aber auch sagen, dass er »aus Europa raus und in eine andere Hemisphäre wechseln« wolle, sagte er der »Welt«.

Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz meldete sich abermals zu Wort. Der SPD-Politiker warnte Tsipras via »Bild«-Zeitung vor der Annahme russischer Finanzhilfen. Schulz sagte, er wisse zwar nicht, ob Russland Griechenland finanziell unterstütze. Er könne Athen aber »nur raten, die Einigkeit der Europäer nicht aufs Spiel zu setzen«. Griechenland verlange und bekomme von der EU »viel Solidarität«, sagte Schulz dem »Münchner Merkur« (Mittwochsausgabe). Umgekehrt könne die EU verlangen, dass Tsipras als Ministerpräsident eines EU-Mitgliedsstaats an der einheitlichen Haltung gegenüber Russland festhalte.

Unterstützung für seinen Besuch erhielt Tsipras von dem FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Er sagte der »Neuen Osnabrücker Zeitung« vom Mittwoch, Tsipras sei ein »demokratisch gewählter Regierungschef, der selbstverständlich auch nach Moskau fahren darf«. Den Zeitpunkt bezeichnete Lambsdorff allerdings als »äußerst unglücklich«. In einem Gespräch mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte der FDP-Politiker, Tsipras müsse Präsident Wladimir Putin auffordern, die Aggression in der Ost-Ukraine und die militärischen Provokationen gegen die Nato zu beenden.

Wenn Berlin Athen Moskau übelnimmt
Wer verprellt hier wen als Partner? Der bevorstehende Besuch des griechischen Premiers Tsipras in Russland schlägt in Deutschland politische Wellen - hier

Tsipras trifft am Mittwochmittag den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Am frühen Nachmittag ist eine gemeinsame Pressekonferenz von Tsipras und Putin geplant. Am Donnerstag will Tsipras zudem mit dem russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew über die Zusammenarbeit in Wirtschafts- und Handelsfragen sprechen. Experten halten es für denkbar, dass Russland ein Embargo auf griechisches Obst aufhebt - es war im Rahmen eines Boykotts westlicher Waren im Zusammenhang mit den Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts verhängt worden. Außerdem stehen Fragen der Energie-Kooperation auf der Agenda.

Dabei geht es unter anderem um die Gasimporte Griechenlands, das mehr als 60 Prozent des Energieträgers aus Russland bezieht - unter Konditionen, die als bisher eher schlecht zu bezeichnen sind. Athen zahlt mehr als den Durchschnittspreis, den andere europäische Staaten entrichten müssen, heißt es. In Moskau hat man zudem Interesse an einer Beteiligung am griechischen Gaskonzern Depa, eine entsprechende Offerte hat Athen bisher aber abgelehnt. Eine mögliche Kooperation bietet sich zudem mit Blick auf das russische Pipeline-Projekt »Turkish Stream« - Athen hat angeboten, die Leitung bis nach Griechenland zu verlängern, von wo aus südeuropäische Länder beliefert werden könnten. Die bisher geplante Idee, über die Pipeline »South Stream« Gas nach nach Bulgarien zu transportieren, konnte wegen des Widerstandes der EU nicht umgesetzt werden.

Die Regierung in Athen hatte die Kritik an der Reise von Regierungschef Alexis Tsipras nach Moskau an diesem Mittwoch zurückgewiesen. »Es gibt nichts zu tadeln«, sagte Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis im griechischen Fernsehen. »Griechenland blickt nirgendwo anders hin als nach Europa«, sagte er. Athen wolle aber seine Beziehungen mit Russland und China und anderen Ländern vertiefen. Dies könne sowohl Griechenland als auch diesen Ländern helfen. Davon, Europa den Rücken zu kehren, ist in Athen aber nicht die Rede gewesen. Nach einem früher »frostigen Verhältnis« strebe er in den bilateralen Beziehungen einen »Frühling« an, hatte der SYRIZA-Premier in einem unlängst in Moskau veröffentlichten Interview der russischen Agentur Tass erklärt. Agenturen/nd

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