Lasst Sie in Ruhe trauern

Über die Berichterstattung zur Trauerfeier für die Opfer des Germanwings-Absturzes

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Journalisten, Kameras, Livestreams. Trauerarbeit im Jahr 2015 ist in Deutschland keine intime Angelegenheit mehr, sobald die Öffentlichkeit meint, Anspruch auf einen medialen Sitzplatz inmitten trauernder Hinterbliebener zu haben. Kölner Dom, heute Vormittag, kurz vor dem zentralen Trauergottesdienst für die 150 Toten der verunglückten Germanwings-Maschine. Man musste nicht einmal in die Nähe des Gotteshauses kommen, um mitzuerleben, wie Busse mit den Hinterbliebenen auf dem Platz vorfuhren. Für was gibt es schließlich Medienvertreter. Diese haben sich in Scharen zur Berichterstattung über eines der letzten Kapitel einer menschlichen Tragödie versammelt. Vor dem heimischen Fernseher fühlt sich der Zuschauer unweigerlich an die Tage direkt nach dem Absturz erinnert, als dutzende Journalisten das Haus der Eltern des Co-Piloten und parallel die Schule in Haltern belagerten.

Wie gefangen in einer makaberen Zeitschleife, wiederholt sich auf vielen TV-Sender das stets gleiche Bild. N24 schaltet live auf den Domplatz zu einem ihrer Reporter. Der berichtet von der demnächst beginnenden Trauerfeier, die Kamera schwenkt über den Platz, fängt im Hintergrund die Großbildleinwand ein, vor der später Passanten die Trauerfeier im Dom verfolgen können.

Ich schalte um und sehe, wie ein Kollege vom Nachrichtensender n-tv gerade auf dem Domplatz steht und beinahe wortgleich wie eben zuvor auf N24 über die anstehende Trauerfeier berichtet. Wieder die Großbildleindwand, wieder der Schwenk auf in der Stadt hängende Plakate mit der schwarzen Schleife, die eine öffentliche Anteilnahme ausdrücken soll.

Ich schalte weiter auf Tagesschau24 und - Sie ahnen es - wieder steht ein Reporter auf dem Kölner Domplatz und erzählt, was der Zuschauer eben auch bei N24 oder n-tv auch hätte erfahren können. Interessantes Detail ist eine erwähnte Absperrung vor dem Dom. Man fragt sich, warum es für solch einen Anlass solcher Mittel bedarf, wenn sich doch Deutschland und die Medien unisono in ehrlich gemeinte Anteilnahme ausdrücken und Zurückhaltung geloben?

Vielleicht gibt es doch die Angst bei einigen Organisatoren, dass sich Szenen, wie in den Wochen zuvor, wiederholen und es zu massenhaften Grenzüberschreitungen seitens der Witwenschüttler vom Dienst kommen könnte. Dass es einen eigens vorbereiteten Aufenthaltsbereich für Journalisten gibt, scheint da in weiser Voraussicht die richtige Entscheidung der Organisatoren gewesen zu sein.

Dass das Land Nordrhein-Westfalen für Hinterbliebene eine Trauerfeier ausrichtet, ist ein ehrenwerter Akt der Anteilnahme, den man sich allerdings bei vielen anderen Tragödien auch wünschen würde, bei denen vielleicht keine Deutschen im traurigen Mittelpunkt stehen. Am Mittelmeer gäbe es dazu gerade beinahe täglich genug Anlass.

Für die Hinterbliebenen des Germanwings-Absturzes muss die Situation schwierig sein. Wieder blickt die Öffentlichkeit auf sie und allein der Gedanke, auch nur in Sichtweite einen erwartungsvollen Medientross zu sein, dürfte aufgrund der belagerungszustandsähnlichen Erfahrungen kurz nach dem Absturz für die Trauerarbeit wenig hilfreich sein. TV-Kameras im Dom sind es wohl noch weniger und es muss die Frage erlaubt sein, ob ein öffentliches Interesse höher zu bewerten ist, als ein nicht nur von der ARD ausgestrahlter Livestream von der Gedenkveranstaltung im Kölner Dom? Auch die Politik muss sich an dieser Stelle den Vorwurf aushalten, wem die mediale Inszenierung eigentlich vordringlich dient? Müssen wir Bundespräsident Jochaim Gauck oder NRW-Ministerpräsidentin Hanelore Kraft (SPD) dabei zusehen können, wie sie ihre Anteilnahme äußern? Geht es wirklich nur um Beileidsbekundungen oder steckt nicht zumindest ein Körnchen Kalkül dahinter, die breite Öffentlichkeit zuzulassen?

Von viel wirklicher Intimsphäre in einem der schwersten Momente für einen Menschen lässt sich ausgehen, wenn im Hintergrund TV-Kameras laufen und diese selbst bei der wohlmeinend unterstellten größtmöglichen Zurückhaltung dennoch weinende Menschen zeigen, die doch eigentlich nie ihr Leben mit der Öffentlichkeit teilen wollten? Soll, wer diese mediale Zurschaustellung ablehnt, dem Gedenken folglich fernbleiben? Am Ende hieße das: Anteilnahme ja, aber nur gegen den Preis der Privatsphäre. Solche Klauseln kennen wir nur von Knebelverträgen aus Castingsshows. Trauer in Ruhe sieht anders aus.

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