Die kommende Demokratie: Sozialismus 2.0

Zu den Aufgaben und Möglichkeiten einer Partei der Zukunft im Europa von Morgen. Manifest von Katja Kipping und Bernd Riexinger

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Das Manifest für die Zukunft wurde von Katja Kipping und Bernd Riexinger zum Auftakt der Linken Woche der Zukunft in einer gekürzten Fassung vorgestellt. nd dokumentiert die vollständige Erklärung.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde,

wer wüsste das besser als wir: die Weltgeschichte hat manchmal Humor und ewige Zeitalter können erstaunlich kurz sein. Das gilt heute mehr denn je. Denn, wer hätte Anfang der 1990er Jahre gedacht, was wir heute wissen: Das damals dreist verkündete Ende der Geschichte, es ist selbst schon wieder zu Ende. Der Siegesruf des Neoliberalismus, dass es keine Alternativen zum schlechten Bestehenden mehr geben könne, klingt hohl. Der Sound des Sachzwanges ist längst zur Parole von Untoten geworden, zu einem Echo, das umso lauter hallt, als es offensichtlich mit dem realen Leben der meisten Menschen immer weniger zu tun hat. Zwar hören wir es noch, aus dem Fernsehen und den Zeitungen, den Podcasts der etablierten Parteien und den Onlineportalen der Verlagshäuser, allein: Vom Triumphgeheul der Technokraten und Eliten, das noch zu Beginn der 00er Jahre die Wolkenschlösser der »digitalen Dienstleistungsgesellschaft« erfüllte, ist im Krisenkapitalismus wenig geblieben.

Noch sitzen die neoliberalen Eliten fest im Sattel. Doch es ist nicht Begeisterung und Überzeugung der Massen, die sie tragen, sondern Passivierung und der Mangel an Alternativen. Das muss nicht so bleiben.

Denn ein Gespenst geht wieder um in Europa. Genau genommen nicht nur eins. Genau genommen sind es viele Gespenster. Diese Gespenster eines Aufbruchs gegen die Trostlosigkeit der herrschenden neoliberalen Politik haben sich in den Generalstreiks und Demonstrationen gegen die Kürzungspolitik in vielen Ländern, in den »neuen Demokratiebewegungen« von Occupy und Empörten, in den Platzbesetzungen und den Stadtteilversammlungen entwickelt. In den sozialen Protesten und Bewegungen in der Krise erklingt seit einigen Jahren eine neue Melodie, die die Verhältnisse zum Tanzen bringen will und viele Menschen inspiriert und mobilisiert hat: die Melodie der »wirklichen Demokratie«. Und so unterschiedlich, ja mitunter widersprüchlich all diese Impulse und die von ihnen ausgehenden Haarrisse im Schnellbeton der Alternativlosigkeit wirken: Was den Technokraten der »markt-konformen Demokratie« (Angela Merkel) Angst macht, ist ihre gemeinsame Botschaft. Veränderung liegt in der Luft, es spukt die neue Version einer alten Idee: Demokratie.

In dem übergreifenden Bedürfnis nach Demokratie sind all diese Momente des Widerstandes gegen das Europa der Eliten & Konzerne zugleich friedlicher als jede Unterschriftensammlung und militanter als der schwarze Block, denn sie überschreiten die Rituale einer in der Defensive gefangenen, gesellschaftlichen Linken und den Gestus des folgenlosen Protestes. Längst geht es dabei um mehr als nur versprengte Ausdrücke einer fixen Idee oder das letzte Aufbäumen alter Traditionen, es sind Ansätze einer Bewegung zum Aufbau von etwas Neuem.

In Griechenland hat mit Syriza eine linke Partei der neuen Form den Ruf aus der Gesellschaft gehört. Sie war in der Lage, sich mit den Bewegungen zu vernetzen, sie zu stärken und zugleich unterschiedliche, von der Krise betroffene Teile der Bevölkerung zu einer neuen politischen Kraft zu verbinden. Der Wahlsieg von Syriza zeigt, dass sich die Hoffnungen vieler in Griechenland mit dem neuen Gespenst vereinen.

Die Konfrontation zwischen Syriza und den »Institutionen« der Troika hat die politischen Auseinandersetzungen um die Zukunft Europas neu entfacht. Die neoliberalen Eliten in Europa haben Angst vor einem Domino-Effekt. Syriza darf aus ihrer Sicht nicht erfolgreich sein, sonst drohen auch in anderen Ländern Brüche mit der Austeritätspolitik. Es besteht die reale Gefahr, dass der mögliche Aufbruch in Griechenland und Europa schon nach wenigen Monaten im Keim erstickt wird. Der Aufbruch in Südeuropa mag nicht die Zeitenwende sein, die das Ende des neoliberalen Kapitalismus ankündigt, aber es könnte der Beginn des Tauwetters sein, der Anfang eines echten europäischen Frühlings.

Bei Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien geht es also um mehr als nur um einen Regierungswechsel, es geht um eine Veränderung der Formen des Politikmachens, ja des Lebens selbst. Sollte sich auch in unserem Land eine neue gesellschaftliche Dynamik entwickeln, sollten sich auch hier die verschiedenen Initiativen zu einem umfassenden Aufbruch für wirkliche Demokratie verdichten, wollen und werden wir mitten drin und aktiv dabei sein und nicht am Rande stehen. Denn dieses Bedürfnis ist auch unser Bedürfnis. Es wird auf den Punkt gebracht in dem Slogan: Sie wollen Kapitalismus ohne Demokratie, wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus!

Zwischen Möglichkeit …

Das meint kein Zurück in die Enge nationaler Kleinstaaterei oder die graue Disziplin der alten Fabrikarbeit, wie dem »neuen Linkspopulismus« von neoliberaler Seite gerne vorgeworfen wird. Im Gegenteil: Die Sehnsucht nach wirklicher Demokratie erwächst ja gerade aus der gemeinsamen Erfahrung von grenzübergreifenden Mobilisierungen. Diese Sehnsucht wird zudem gespeist durch die Erkenntnis, dass die Vielfalt von Lebensentwürfen eine Bereicherung ist.

Demokratie meint in diesem Sinne weit mehr als Bürgerbeteiligung unter dem medialen Dauerfeuer von BILD und Co. Wo der rechte Populismus nur den Frust ummünzt ins Treten nach unten, will die neue Linke allen Betroffenen zu ihrem Recht verhelfen. Das ist der berühmte kleine Unterschied ums Ganze. Die Demokratie, die wir meinen, ist daher die dritte Position jenseits des neoliberalen »weiter so« und der nostalgischen Option vermeintlich guter alter Zeiten.

Sie könnte in der digitalen Revolution, die uns auf Grundlage des Internets, dem general intellect der heutigen Zeit, alle global vernetzt, einen materiellen Verbündeten finden. Ob jedoch die digitale Revolution Kooperation im Sinne eines Sozialismus 2.0 befördert oder nur der Profitmaximierung von Konzernen dient, ist noch nicht entschieden. Schon Marx sprach davon, dass eine neue Epoche anbricht, wenn die Entwicklung der Produktivkräfte durch die Produktionsverhältnisse gehemmt wird. Das zeigt sich heute auch im Internet. Künstlich müssen Verwertungsrechte gesichert und Zugriffsrechte begrenzt werden. Die Warenform von Information und Kommunikation muss mit großem Aufwand aufrechterhalten werden, obwohl es praktisch möglich wäre, den Zugang für alle Menschen zu öffnen. Die Vergesellschaftung der Produktion gerät in offensichtlichen Widerspruch zur privaten Aneignung.

Der Widerspruch zwischen den Möglichkeiten eines guten Lebens für alle und der öden Wirklichkeit im Krisenkapitalismus schafft eine Spannung, die lähmen, aber auch mobilisieren kann. Viele Menschen erleben schon heute größere Freiheitsspielräume als früher: weniger Patriarchat, weniger Fabrikdisziplin, mehr digitale Zugänge, mehr individuelle Ansprüche, mehr Bildung. Das deutet einen Reichtum der Möglichkeiten an, der bisher eingezwängt bleibt zwischen den Regeln der Profitproduktion, dem Machtkalkül eines postdemokratisch entleerten Staatsapparates und den bornierten Interessen des 1% Superreicher.

Es ist eine schlechte Wirklichkeit, die zugleich aber auf Sand gebaut ist. Denn sie ächzt unter der zerstörerischen Kraft eines Reichtums, der aufgrund seiner ungerechten Verteilung in Spekulationsblasen um die Welt jagt und auf der Suche nach »Betongold« durch die Städte walzt. Mit immer weniger Aufwand kann dank Hightech und Automatisierung immer mehr hergestellt werden. Aber das wird nicht zur Bedürfnisbefriedigung genutzt, sondern führt zu Überproduktion und Überforderung auf der einen und Langzeiterwerbslosigkeit auf der anderen Seite.

Doch diese schlechte Wirklichkeit treibt über sich selbst hinaus, untergräbt mit jedem Schritt nach vorn ihre eigenen Grundlagen ein klein wenig mehr. Weil die Eliten das langsam ahnen, wird mit Demagogie geantwortet. Indem die berechtigte Kritik am Europa, wie es ist, mit dem rassistischen Hass der rechten Kulturkämpfer in Verbindung gebracht wird, soll sie gleich als Ganzes erledigt werden.

Aber nicht die Kritik am Europa der Reichen gefährdet seine Zukunft, sondern ihnen diesen Kontinent zu überlassen. Wer Freiheit weiterhin gegen Gleichheit ausspielt, läuft Gefahr, beides zu verlieren. Der demokratische Legitimationsverlust der EU untergräbt bereits in vielen Ländern ihr gesellschaftspolitisches Freiheitsversprechen. Die klügeren Liberalen, wie Jürgen Habermas, sagen inzwischen selber: Europa wird sozial oder es wird nicht sein.

… und Wirklichkeit

So sehr wir das Knirschen des europäischen Kapitalismus hören - so wenig sind wir naiv. Denn auch das gehört zum ganzen Bild dazu: Die Maschinerie der Verblendung arbeitet nach wie vor jeden Tag, 24/7. Und die alltäglichen Zwänge der Konkurrenz spielen dem noch in die Hände. Während wir den Widerstand sehen, sehen wir zugleich, wie sie weiter wachsen - die Gewinne, die Exporte, die Berge von Zumutungen. Die Traurigkeit des Krisenkapitalismus ist gut organisiert und der »Wille zum Nicht-Wissen« (Alex Demirovic) sitzt fest im Sattel.

Die herrschende Krisenpolitik ist von diesem organisierten Nicht-Wissen über die Krisenursachen getrieben und daher zum Scheitern verurteilt. Die erstarrten Eliten fahren auf Sicht und über die Interessen der meisten Menschen in Europa hinweg - aber bisher fahren sie damit noch ganz gut. Merkel ist im schlechten Sinne das beste Beispiel für diese autoritäre Politik: mit einem Mehltau der Alternativlosigkeit überzieht sie das Land, möglichst geräuschlos soll die Verwaltung des neoliberalen Status Quo ablaufen.

Das deutsche Exportmodell ist dabei tief in die globale Krise verstrickt: Die Austeritätspolitik wird mit Stolz exportiert. Verschwiegen wird dabei, dass sich die anderen Länder seit der deutschen Agenda 2010 verschulden mussten, um »unsere« Waren zu kaufen. Verschwiegen wird dabei auch, dass deutsche Banken und Unternehmen noch an den Hilfspaketen verdient haben. Stattdessen wird den Menschen in Griechenland die Schuld zugeschoben.

Merkels Politik vertagt die Zukunftsprobleme: Die hohe Kinderarmut ist ein Symbol für den Umgang der Großen Koalition mit der nächsten Generation. Zugleich basiert Merkels Erfolg auf der Spaltung der Gesellschaft hierzulande: Prekär Beschäftigte und Erwerbslose werden im Alltag entmutigt und fertiggemacht, während die anderen im Hamsterrad der Hochproduktivität eingesperrt sind und hoffen, dass sie durch Rennen, Rackern und Rasen ihren Lebensstandard verteidigen können. Die einen werden zu tendenziell Überflüssigen erklärt, den anderen wird Wettbewerbsfähigkeit als Sinn des Lebens angepriesen, aber nur der Burn-Out geboten.

Im Deutschland der Großen Koalition sitzen wir im Auge des Orkans des Krisenkapitalismus. Dennoch erscheint Deutschland vielen Menschen als ein von außen bedrohtes Paradies: die Krisen und Bedrohungen werden als äußerliche wahrgenommen. Das ist selbst das Ergebnis neoliberaler Politik, mit der die Krise nach Südeuropa verschoben wurde. Die Große Koalition preist den Fortschritt im Lande, während vor allem die Spaltung von Arm und Reich fortgeschritten ist.

Eine der brennendsten Zukunftsfragen, die Klimagerechtigkeit, wird von Schwarz-Rot nicht nur vertagt, sondern noch verschärft. Denn die notwendige Energiewende wird ausgebremst und der ökologische Umbau wird ökonomisch abgewürgt.

Ohrenbetäubend ist derzeit das Schweigen der Mehrheit der Sozialdemokratie zu massenhafter Verarmung und der Zerstörung der Demokratie in Europa! Die Sozialdemokratie ist Teil der erstarrten europäischen Eliten. Der griechische Finanzminister, Yanis Varoufakis, sprach von einem »faustischen Pakt«, den die europäische Sozialdemokratie mit den Profitinteressen von Konzernen und vermögenden Financiers eingegangen ist, als sie den Kampf um die Umverteilung zugunsten der verheerenden neoliberalen Wettbewerbspolitik aufgegeben hat. Die Sozialdemokratie der Gabriels und der Hollands hat sich von der historischen Funktion der Sozialdemokratie verabschiedet. Diese bestand darin, den Kapitalismus zu modernisieren und den vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängigen Menschen Aufstiegs- und Zukunftsperspektiven zu ermöglichen. Sie ist mitverantwortlich dafür, dass Millionen Menschen in Europa durch Erwerbslosigkeit vermeintlich »überflüssig« gemacht oder durch prekäre Arbeit um die Planbarkeit ihrer Zukunft betrogen werden. Mit ihrer Unterstützung für Merkels Krisenpolitik macht sich die SPD zur Komplizin der drohenden Zerstörung der Demokratie und der Zerstörung des europäischen Projekts durch einen autoritären Kapitalismus! Sie wird sich so mittelfristig selbst überflüssig machen.

Keine Zukunft mit dieser Gegenwart

Wie man es dreht und wendet: Mit einer bloß anderen Verwaltung der Gegenwart ergibt sich keine Zukunft, denn unsere Welt ist grundsätzlich im Umbruch. Die Mehrfachkrise des Wachstums, Massenerwerbslosigkeit und Armut im globalen Maßstab, Kriegsgefahr, Klimawandel, Staatszerfall und massenhafte Fluchtbewegungen an den Rändern Europa, zeigt, das bisherige Wirtschaftsmodell ist strukturell erschöpft. Namhafte Intellektuelle wie Naomi Klein, Paul Krugman und Josph Vogel haben immer gewarnt: So, wie es ist, bleibt es nicht, nicht einmal in den Zentren des Neoliberalismus. Das aber markiert auch das endgültige Scheitern aller rot-grünen Vorstellungen von kosmetischen Veränderungen im Rahmen des Bestehenden. Demokratische Politik, die sich selbst ernst nimmt, muss heute auf eine Transformation der politischen und ökonomischen Formen zielen und eine Exit-Strategie aus dem Krisenkapitalismus entwickeln. Denn dieser zerstört das Soziale und die Demokratie.

Mehr noch: Der Schlaf der Vernunft in Merkels Schatten, er gebiert Monster. Wer unter Existenz- oder Abstiegsangst leidet oder beständig Ausgrenzungen erlebt, kann leichte Beute für rechte Kulturkämpfer, antisemitische Verschwörungstheoretiker und religiöse Fundamentalisten werden. Einen Reim auf die sich verfinsternde Gegenwart machen diese reaktionären »Krisenlöser« sich, indem sie von Verschwörungen gegen ihre »Kultur« reden und dabei Verderben über andere bringen. Sie flüchten sich in die vermeintliche Geborgenheit der Nation oder in autoritäre Geschlechterbilder und leben die eigene Unsicherheit im Hass auf Schwächere, wie ethnische und sexuelle Minderheiten, aus. Die Erstarrung der Eliten und deren Herrschaft durch Spaltung fördern überall die Zunahme von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Teile der Mittelklasse leben längst in einer »Atmosphäre der Angst, die sich wie ein leises Rauschen unmerklich, aber unleugbar ausbreitet« (Heinz Bude).

Durch diese rechten Kulturkämpfer wird aber - wie ein Blick auf die AfD und Pegida zeigt - der Neoliberalismus nicht in Frage gestellt, sondern noch radikalisiert: Mehr Konkurrenz, mehr Brutalität, Wahlrecht nur für die Gewinner, Sicherheit auf Kosten der Freiheit, Verteidigung des Wohlstandes eines immer kleiner werdenden Teils gegen den Rest. Klar ist mithin längst: Wenn die Zukunft nicht demokratischer wird, wird der Kapitalismus autoritärer.

Die politische Entmachtung des 1% Superreicher und ihre ökomische Entwaffnung durch die Umverteilung des Reichtums werden daher zur Überlebensfrage der Demokratie. Zwar geht das Emanzipationsversprechen linker Politik inzwischen zu Recht weit darüber hinaus und zielt auf eine selbstorganisierte Gesellschaft jenseits von zerstörerischem Markt und autoritärem Staat. Doch ohne das Querschnittsthema der Umverteilung des riesigen Reichtums und die Demokratisierung seiner Kontrolle anzugehen, ist in keinem Politikfeld noch eine fortschrittliche Entwicklung zu machen. Stattdessen droht eine weitere Brutalisierung der Gesellschaft, die Barbarisierung des Abendlandes. Insofern geht es heute zunächst tatsächlich um den »widersprüchlichen Auftrag, den freien Fall des europäischen Kapitalismus zu stoppen, eben gerade damit wir Zeit bekommen, um eine Alternative zu formulieren« (Yanis Varoufakis).

Die Kämpfe um die Zukunft …

Eine linke Politik der Zukunft will den erstarrten Kräften des neoliberalen Kapitalismus die Verfügung über die Zukunft entreißen. Denn diese produzieren eine Zukunft, in der Millionen Menschen der Möglichkeiten eines guten Lebens beraubt werden. Für uns als LINKE ist das kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern Ansporn zum Handeln. Die Widersprüche des Kapitalismus sind zugleich unsere Hoffnung. Das klingt paradox. Aber die Möglichkeiten für andere, bessere, sozial gerechte, selbstbestimmtere und ökologisch zukunftsfähige Zukünfte existieren längst. Sie werden nur durch die herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse blockiert. Daher setzen wir an am Widerspruch zwischen den Möglichkeiten einer in vieler Hinsicht reicher werdenden Gesellschaft und ihrer Verkehrung in Fesseln, die ein gutes Leben für alle im Krisenkapitalismus unmöglich machen.

Der Kapitalismus steckt in der Reichtumsfalle: Der Stand des von der Gesamtheit der Arbeitenden produzierten Reichtums würde es sofort erlauben, dass wir die Arbeit und die gesamte Gesellschaft so organisieren, dass alle Menschen ihre Existenz sichern können. Der gemeinsam produzierte Reichtum könnte zunehmend die Form von für alle Menschen frei zugänglichen und demokratisch gestalteten Gemeingütern, von Commons, annehmen - von guten Bildungsmöglichkeiten und frei verfügbarem Wissen, von guter Gesundheitsversorgung und Pflege für alle, von kostenfreiem Nahverkehr. Innerhalb des Finanzmarktkapitalismus kommen jedoch die Produktivitätsgewinne nur einer Minderheit zugute, während die Konzentration des Reichtums und der politischen Macht eine globale Oligarchie der Superreichen hervorbringt, wie Thomas Piketty gezeigt hat. Die Produktivität ist gestiegen, der Reichtum nimmt zu, kann aber immer weniger produktiv angelegt werden. Wachstum findet im Finanzmarktkapitalismus vor allem in Form von Finanzblasen statt.

Gleichzeitig wissen wir, dass die OECD bis 2050 weltweit eine Zunahme der CO2-Emissionen um 70 Prozent prognostiziert. Der Club of Rome und radikaler Kapitalismuskritik unverdächtige Klimaforscherinnen und Klimaforscher sagen, was diese Zahlen bedeuten: Die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen werden zerstört! Die globale Klimapolitik scheitert seit Jahren an dem Ziel einer effektiven Verringerung des CO2-Ausstoßes, weil mächtige Konzerninteressen dem entgegen stehen und kein Land bereit ist, einseitige Schritte zu gehen und so Nachteile in der globalen Konkurrenz in Kauf zu nehmen. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen: Nur in großen Weltwirtschaftskrisen konnten Ressourcenverbrauch und Emissionen deutlich gesenkt werden. Ein Kapitalismus, der aus dem Zwang zu Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch aussteigt, ist nicht denkbar. Kapitalismus ohne Wachstum bedeutet auch für alle Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängen: Entlassungen, mehr prekäre Arbeit, Druck auf die Löhne. Weiteres Wirtschaftswachstum in den hochindustrialisierten Ländern ist aber nur um den Preis einer Verschärfung der sozial-ökologischen Krise zu haben. Auch der Traum von einem »grünen Kapitalismus« durch neue, ressourcen-effiziente Technologien ist kein Ausweg aus der Mehrfachkrise des kapitalistischen Wachstums: Die Einspareffekte bei Ressourcenverbrauch und Emissionen würden umgehend durch steigenden Konsum und weiteres Wirtschaftswachstum wieder zunichte gemacht.

Die kanadische Globalisierungskritikerin und Schriftstellerin, Naomi Klein, hat es in ihrem neuen Buch auf den Punkt gebracht: Kapitalismus oder Klima - wir müssen uns entscheiden. Deswegen sind die Bewegungen für Klimagerechtigkeit und für die Rechte der Flüchtlinge, die vor Armut, Krieg und auch vor den Folgen des Klimawandels fliehen, Gespenster, die wir willkommen heißen!

Unsere Perspektive im Kampf um die Zukunft lässt sich anhand zentraler Politikfelder konkretisieren. Dabei geht es uns nicht um ein zweites Parteiprogramm und auch nicht um eine erschöpfende Analyse des Elends der Welt, wir wollen keine Landkarte im Maßstab 1:1 zeichnen. Wir wollen vielmehr Sollbruchstellen im Heute zur Diskussion stellen, um dem Morgen zum Durchbruch zu verhelfen.

… und der Einstieg in den Ausstieg: Sozialismus 2.0

Die Herausforderung besteht - das ist nicht neu, sondern gehört zur historischen Erfahrung der sozialistischen Bewegung - darin, die chinesische Mauer zwischen isolierten Tageskämpfen einerseits und weitgespannten Zukunftsvorstellungen andererseits zu durchbrechen.

Der Schlüssel dazu ist, immer mehr Menschen in immer mehr Bereichen dazu zu befähigen, selbst für ihre Interessen einzutreten. Das ist kein abstraktes Fernziel, sondern etwas, das im Heute beginnt. Die folgenden, mit einander verbundenen Vorschläge sind insofern keine Utopien, sie sind nur das Einfache, das heute noch schwer zu machen scheint. Sie folgen der schlichten Einsicht, dass die Demokratie nur noch im Vorwärtsgang, also in der Demokratisierung des ganzen gesellschaftlichen Lebens, verteidigt werden kann. Damit wird ein altes Versprechen vor dem Hintergrund der neuen Erfahrungen aktualisiert: Ein ernstgemeinter Humanismus braucht seine Entsprechung in einem sozialen Universalismus, also die Sicherstellung der »sozialen Garantien des Lebens« (Rosa Luxemburg) für alle, ganz unabhängig vom bisherigen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt. Ein ernst gemeinter Humanismus braucht zudem eine Demokratie, die Freiheit und Gleichheit als Bedingungsverhältnis begreift. Es geht darum, das vom Neoliberalismus pervertierte Freiheitsversprechen gegen seine aktuelle Verfallsform zu wenden. Die kommende Demokratie ist daher kein fertiger Zustand, sondern ein offener Prozess. Ein Prozess, der die Fenster öffnen kann für einen freien, grünen, feministischen und lustvollen Sozialismus, einen Sozialismus 2.0. Die Chancen dazu sind auf der Grundlage des aktuellen Wissensstandes und der technologischen Entwicklungen so gut wie nie; die Gefahr sie zu verpassen aber auch.

Es geht dabei um eine völlig neue Weise des Produzierens, Lebens und Arbeitens. Kurzum um eine Revolution des Denkens, Fühlens und Handelns. Kern eines solchen Projektes ist immer noch die Umwälzung der herrschenden Produktions-, Reproduktions- und Eigentumsverhältnisse und die Verwandlung der Produktivkräfte und der technologischen Innovation in Mittel für die kollektive Selbstbestimmung: die Verfügung der Menschen über die Bedingungen, in denen sie leben und arbeiten. Es geht darum, die Demokratie aus ihrer Begrenzung auf das Parlament zu befreien, indem alle gesellschaftlichen Bereiche demokratisch durch die Menschen organisiert werden.

Insofern verstehen wir den neuen Sozialismus auch als eine kulturelle Revolution. Als ein völlig neues Wohlstandsmodell, in dem lustvolle Kooperation und Gestaltung, mehr selbstbestimmt verfügbare Zeit, die Entfaltung des Reichtums der Möglichkeiten und die Vielfalt des Arbeitens, Lebens und Liebens den privaten Warenkonsum als Sinnstiftung ersetzen.

Der Weg dahin kann kein einmaliger Sprung sein. Und er erfordert eine beständige, verbindende Arbeit. Noch verbinden sich die großen und kleinen Proteste, die Ansätze von Alternativen im Alltag, in denen Menschen im hier und jetzt anders arbeiten und leben, nicht zu einer »wirklichen Bewegung, die die den jetzigen Zustand aufhebt« - wie Marx und Engels das kommunistische Gespenst im Manifest nannten. Jedoch, das muss nicht so bleiben!

Für die kommende Demokratie, für den Einstieg in den Ausstieg aus dem Krisenkapitalismus sind in diesem Sinne mindestens die folgenden aufgeführten Politikfelder und Einstiegspfade entscheidend:

1. Kürzer, gerecht verteilt, kollektiv selbstbestimmt - Die Arbeit der Zukunft dreht sich um das Leben.

Millionen Menschen werden derzeit von der Arbeit und der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen. Prekäre Arbeit ist längst zur neuen Normalität geworden. Wir stehen vor der Entscheidung, wie wir die Arbeit der Zukunft organisieren wollen. Gegen eine Entwicklung, in der viele immer mehr arbeiten und immer weniger verdienen, in der Armut und unsichere Jobs es immer schwieriger machen, die Zukunft zu planen, braucht es eine radikale Umwälzung der Arbeitswelt. Allein um sich ein anderes Morgen vorstellen zu können, braucht es zum einen eine radikale Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit und eine Umverteilung der Tätigkeiten. Die gestiegene Produktivität macht es möglich, dass alle gut leben können und dabei mehr selbstbestimmte Zeit haben. Dazu müssen die sozialen Garantien des Lebens für alle abgesichert sein, als soziale Grundrechte. Die Möglichkeiten dafür sind in einem reichen Land längst vorhanden.

Wir brauchen eine Kulturrevolution in der Arbeitswelt und neue Formen der Klassenmacht, der organisierten Macht der Erwerbslosen, Prekären und Beschäftigten der verschiedenen Sektoren um das, was in einem reichen Land selbstverständlich sein sollte, auch durchzusetzen:

  • Jede Arbeit muss so bezahlt werden, dass Existenz und Teilhabe gesichert werden.
  • Es muss drin sein, die eigene Zukunft planen zu können und vor Altersarmut geschützt zu sein.
  • Arbeit und Arbeitszeit müssen so gestaltet sein, dass Leben und Arbeiten in Einklang gebracht werden können. Verschiedene Lebensphasen müssen sozial abgesichert sein: wie Aus- und Weiterbildung; das Kümmern um Kinder und Pflegebedürftige; eine berufliche Neuorientierung.
  • Arbeit darf nicht krank machen und auch nicht nach einigen Jahren zu Erschöpfung und Burn-Out führen. Deshalb her mit der Stressbremse!
  • Die Menschen müssen ihre Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte stärker kollektiv und demokratisch gestalten können.

Damit alle Menschen an der Gesellschaft teilhaben können, braucht es eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die ein Grundrecht ist. Keine Schikanen & Sanktionen durch Jobcenter! Denn aktiv werden Menschen von allein, wenn sie ihr Leben und ihre Arbeit ohne Angst wirklich gestalten können. Durch eine Verkürzung der Arbeit und den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur für Bildung, Pflege und Gesundheitsversorgung kann zudem die unfreiwillige Erwerbslosigkeit zurückgedrängt werden.

Die Arbeit der Zukunft muss sich mehr um das Leben drehen - statt wie bisher das Leben um die Arbeit: Flexible Arbeits- und Lebenszeiten müssen nicht gleichbedeutend mit Prekarität sein und können zu mehr Selbstbestimmung führen. Das setzt jedoch voraus, dass die Arbeit umverteilt und verkürzt wird und dass Beschäftigte sich infolge des Ausbaus von Mitbestimmungsrechten besser schützen können. Projekte wie die »kurze Vollzeit« oder »lange Teilzeit« mit einer 30-32 Stundenwoche und flexible Modelle für unterschiedliche Lebensphasen mit Sabbatjahren, Familien- und Bildungsauszeiten können dieser Kulturrevolution für gute Arbeit eine gemeinsame Strahlkraft verleihen.

Der Neoliberalismus hatte die Geschlechteremanzipation durch den Markt versprochen. Frauen sollten zu Unternehmerinnen ihres Alltags werden, in der Konkurrenz des Marktes ihre Selbstverwirklichung suchen und die Mehrfachbelastungen durch stressige Jobs, Erziehungsarbeit, Hausarbeit und Sorgearbeit »selbstbestimmt« meistern. Letztlich erwiesen sich jedoch Neoliberalismus und Patriarchat als echte Komplizen, die sich bei der Ausbeutung von Frauen besonders gut ergänzten. Schon deshalb, weil vor allem Frauen die Kürzungen bei der öffentlichen Versorgung und die Folgen der Sozialkürzungen auffangen mussten. Geschlechtergerechtigkeit sickert - mit den Worten der feministische Autorin Laurie Penny - nun einmal ebenso wenig wie Wohlstand einfach von oben nach unten durch.

In der Gesellschaft hat sich ein breit geteiltes Bedürfnis nach Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern entwickelt. Das Begehren nach neuen Beziehungen, nach einer gerechten Aufteilung der Familienarbeit und nach gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen das »Geschlecht unseren Träumen keine Zügel anlegt« (Laurie Penny) wächst. Das ist ein Fortschritt, an dem wir ansetzen können. Aber die materiellen Bedingungen umfassender Emanzipation werden nach wie vor blockiert. Derzeit sind z.B. überall, wo mehrheitlich Frauen arbeiten, die Löhne niedriger: ob im Supermarkt oder in der Altenpflege. Und nicht nur im Netz, sondern auch in der nicht-virtuellen Arbeitswelt, in Medien und Politik ist Sexismus allgegenwärtig. Doch auch hier wächst die Gegenwehr. Wer heute sexistisch auftritt, kann nicht mehr sicher davon ausgehen, dass still darüber hinweggesehen wird, sondern muss - nicht nur im Netz - mit einem #aufschrei rechnen. Auch ein Fortschritt, der uns ermutigt.

Insgesamt steht der neue feministische Aufbruch vor der Frage: selbstbestimmt leben für alle oder halbierte Emanzipation? Dieser feministische Aufbruch sollte daher Hand in Hand gehen mit den Kämpfen um Zeit. Schließlich muss im Leben von Männern und Frauen im gleichen Umfang Zeit sein für Erwerbsarbeit, Sorge- und Familienarbeit, politische Einmischung und Muße. Das erfordert neben einer radikalen Arbeitszeitverkürzung auch die Umverteilung der Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern.

Was wir in Zukunft unbedingt beenden wollen, ist die Benachteiligungen von Frauen. Die Bekämpfung von Lohndiskriminierung ist deshalb ein Muss. Die Arbeit mit Menschen, z.B. in Kitas, Schulen, Pflegeheimen und Krankenhäusern, die immer noch überproportional von Frauen erledigt wird, muss aufgewertet werden, beispielsweise durch mehr Personal und eine demokratische Gestaltung dieser Bereiche durch Arbeitende und Betroffene. Dies sind erste Schritte zu einer Care-Revolution, die auf nicht weniger als eine solidarische Gesellschaft für alle abzielt. Also auf eine Gesellschaft, in der nicht mehr die Profitmaximierung, sondern menschliche Bedürfnisse und die Sorge füreinander im Zentrum stehen. Eine Perspektive, die sowohl Patriarchat wie Kapitalismus in Frage stellt.

2. Unser Plan B beginnt mit Wirtschaftsdemokratie und sozial-ökologischer (Energie-)Wende.

Um die Arbeit der Zukunft zu verwirklichen, müssen wir das gesamte herrschende Produktionsmodell, das sich an hohen Renditen für die Finanzanleger und der Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft orientiert, überwinden. Stattdessen kämpfen wir für eine demokratische Verfügung über die Wirtschaft. Angesichts der Klimakrise stehen wir vor der Entscheidung, ob wir so weiter machen wie bisher oder ob wir eine radikale sozial-ökologische Transformation unseres Wirtschaftsmodells auf den Weg bringen. Die Perspektive einer sozial-ökologischen Wirtschaftsdemokratie oder demokratischen Zukunftswirtschaft kann uns helfen, die schwierige Aufgabe anzugehen, neue solidarische und ökologische Weisen des Wirtschaftens, Konsumierens und miteinander Lebens gegen Widerstände durchzusetzen. Wir müssen die Verfügungsmacht der Vermögenden und der Konzerne über den gesellschaftlichen Reichtum brechen. Ohne eine radikale Umverteilung des Reichtums, ohne die demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und die Vergesellschaftung der Banken wird das nicht gehen. Durch die Stärkung von öffentlichem und kollektivem Eigentum können die Entscheidungen, was wo für welche Zwecke investiert und produziert wird, demokratischer Kontrolle unterworfen und die Produktion am gesellschaftlichen Bedarf der Menschen und an ökologischen Kriterien, statt an privaten Profitinteressen ausgerichtet werden. Eine grundlegende Transformation der Wirtschaftsweise und eine ökologische Konversion der Industrie können wir nur erreichen, wenn wir die Frage der Vergesellschaftung, der demokratischen Kontrolle der »Schlüsselindustrien« auf dem Niveau des Stands der technologischen Entwicklung und in transnationaler Perspektive neu aufwerfen.

Wir schlagen vor, für Einstiege in diesen radikalen Umbau der Wirtschaft zu kämpfen:

  • Eine ökologisch zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft braucht mehr regionale und dezentrale Produktion z.B. in der Landwirtschaft. Die Förderung von Genossenschaften und regionalen Kooperativen kann dazu ein wichtiger Schritt sein.
  • Durch Wirtschaftsräte und öffentliches Eigentum könnten die Schlüsselindustrien - von der Auto- und Maschinenproduktion bis zu den Pharma- und IT-Konzernen - demokratisiert werden. Die ökologische Konversion der Industrie weg von den destruktiven Technologien und Klimakillern kann nur gelingen, wenn die Beschäftigten, die Konsumentinnen und Konsumenten und Bürgerinnen und Bürger selbst die Prozesse demokratisch
  • organisieren können.
  • Die sozial-ökologische Energiewende ist ein Schlüsselprojekt, das wir mit einer Demokratisierung und Dezentralisierung der Energieversorgung verbinden. Bestandteile davon sind die Überführung der Energiekonzerne in gesellschaftlich kontrolliertes Eigentum, die Förderung von Energiegenossenschaften oder der Kampf für neue, demokratisch durch Bürgerräte kontrollierte Stadtwerke.

In einer demokratischen Zukunftswirtschaft müssen der entwickelte Reichtum des gesellschaftlichen Wissens und die Früchte der digitalen Revolution allen zugutekommen. Die Eigentumsverhältnisse sind hier längst zu Fesseln geworden, die verhindern, dass der technologische Fortschritt seinen Gebrauchswert für die Menschen entfalten kann. Doch die Potenziale für ein selbstbestimmtes Arbeiten und Leben wie auch für eine neue Form der Demokratie sind riesig. Die krampfhaften Versuche von Regierungen und Unternehmen, die neuen produktiven Netzwerke der digitalen Kommunikation und des Wissens durch Patente und Copy Right-Verfahren wieder warenförmig einzuhegen, scheitern immer wieder an der Kreativität der Menschen und dem Cyberpunk der Internetcommunity. Sie untergraben auch die Produktivität der digitalen Ökonomie selbst, die wesentlich auf der freien Zugänglichkeit und der offenen Entwicklungsfähigkeit der Produktionsprozesse basiert. Demgegenüber sind der selbstorganisierte Medienaktivismus und die Bloggerszene gute Beispiele, wie sich das Wissen und die Technologie vom erdrückenden Einfluss des Finanzkapitalismus befreien lassen. Denn hier wird Brechts Radio-Theorie, dass jeder Empfänger auch ein Sender ist, schon ansatzweise Wirklichkeit. Die demokratischen und produktiven Potenziale des Internets könnten sich entfalten, wenn wir die Dominanz des kapitalistischen Eigentums überwinden. Die Kämpfe der Zukunft drehen sich hier um den freien und gleichen Zugang zu Kommunikation, Wissen und Kultur, um die Abschaffung der Überwachung durch Staaten und Konzerne, um die öffentliche Finanzierung freier Medien und Kulturschaffender. Kollektiv produzierte Commons und neue Formen demokratischer digitaler Kooperation können sich aber erst flächendeckend durchsetzen, wenn wir es schaffen, die Kommunikationsinfrastruktur den großen IT-Konzernen zu entreißen.

The Revolution will not be televised, but it could be streamed. Das setzt natürlich voraus, dass Menschen aktiv werden, dass es etwas zu streamen gibt.

3. Eine Offensive fürs Öffentliche - auf dem Weg zu einem Infrastruktur-Sozialismus.

Der Finanzmarktkapitalismus tendiert dazu, selbst die lebenswichtigen Bereiche der Gesellschaft zur Ware zu machen: Bildung, Wissen, Gesundheit, Mobilität, Energie- und Wasserversorgung werden dem Profit unterworfen. Die Alternative zu dieser zerstörerischen Landnahme heißt: Die Wirtschaft muss am Bedarf orientiert werden, statt an den privaten Profiten. Eine demokratische Zukunftswirtschaft kann die Grundlagen dafür legen, dass alle Menschen gleichen Zugang zu den lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen haben. So können wir die Möglichkeiten für individuelle Entfaltung und kollektive Selbstbestimmung vervielfältigen.

Gegen den Raubzug der Konzerne und den Plan von Juncker und Gabriel zur Privatisierung der Infrastruktur in Europa setzen wir deswegen ein Zukunftsinvestitionsprogramm von 100 Milliarden Euro für den Ausbau von guter Bildung, Gesundheit und Pflege, sozialem und barrierefreiem Wohnungsbau. Das ist ein Einstiegsprojekt, das auf die Stärkung und Demokratisierung des Öffentlichen bei gleichzeitiger Umverteilung des Reichtums abzielt.

Die Herausforderung besteht darin, an konkrete Auseinandersetzungen um Löhne und Arbeitsbedingungen in den sozialen Dienstleistungen und im Bildungsbereich, an Initiativen für öffentliche Krankenhäuser und kleine Schulklassen, Proteste für gute Studienbedingungen und gegen die Eliteorientierung an den Hochschulen anzudocken. Projekte wie das kostenfreie Kita-Jahr in Thüringen, ein kostenfreier öffentlicher Nahverkehr und eine kommunal organisierte Energieversorgung sind wichtige Einstiege in die Zukunftskämpfe um Stärkung und Demokratisierung des Öffentlichen.

Die neue Offensive fürs Öffentliche schöpft ihre Phantasie nicht aus der Vergangenheit, sie will die Uhr nicht einfach zurückdrehen in Richtung eines oft bürokratischen öffentlichen Dienstes und einer Verwaltung des Sozialen. Es geht um die Schaffung neuer Commons: für alle zugängliche öffentliche Güter jenseits des Marktes, mit guten Arbeitsbedingungen, demokratisch organisiert und ökologisch zukunftsfähig. Diese brauchen eine staatlich unterstützte Infrastruktur. Wenn der Bereich des Öffentlichen ausgeweitet und auf neue Weise demokratisch von Produzierenden und Nutzenden gestaltet wird, brechen wir auf zu neuen Ufern: in Richtung eines Infrastruktur-Sozialismus und einer damit verbundenen neuen Kultur des Wohlstands und des Reichtums der Möglichkeiten: Lebensqualität und Selbstbestimmung für alle, statt mehr privatem Warenkonsum.

4. Eine neue Commune - für die Demokratisierung der Kommunen und das Recht auf Stadt!

Die kommunale Ebene ist der Ort, an dem sich die Zukunftskämpfe um viele dieser Einstiegsprojekte, vom kostenfreien Nahverkehr über die demokratischen Stadtwerke bis hin zu den kommunalen Wirtschaftsräten, bündeln werden. Sie ist auch der Ort, an dem Demokratie für die Menschen erlebbar wird - letzteres ist Konsens bei fast allen Parteien. Doch die Richtung, in die der neoliberale Kapitalismus unsere Städte und Gemeinden verändert, hat nichts mit »wirklicher Demokratie« zu tun. Denn das beständige Lob der lokalen Demokratie geht seit Jahren einher mit ihrer finanziellen Austrocknung, sodass kommunale Demokratie vielerorts zur Verwaltung von Sachzwängen schrumpft. Das gilt vor allem unter den Bedingungen der Schuldenbremse. Zudem wirkt es als Treibstoff der Politikverdrossenheit, wenn Mitbestimmung vor allem bedeutet, mit entscheiden zu dürfen, ob eher das Freibad oder die Bücherei geschlossen wird. In den Kommunen sind die Verwerfungen und Spaltungen, die der neoliberale Gesellschaftsumbau produziert, besonders spürbar. Die Kommunen werden gemäß den Interessen von Konzernen und Vermögenden umgebaut oder sie verfallen, weil Investitionen fehlen. Während Städte und Kommunen im Standortwettbewerb um Investitionen konkurrieren, drängt der damit einhergehende neoliberale Umbau Langzeiterwerbslose, Arme, Obdachlose, Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge und Illegalisierte sowie oft auch Menschen mit Behinderungen an den Rand. Auf der Jagd nach neuen Anlagemöglichkeiten für die Superreichen werden ganze Stadtteile gentrifiziert, Menschen durch steigende Mieten verdrängt, öffentlicher Grund und Boden privatisiert. Die Privatisierungen von Energieversorgung, Nahverkehr und Schwimmbädern verstärken die Spaltung der Gesellschaft.

Wirkliche Demokratie auf kommunaler Ebene braucht eine materielle Grundlage. Die globale Bewegung für ein Recht auf Stadt meint: Die Städte und Kommunen gehören denjenigen, die dort leben. Alle Menschen müssen sich an der Gestaltung der kommunalen Infrastruktur beteiligen können, sei es durch neue Formen demokratischer Stadtplanung, durch die Förderung von Wohnungsgenossenschaften oder durch demokratisch gestaltete Stadtwerke.

Zum Recht auf Stadt gehört eine solidarische Willkommenskultur: Alle Menschen müssen sich unabhängig von ihrer Herkunft gleichberechtigt beteiligen können. Willkommenskultur braucht aber ebenfalls neue materielle Grundlagen, damit nicht Flüchtlinge gegen Erwerbslose, Prekäre oder Facharbeiterinnen und Facharbeiter ausgespielt werden und sich Solidarität im Alltag entwickeln kann.

Den autoritären Zwillingen einer rassistischen Mobilisierung gegen die vermeintliche »Islamisierung« und einer neoliberalen Politik, die durch gesellschaftliche Spaltung und Verunsicherung den Boden dafür bereitet, setzen wir die Perspektive einer machtvollen Bewegung gegen Prekarisierung, für das Recht auf Stadt und wirkliche Demokratie von unten entgegen. Konkrete Ansatzpunkte dafür gibt es viele. Denn aus Protest gegen Pegida sind beispielsweise bundesweit tausende Menschen auf die Straße gegangen und immer mehr Menschen engagieren sich konkret für Flüchtlinge vor Ort.

5. Europa braucht eine demokratische Revolution.

Der Kampf für ein demokratisches, sozial gerechtes und friedliches Europa im Rahmen einer neuen, gerechten Welt(wirtschafts)ordnung ist der Horizont einer linken Zukunftspolitik. Die wachsende soziale Polarisierung in Europa zeigt, dass die neoliberale Konstruktion keine zukunftsfähige Grundlage für ein soziales und demokratisches Europa der Menschen ist. Gerade weil die neoliberalen Technokraten Europa zu einem Spielball der Konzerne degradieren und die erstarkenden Rechtspopulisten es zerstören wollen, ist es aber die historische Aufgabe der Linken für eine demokratische und soziale Neugründung Europas zu kämpfen. Für eine Neuausrichtung, die mit seiner neoliberalen Konfiguration bricht und die Abschottung der Festung Europa beendet. Massenerwerbslosigkeit, Armut und Prekarisierung, besonders der Raub der Zukunft einer ganzen Generation junger Europäerinnen und Europäer, lassen neue Bewegungen entstehen. Noch hat sich aus den vielen regionalen und nationalen Kämpfen gegen die Folgen der Krise und der Austeritätspolitik keine starke europaweite Bewegung für ein anderes Europa entwickelt. Aber als Linke stehen wir in den nächsten Monaten und Jahren vor der Herausforderung daran zu arbeiten. Denn in den kommenden Kämpfen um die Zukunft Europas, geht es um eine menschenwürdige Zukunft von Millionen Menschen in Europa und um die Zukunft der Demokratie!

Gemeinsam mit vielen Menschen in unseren europäischen Nachbarländern wollen wir für Einstiege in eine demokratische Neugründung in Europa kämpfen:

  • Wir brauchen eine Schuldenkonferenz und ein europaweites Zukunftsinvestitionsprogramm zur Bekämpfung der Jugend- und Massenerwerbslosigkeit, der Armut und prekären Arbeit. Der Machtmissbrauch der europäischen Zentralbank zur Durchsetzung neoliberaler Politik beim Ankauf von Staatsanleihen muss gestoppt werden. Statt die Finanzmärkte mit Geld zu fluten und so neue Spekulationsblasen zu nähren, müssen den Staaten Mittel für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, gute Bildung, Gesundheitsversorgung, und den sozial-ökologischer Umbau der Wirtschaft, der Energieversorgung und Mobilität zur Verfügung gestellt werden. Zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen und Schrumpfung der Finanzmärkte braucht es europaweit eine radikale Umverteilung des Reichtums.
  • Wir wollen das neoliberale Wirtschaftsmodell und seine Festschreibung in den Europäischen Institutionen durchbrechen. Der Verfassungs-Vertrag von Lissabon und der Fiskalpakt stärken die Bastionen der Macht der Vermögenden, Banken und Konzerne. Wir kämpfen für einen neuen Verfassungsprozess von unten, in dem die Menschen die Initiative haben sowie für eine soziale und ökologische Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene.
  • Wir kämpfen für soziale Rechte für alle sowie für koordinierte Sozialstandards in Europa, die Sozialdumping verhindern und die Gewerkschaften stärken. Die Forderungen nach einer Europäischen Arbeitslosenversicherung und einer sanktionsfreien Mindestsicherung, nach einem europäischen Zukunftsinvestitionsprogramm mit der Perspektiven europäischer Commons sowie einer erneuerbaren Energierevolution, nach einer europäischen Vermögenssteuer und nach europaweiten Volksentscheiden, könnten mobilisierend wirken für eine europaweite Bewegung gegen die Prekarisierung von Arbeit und Leben und für die Demokratisierung.
  • In einer Festung Europa, geschweige denn einer im Kriegszustand, kann sich keine demokratische Gesellschaft entwickeln. Die tödliche Jagd von Frontex auf Flüchtlinge an den Außengrenzen muss sofort beendet und Frontex muss aufgelöst werden. Außerdem muss die EU einen Abrüstungsvertrag inklusive des Verbotes von Rüstungsexporten vereinbaren und dem Aufbau einer Interventionsarmee eine Absage erteilen. Die Arbeit an einer gerechten Welt(wirtschafts)ordnung ist die beste Sicherheitspolitik. Und schließlich braucht es den grenzübergreifenden Ausbau der demokratischen Grundrechte in Europa - statt Kriminalisierung sozialer Bewegungen und zunehmender Relativierung von zentralen Grundrechten, wie Demonstrations- und Meinungsfreiheit.

Selbst wenn man wollte, hinter den erreichten Stand der Integration gibt es kein linkes zurück. So wie einst die französischen Avantgardisten für die Kunst der Zukunft forderten, sie, die Kunst, müsse absolut modern sein, so sagen wir heute über die Linke der Zukunft: Sie muss absolut europäisch sein.

Die Hoffnung organisieren: die Partei der Zukunft

Diese knappe Skizze von Einstiegsprojekten zu einer wirklichen Demokratie, zum Sozialismus 2.0 ist sicherlich nicht vollständig, so manches, was sich in Europa dringend ändern muss, fehlt. Vieles wird sich im Prozess erst ergeben, ja vielleicht noch erfunden werden müssen. Ganz sicher ist heute aber schon, dass wir uns auch fragen müssen, inwiefern wir uns als Partei dabei selbst verändern, wie sich der Modus unserer Politik weiterentwickeln kann, um den Potentialen der kommenden Demokratie entsprechen zu können. Denn: wenn nichts bleibt, wie es ist - weshalb sollte das ausgerechnet an einer linken Partei spurlos vorbei gehen? Wie heißt es so treffend in Marx‘ 3. Feuerbachthese: Revolutionäre Praxis bedeutet das Zusammenfallen von beidem - das Ändern der Umstände und die Selbstveränderung.

Für die Antwort auf diese Frage, müssen wir nicht alles neu erfinden. DIE LINKE ist keine Partei, wie die anderen. Wir sind als verbindende Partei einer pluralen Linken bereits Teil der Kämpfe und bei vielen Bewegungen, wie Blockupy oder den Aktionen gegen das TTIP, ein integraler Bestandteil der Mosaiklinken. Die erfolgreiche Stabilisierung unserer Partei in den letzten Jahren, viele auf den Weg gebrachte Projekte der Parteientwicklung, die Kontaktstelle Soziale Bewegungen, Nachwuchsförderung, gemeinsame Mobilisierungen mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften sowie in Wahlkämpfen, tragen erste Früchte. Zudem wirken wir jetzt schon: Der Durchsetzung des Mindestlohns ist - so ungenügend er bisher auch ist - jahrelange Arbeit vorangegangen. Ohne uns hätte sich der gesellschaftliche Diskurs nicht verschoben. Das zeigt: Wir bilden nicht nur bestehende Kräfteverhältnisse ab, sondern stellen das Feld der Repräsentierten aktiv her - und verändern es mit.

Zugleich lautet eine wichtige Erfahrung des südeuropäischen Frühlings: Die Menschen müssen die Fesseln, die sie an einem selbstbestimmten Leben für alle hindern, selbst durchtrennen. Peter Weiss schreibt treffend in »Die Ästhetik des Widerstandes«: »Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Folgen.« Sich ausschließlich auf klassische Stellvertreterpolitik und die Funktion einer Wahlpartei zu reduzieren, muss daher scheitern. Das wäre auch schon deshalb falsch, weil eine solche Fokussierung an dem weitverbreiteten Bedürfnis nach einer Erneuerung der Demokratie vorbeigeht. Die Entwicklung von Syriza und Podemos hat außerdem gezeigt, dass eine Partei in sozialen Bewegungen und Kämpfen wichtige Funktionen einnehmen kann, wenn sie diese unterstützt und nicht instrumentalisiert. Die Perspektive einer verbindenden Partei ermöglicht es, den Horizont der Organisationsform Partei zu weiten und eine emanzipatorische Politik zu entwickeln, die darauf zielt, unterschiedliche Gruppen und Milieus mit der Perspektive auf eine Überwindung des neoliberalen Kapitalismus zu verbinden und die Form des Politischen selbst in Richtung »wirklicher Demokratie« zu verändern.

In diese Richtung haben wir uns bereits auf den Weg gemacht, jetzt geht es darum, gemeinsam neuen Schwung für die nächsten Schritte zu entwickeln.

Wir wissen: das zu erreichen, ist keine kleine Aufgabe. Denn konkret heißt das mindestens Dreierlei:

  1. Wir sollten die Machtfrage auf allen Ebenen stellen.
    Um gesellschaftliche Macht aufzubauen und den Kampf für eine andere Hegemonie irgendwann gewinnen zu können, braucht es eine emanzipatorische Klassenpolitik 2.0. Denn Klassenkämpfe - davon zeugen u.a. die Kämpfe gegen die schlimmsten Auswüchse von Prekarität bei Amazon oder der Kitastreik - sehen heute anders aus. Sie sind zugleich Kämpfe um Geschlechtergerechtigkeit, gegen Rassismus und für globale Solidarität, für Klimagerechtigkeit und eben globale Demokratie. Die Partei muss sich daher auch kulturell öffnen für andere Identitätskonzepte und die Themen all derjenigen, die in ihrem Leben mehr sein wollen als nur fleißige Ameisen im Standort Deutschland.
    Träger einer Demokratisierung von Unten könnte in diesem Sinne ein Bündnis bestehend aus Erwerbslosen, Prekarisierten, Beschäftigten, insbesondere den wachsenden Beschäftigtengruppen im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegebereich sowie den urbanen linken Milieus und der neuen europäischen Generation sein. Ja in Europa ist inzwischen eine Generation herangewachsen, für die es eine Selbstverständlichkeit ist, Europa grenzüberschreitend zu leben. Viele von ihnen leiden jedoch unter der herrschenden EU-Politik. Damit solch ein Bündnis gelingt, sollten wir klar haben, für wen und zu wem wir sprechen. Und das ist weniger die veröffentliche Meinung, als diejenigen, die sich nicht mehr repräsentiert fühlen.
  2. Für Transformative Organizing und neue Agenten des Gemeinsamen.
    Eine emanzipatorische Hegemoniepolitik, ein neuer Linkspopulismus brauchen sowohl eine neue Sprache wie eine neue Konfliktfähigkeit - auch bei der LINKEN. Wir müssen in der Lage sein, Kämpfe zu verbinden, Konflikte auszuhalten und gemeinsame Perspektiven zu entwickeln. Es braucht Agenten des Gemeinsamen, die im Bewusstsein der Unterschiede und Ungleichzeitigkeiten an pragmatischen Lösungen arbeiten. Das heißt nicht zuletzt auch den Sound der Straße hören und immer wieder neu sprechen zu lernen. Deswegen schlagen wir - in der Tradition der »Kümmererpartei« - eine Offensive des Zuhörens vor, in der z.B. Offene Büros unserer Partei als Foren für soziale Bewegungen und Anlaufpunkte für ein Transformative Organizing in den Stadtteilen und Kommunen dienen können, um gemeinsam Solidarität, Willkommenskultur und die Selbstermächtigung im Alltag zu stärken. Damit könnten wir auch unsere Kampagnenfähigkeit vor Ort stärken.
    Darüber hinaus müssen wir als Partei die Möglichkeiten der digitalen Gesellschaft besser nutzen. Über das Internet können wir von der Meinungsmacht der Medien unabhängiger werden und zugleich seiner dunklen Seite, den Verschwörungstheorien und Hetzportalen, mit eigenen Angeboten und Argumenten entgegen treten. In diesem Sinne schlagen wir die Schaffung eines eigenen Internet TVs vor - das wir zusammen und ganz im Sinne der Schaffung eines Europas von Unten, womöglich sogar mit den Genossinnen und Genossen von Syriza starten könnten.
  3. Laboratorien der Zukunft schaffen.
    Die Zukunftswoche kann ein Anfang sein für die gemeinsame Diskussion über die Zukunftsträume, die linken Alternativen und Strategien, über die Partei der Zukunft. Lasst uns anhand der fünf Themenachsen, die je unterschiedliche Bündelungen der Kämpfe um die Zukunft sind, Laboratorien der Zukunft schaffen, in denen wir uns vernetzen und unsere Ideen zu ausstrahlungskräftigen Projekten und Strategien weiter entwickeln. Die am 1. Mai beginnende Kampagne »Das muss drin sein« gegen prekäres Arbeiten und Leben ist in diesem Sinne auch eine Blaupause; ein selbstorganisierter Lernprozess, in dem Mitmachen nicht nur bedeutet, einen bereits fertigen Plan umzusetzen, sondern Räume für Austausch zu schaffen, Fähigkeiten zur Organisierung zu entdecken und sie zu verbreiten.
    Die Partei der Zukunft sind wir alle. Wir sind nicht nur schon anders als die anderen Parteien, wir wollen uns in Zukunft noch deutlicher von den verschiedenen parteipolitischen Varianten der Postdemokratie unterscheiden. Dazu braucht es aber nicht zuletzt eines: Eure Beteiligung. Denn nur als aktive Mitgliederpartei können wir auch außerhalb von Wahlkämpfen die geplanten Kampagnen umsetzen, die nötigen Kämpfe führen und unsere Verankerung im Alltag der Menschen verbreitern. Es gibt bereits viele verschiedene Bereiche in der Partei und Leuchtturmprojekte wie die offenen Büros LinXXNet und RedroXX oder die Diskussionszusammenhänge zum Plan B, bei denen eine breite Beteiligung erwünscht und möglich ist. Solche Laboratorien der Zukunft wollen wir noch deutlich ausbauen und so Möglichkeiten einer praktischen Beteiligung schaffen.

Zugegeben: Wir haben viel vor. Der Versuch mit dem business as usual auch innerhalb der gesellschaftlichen Linken zu brechen, ist nicht einfach und verlangt uns allen viel ab. Aber wir sind uns sicher, dass es sich lohnt. Denn: Wie die Zukunft aussieht, entscheidet sich nicht morgen, sondern heute. Wir haben mehr zu verlieren als unsere Ketten, aber immer noch eine Welt zu gewinnen. Gegen die organisierte Traurigkeit des Kapitalismus wie gegen seine reaktionäre Kritik von rechts war die linke Wette immer, dass es die Menschen selbst sind, die ihre gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmen können, dass Geschichte machbar ist. Beweisen wir es. Jetzt.

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