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Fluchtpunkt Uni-Campus

Schleswig-Holstein will neue Erstaufnahmeeinrichtungen nun selbst bauen

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge, mehr hauptamtliche Helfer, Geld für Sprachkurse, neue Verteilungskriterien: Die Flüchtlingskonferenz in dieser Woche eröffnet für Schleswig-Holstein neue Wege.

Während auf Bundesebene der Flüchtlingsgipfel bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor der Tür steht, fand in Schleswig-Holstein in dieser Woche eine erste landesweite Flüchtlingskonferenz bereits statt. Ein Ergebnis ist die Erkenntnis, dass eine erfolgreiche Integrationspolitik und Willkommenskultur nicht zum Nulltarif zu haben ist und auf den Schultern von Ehrenamtlichen abgewickelt werden kann.

Derzeit fehlt es in Schleswig-Holsteins an Erstaufnahmeplätzen, so dass sich der Aufenthalt der Flüchtlinge in diesen Einrichtungen in Neumünster und Boostedt (Kreis Segeberg) derzeit auf nur wenige Tage beschränkt – sinnvoller wäre ein jedoch ein sechswöchiger Aufenthalt. Die Verlegung der Flüchtlinge in die Kreise und kreisfreien Städte erfolgt sehr kurzfristig, so dass auch in den Kommunen die Bereitstellung von Wohnraum für Flüchtlinge immer schwieriger wird. In Reinbek (Kreis Stormarn) wurde das Rathaus zur provisorischen Bleibe, SPD und Grüne haben ihre Sitzungsräume zur Verfügung gestellt. Dazu kommt eine Teeküche und ein neu errichtetes Bad.

Ein Willkommensklima hat auch etwas mit der Akzeptanz der Flüchtling vor Ort zu tun, auch Schleswig-Holstein gibt es damit Probleme, wie Aktionen von Neonazis zeigen. Die SPD-geführte Regierung unter Ministerpräsident Torsten Albig will nun neue Erstaufnahmeeinrichtungen mit jeweils 600 Plätzen auf den Universitätsarealen von Kiel und Flensburg errichten. Später sollen diese als Studierendenwohnheime genutzt werden können. Die Universitätsleitungen in Kiel und Flensburg stellen sich nicht quer, und vor allem die Studierenden sind nach eigenen Angaben begeistert von der Idee.

Auch die Stadt Lübeck soll 600 Flüchtlinge zur Erstaufnahme beherbergen, hat auf ihrem Universitätsgelände aber keine freie Fläche dafür. Deshalb soll im angrenzenden Stadtteil Bornkamp die Unterbringung erfolgen, doch da regt sich Widerstand. Die besser situierte Bevölkerung dort möchte einer sich formierten Bürgerinitiative zufolge zwar gerne Flüchtlinge mit Integrationsperspektive aufnehmen, aber keine Erstaufnahmeflüchtlinge. Derzeit wird in Lübeck überlegt, das als Polizeiquartier zum G7-Außenministertreffen im April errichtete Containerdorf nun für Flüchtlinge zu nutzen. Kritiker, darunter die Linksfraktion, wollen jedoch an einer dezentralen Unterbringung festhalten, die sich in Lübeck bewährt habe.

Lob von den LINKEN gab es jedoch für die letzte Amtshandlung der Sylter Bürgermeisterin Petra Reiber (parteilos), die zum Monatswechsel ausschied. Sie kündigte an, die Gemeinde wolle im Zuge der unmittelbaren Gefahrenabwehr eine leer stehende ehemalige DAK-Klinik in Westerland zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmen. Es drohe ansonsten Obdachlosigkeit.

Zu den Vereinbarungen auf der Kieler Flüchtlingskonferenz gehört auch die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge, die bürokratische Bittstelleranträge bei Sozial- und Ausländerämtern unnötig machen soll. Hamburg und Bremen verfahren bereits mit solch einer Gesundheitskarte. Landesweit sollen Kreise und kreisfreie Städte hauptamtliche Flüchtlingsmanager bekommen. Die Kommunen erhalten pro aufgenommenen Flüchtling eine Integrationspauschale von 900 Euro, die vor allem auch für Sprachkurse verwendet werden soll. Bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen sollen Sprachförderung und Berufsberatung greifen.

Künftig soll auch die Verteilung der Flüchtlinge nicht mehr nach sturen statistischen und proportionalen Einwohnerzahlen erfolgen, sondern nach örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten. Für all diese Maßnahmen kommen auf den Landeshaushalt 2016 Kosten in Höhe von 180 Millionen Euro zu. 2012 waren es 45 Millionen.

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein begrüßt die verabredeten Zielvereinbarungen. Die oppositionellen Parteien von CDU, FDP und Piraten erkennen erklärtermaßen viel gut gemeinte Lyrik und Prosa, zweifeln aber an der Umsetzung. Die Piraten-Abgeordnete Angelika Beer nannte Albigs Verlautbarungen eine »pastorale Rede«. Beer weiter: »Die Landesregierung wird sich jetzt an ihren Taten messen lassen müssen.«

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