Wie befreiend kann Lachen sein?

Eine Reise durch den Gaza-Streifen: Hip-Hop und Straßentheater, politischer Protest und ein Liebeslied an Gaza

  • Miriam Sachs
  • Lesedauer: 7 Min.
Im Gaza-Streifen kämpfen junge Musiker als Stand-up-Comedian und Rapper gegen die allgegenwärtige Zensur. Noch schwerer hat es das Theater. Die Spielstätte in Gaza ist geschlossen.

Ich fahre mit dem Taxi durch die Straßen von Gaza, vorbei an Graffiti-Mauern, die Arafat zeigen und Scheich Jassin, den Mitbegründer der Hamas, weit und breit die einzigen Zeugnisse von Kunst. Als das Al-Mishal Theater in Sicht kommt, erkenne ich es erst nicht. Auf den zweiten Blick geht der ernüchternde Bau mit den breiten Treppenstufen, die in gähnend schwarze Leere zu führen scheinen, dann aber doch als Theater durch. Eine nahöstliche Variante der Volksbühne. Könnte es so einfach sein? Man steigt aus einem Taxi und geht ins Theater - in Gaza?! Leider geschlossen und keiner da! Kein Schaukasten zeigt Bilder oder Plakate. Keine Vorstellung in Sicht.

Den Vorschlag meiner Freunde, stattdessen einen Standup-Comedian zu sehen und andere junge Künstler - Schauspieler und Musiker - nehme ich gerne an. Ich bin gespannt auf Live-Commedy, versuche herauszufinden, welche Themen mich erwarten. Ausschließlich anti-israelisch? Auch Hamas-kritisch? Wie politisch darf eine solche Veranstaltung im von der Hamas regierten Gaza-Streifen sein? Wie schwarz ist der Humor hierzulande? Wie befreiend kann Lachen sein? Und welche Art von Bühne erwartet mich?

Ein Missverständnis: Wir sehen keine Hinterhofbühnenshow, wir gehen in eine Künstler-WG. Der Stand-up-Comedian Ghassan Mohsin sieht aus wie ein 16-jähriger Jerry Lewis, hat abstehende Ohren und eine Zahnspange, seine Shows spielt er nicht vor Publikum, er stellt sie ins Netz. Der ebenfalls sehr junge Schauspieler Majd Antar hat Bühnenerfahrung - aber eher aus Kindertagen: Er stand schon als 12-Jähriger auf der Bühne. Jetzt ist eher Film sein Medium. Hätten sie einen Sender wie Pro 7 zur Hand, die beiden könnten Joko und Claas Konkurrenz machen, aber im Gaza-Streifen gibt es nur das von der Hamas betriebene Al-Aksa-TV. Bleibt also nur das Internet.

Majd ist auch Musiker, unterwegs in verschiedenen Bands, die heißen »Antara«, »Revolutionmakers« und »I don’t know«. Eigentlich wollte ich über Theater reden, aber Rap scheint augenblicklich die gefragtere Ausdrucksform zu sein. Majads Kollege Mohammed Elsusi, der andere »Revolutionmaker«, kommt zum Tee. Mohammed hat jede Menge zu sagen. Seine Songtexte zeichnet bittere Poesie aus, »Gaza« ist darin die Geliebte, deren Verlust droht. Viele junge Künstler kehren »ihr« den Rücken zu, weil es im Gaza-Streifen unmöglich ist, öffentlich aufzutreten.

Da ist nicht neu. Die Theater - und Musikszene (Kino gibt es prinzipiell nicht!) kämpfte auch vor dem letzten Krieg mit der Zensur: Spielstätten wurden geschlossen, wenn sie gegen die von der Hamas eingeführte Entscheidung 48 verstießen, nämlich gegen das Verbot, Parteimitglieder der Fatah zu beschäftigen. Progressive, gar westliche Theaterstücke hatten es schwer, wurden genauestens geprüft - die Texte oft als anstößig und »ungeeignet für die Kunst und den Geschmack des Publikums« abgesetzt. Die Schmerzgrenze der Hamas-Zensoren ist niedrig: bereits die Anwesenheit von Frauen auf der Bühne wird oft nicht toleriert. Schauspielerinnen sind Anfeindungen ausgesetzt, früh oder später wandern die meisten aus.

Auch die Konzerte von Antar und Elsusi müssen von verschiedenen Institutionen genehmigt werden. Als Grund für ein Auftrittsverbot wird oftmals angegeben, die Performance enthalte pornografische Gesten.

Auf der Internetseite »Al-Monitor« war ich auf eine ägyptische Theatercompany gestoßen, die u.a. auch in den palästinensischen Gebieten Straßentheater macht Gebieten. Mit wenig Aufwand, ebenfalls mit Rap-Einlagen, oft in der Improvisation und mit den Vorgaben des Publikums. Improtheater - gut vorstellbar, dass in Ländern, in denen die Menschen mit so viel eigenem Drama belastet sind und kaum Gelegenheit oder Geld haben, um ins Theater zu gehen, diese Theaterform eine wunderbare Alternative wäre: Was im Augenblick entsteht und das Publikum mit einbezieht - in diesem Fall das persönliche Leid, die Alltagstragödien, muss eine ungeheuer Wirkung haben. Ich erzähle von der Gruppe, aber man winkt ab: »Straßentheater in Gaza? - Undenkbar!«

Wie lange würde es dauern, bis die Hamas einschreiten würde gegen ein Straßenkonzert? Mohammed Elsusi schweigt zunächst, dann schätzt er: »zwei Songs maximal!« Was er nicht sagt: Mohamed Antar, Majds Bruder, wurden bei Auftritten wie diesem Arme und Beine gebrochen, er saß dafür im Gefängnis. Er schaffte es, Gaza zu verlassen und produziert seine Songs jetzt in Kairo. Er ist das große Vorbild. Weg wollen fast alle Künstler. Einstweilen veröffentlichen sie ihre Kunst auf Youtube. Das Bedürfnis, sich anderen mitzuteilen, Schmerz, Freude, Verzweiflung auszudrücken, wird in erster Linie am Computer gestillt. Die Bühne ist nur noch bedingt öffentliche Plattform, die Katharsis muss online stattfinden.

Vielleicht kein Wunder, dass ich über das ungewöhnliche Theaterprojekt »War and Peace« beim Surfen im Internet stolpere: Hossam Madhoun und Jamal Al Rozzi leiten die Company Theater for everyone. Bereits vor und während des Krieges 2014 bereiteten sie in Kooperation mit dem Regisseur Jonathan Chadwick des Londoner AZ-Theaters eine Adaption von Tolstojs »Krieg und Frieden« vor - in der Fassung Erwin Piscators, die jener 1938 (damals im Exil in Frankreich) ebenfalls in London zu inszenieren versuchte und später in den 1950er Jahren am Schillertheater in Berlin herausbrachte.

Das britisch-palästinensische Projekt hat es ähnlich schwer. Abgesehen von der Tatsache, dass dem Projekt die Spielstätte im wahrsten Sinne des Wortes wegbrach - das französische Institut wurde zerstört, die Franzosen verließen den Gaza-Streifen - gibt es weder Ausreisegenehmigungen für Madhoun und Al Rozzi noch ist die Einreise des Londoner Regisseurs möglich. Die Work-In-Progress-Lösung der beiden hätte Piscator möglicherweise gefallen: ein Live-Stream zur Szenischen Lesung nach London.

Doch diese Events sind eher eine Bereicherung für die westliche Theaterszene, im Gaza-Streifen findet Theater nur ansatzweise, internationale Kooperationen schlichtweg gar nicht statt - auch Jamal und Hossam haben kaum Zeit, das Projekt weiterzuentwickeln, ihren Lebensunterhalt müssen sie anders bestreiten: im Rahmen von Hilfsorganisationen, durch Theater-Workshop-Arbeit mit Kindern - die sind noch am ehestens eine offiziell anerkannte Zielgruppe für Theater, ihnen gönnt man noch Visionen. Die Erwachsenen haben andere Sorgen.

Bedeutet das nun, dass Theater nicht mehr »von Nöten« ist? Chadwick ist nicht dieser Meinung: »Du kannst nur ein bestimmtes Maß an Feindseligkeit in deinem Leben ertragen, und die Zeit, die du zur Verfügung hast, nicht ausschließlich damit verbringen, einfach nur am Leben zu bleiben. Wenigstens ein kleiner Teil muss bewahrt werden, um etwas sinnstiftendes hervorzubringen, etwas Kreatives. So schlimm die Bedingungen auch sind, wenn die Flamme erst einmal entfacht ist, bringt sie Licht in eine große Dunkelheit.« Mit Eskapismus habe dies nichts zu tun, betont er.

Auch der »Rapper-WG« stelle ich diese Fragen. Ob sie mit ihrer Musiker manchmal die Sehnsucht hätten, Realität und politische Relevanz hinter sich zu lassen? Mit der Frage können sie nichts anfangen. Ich plündere die Erinnerungsschatzkästen der (Groß)eltern und erzähle: In Deutschland nach dem Krieg, als alles in Trümmern lag, habe es sehr bald zwei sehr unterschiedliche Arten von Kunst gegeben: Einerseits politisches Theater, das sich auseinandersetzte mit der Wirklichkeit, andererseits die leichte Muse, Komödien ohne tieferen Sinn.

Gewinnt die Kunst nicht auch gerade von den sie einschränkenden Umständen? Ich erzähle vom Theater in Deutschland, von der Theaterszene in der alten BRD und jener der DDR. Ghassan Mohsin zeigt mir beim Stichwort »Deutschland« Clips auf seinem iPhone: er als Adolf Hitler. Ich habe das ungute Gefühl, dass man hier definitiv zu wenig über den Holocaust weiß, aber Mohammed Elsusi unterbricht: Das mit der DDR interessiert ihn. Grenzen und Mauern sind im Gaza-Streifen das große Thema. Für Elsusi gehört jedoch mehr dazu, als sie überschreiten zu wollen. Er ist ein politisch denkender Mensch, seine Musik bedeutet ihm alles. Früher habe er Revolution machen wollen, erzählt er. Wenn er heute aber an Gaza denke, kommen eher Liebeslieder heraus. »Gaza ...« - fast unmerklich rutscht er in seinen eigenen Rhythmus, spricht von der Geliebten, die sich entzieht und ihn verletzt. Ich verstehe. Natürlich ist auch das politisch, gibt es keinen Eskapismus und natürlich ist alles hier von politischer Bedeutung.

Mohammed Elsusi ist der einzige, der nicht weg will aus Gaza. Seine Bühne ist klein, hier und jetzt das Wohnzimmer, manchmal steht er auch nur vor dem Spiegel und übt. Aber dass seine Kunst raus will, ist klar. Raus zu den Leuten. Nicht raus aus Gaza.

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