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Arbeitsteilung extrem

Ob Handwerksleistung oder Programmierung - viele Aufgaben werden im Internet gehandelt

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf Crowdworking-Plattformen bieten Selbstständige ihre Arbeit an - Arbeitnehmerrechte sind jedoch Fehlanzeige. Die IG Metall hat ein Hilfsportal gestartet. Der Ausbeutung soll ein Ende bereitet werden, Chancen aber bestehen bleiben.

Die Masse macht’s - das ist ganz salopp die Idee hinter dem Begriff Crowdsourcing. Arbeiten, die von Festangestellten oder Selbstständigen nach Honorarordnungen erledigt wurden, können über Internetplattformen an eine breite Masse von Menschen verteilt werden. Es ist die verschärfte Form des bereits seit vielen Jahren gängigen Outsourcings, also der Auslagerung von bisher innerbetrieblichen Arbeiten an externe Auftragnehmer.

Bereits seit Jahren etabliert und auch bei Zeitungen sehr beliebt, sind die meist von Hobbyfotografen bestückten Bilddatenbanken, die für einen Bruchteil des Honorars professioneller Fotografen Illustrationen liefern. Inzwischen werden jedoch Aufträge für alle möglichen Arbeiten über entsprechende Plattformen erteilt. Das reicht von einfachsten Tätigkeiten wie dem Abfotografieren von Speisekarten bis hin zu komplexen Aufgaben wie Programmierarbeiten.

Ein einzelner Selbstständiger ist dabei der Plattform und dem Auftraggeber mehr oder weniger ausgeliefert. Der Berliner Webdesigner Yves Hönicke kann ein Lied davon singen: »Bei ›freelancer.com‹ zahlt beispielsweise nur der Auftragnehmer. Du musst bestimmte Prüfungen machen, für die du bezahlst. Wenn du ein Abo hast, wirst du besser auf der Seite platziert und so weiter.« Die Projekte werden dann ausgeschrieben, man bietet einen Preis und einen Termin an. Durch den internationalen Wettbewerb ist der Preisdruck allerdings sehr hoch.

»Viele Kunden sehen durch den fehlenden persönlichen Kontakt auch gar nicht, wie viel Arbeit in manchen Dingen steckt. Das normale Stundenhonorar von 45 Euro kann man dort kaum durchsetzen, es läuft auf 17 bis 20 Euro heraus«, sagt er. »Und wenn der Auftraggeber nicht zahlt, kann kaum etwas auf ihn zurückfallen.« Die Plattform ›designenlassen.de‹ etwa funktioniert schon fast wie eine Lotterie. Es wird ein Wettbewerb zum Beispiel für die Erstellung eines Firmenlogos ausgeschrieben und nur der Erstplatzierte erhält überhaupt Geld. Bisher nutzt Hönicke die Plattformen nur bei Auftragsflauten.

»Vieles sind eigentlich arbeitnehmerähnliche Verhältnisse. Damit werden Mitbestimmung, Tarifverträge, soziale Sicherungssysteme und vieles andere ausgehebelt«, sagt Christiane Benner vom IG-Metall-Vorstand. »Wir reden immer vom Verschwinden des Arbeitgebers. Es wird keine Verantwortung für Arbeitnehmer übernommen, sondern alles auf Solo-Selbstständige abgewälzt.« Probleme wie Altersarmut oder die Versorgung bei Krankheit lägen dann auf den Schultern der Crowdworker selbst oder schließlich der Sozialkassen.

Symbolträchtig zum 1. Mai hat die Gewerkschaft deshalb das Portal »faircrowdwork.org« ins Netz gestellt. Dort werden die Geschäftsbedingungen der Plattformen unter die Lupe genommen. Crowdworker können sie bewerten, es gibt ein Diskussionsforum, Experten beraten zu Rechtsfragen sogar an einer kostenlosen Hotline. Vorbild war Turkopticon, ein externes System, mit dem die Auftraggeber auf Amazon Mechanical Turk bewertet werden können. »Turkopticon war der Punkt, an dem wir ansetzen konnten«, sagt Benner.

Neben der konkreten Hilfe und der Sichtbarmachung des Problems geht es auch um Antworten auf die aufgeworfenen Fragen. »Wir möchten mit den Betroffenen diskutieren, welche Lösungen es für die Probleme gibt. Wir wollen angemessene Sicherungssysteme mit ihnen gemeinsam entwickeln«, sagt Benner. Das soll ein demokratischer Prozess werden, begleitet etwa von Symposien.

Die Gewerkschaft beschäftigt sich bereits seit einigen Jahren mit dem Phänomen. »Das 2012 vorgestellte IBM-liquid-Programm, bei dem Festangestellte durch externe Freelancer ersetzt werden sollten, war für uns ein Weckruf. Digitale Akkordarbeiter sind bei uns seit 2011 Thema«, so Brenner.

Der IG Metall sei es aber auch wichtig zu sehen, welche Möglichkeiten diese Arbeitsform bietet, betont sie. Zum Beispiel Arbeitsmarktzugänge für Menschen, die bisher keine Chance hätten wie viele Behinderte. Manche Dinge hätten »gewissen Charme und Reiz«, etwa die freie Zeiteinteilung und auch die freie Wahl des Arbeitsortes. Auch Yves Hönicke sieht einige Vorteile. So muss er nicht viel Zeit in Akquise investieren. Auftraggeber könnten ohne umständliche Recherche Spezialisten für bestimmte Projekte finden.

»Vielen ist noch nicht klar, dass es tektonische Verschiebungen durch die Kombination aus Informatisierung und Globalisierung gibt«, sagt Christiane Benner. Für viele bereits fassbar seien die Auswirkungen von Uber oder airbnb: »Dieser drastische Plattformkapitalismus ist zwar eine andere Kategorie, hat aber dieselben Auswirkungen wie Crowdwork.«

Kolumne Seite 4

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