Hitler ist langweilig

Peter Hacks’ Schweigen

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Peter Hacks (1928-2003) sei, hieß es in der Einladung zu einer Veranstaltung der Peter-Hacks-Gesellschaft, »der einzige unter den wichtigen deutschen Schriftstellern seiner Generation, in dessen Werk der Faschismus nur am Rande erwähnt wird«. Wie das zu erklären sei, fragten sich im Berliner »Habbema« die Hacks-Kenner Daniel H. Rapoport, Essayist und Chemiker, und Kai Köhler, Literaturwissenschaftler.

Wenn man das Ergebnis der zweieinhalbstündigen Erörterung in einem Satz zusammenfassen wollte, dann würde der lauten: Der Faschismus war Hacks zu blöd. Aber es geht auch länger.

Rapoport, der vor einigen Jahren den gegen den Dichter erhobenen Antisemitismus-Vorwurf in seinem Essaybändchen »Die reizlose Seite des Humanismus« entkräftet hat, zitiert einen Brief, den der »sozialistische Klassiker« - das war Hacks’ Anspruch und Selbstverständnis - 1967 an Heiner Kipphardt schrieb: »Ohne die Eichmann-Story sehr gut zu kennen, glaube ich nicht an die Tauglichkeit dieser Person fürs Drama. Er ist, wie Hitler, langweilig dadurch, daß er gar kein bißchen Recht hat, und er ist noch langweiliger als Hitler dadurch, dass er ein langweiligerer Mann ist.«

Das ist lustig gesagt, zwingt aber zwei Einwände hervor. Zum einen ist das Attribut »langweilig«, bezogen auf einen, der Millionen von Menschen umbringen ließ, nicht leicht zur Hand. Hacks wusste zu provozieren - im besten Fall die Bereitschaft, genau hinzuhören. »Langweilig«, sagt er da nämlich, ist Eichmann für die Kunst; dieser »Person« fehle die »Tauglichkeit zum Drama«. Die Justiz darf ihn weniger dröge finden. Zum zweiten aber, darauf wies Rapoport hin, versteckt sich hinter Desinteresse nicht selten eine uneingestandene Unlust, wenn nicht eine »Verdrängungsstrategie«. Hacks, darf man mutmaßen, hatte keine Lust, sich mit dem Faschismus zu befassen. Es gab interessantere Stoffe als den Dreck dieser Art von Vergangenheit. Wenn er doch einmal auf den Faschismus zu sprechen kam, so Kai Köhler, der ein paar schöne Textstellen mitgebracht hatte, tat Hacks dies entweder in der Absicht, ihn zu entpathetisieren oder ihn lächerlich zu machen. So heißt es lapidar in einer Fußnote (!): »Goebbels, J.; Hitler, A. - Politiker, Sponsoren. Beide verstarben im Frühjahr 1945.«

Als wichtigsten Grund für Hacks’ weitgehendes Schweigen in dieser Sache nennt Rapoport dessen Überzeugung, in einem Land zu leben, in dem der Faschismus endgültig überwunden sei: Hacks war 1955 aus München in die DDR gekommen. Zum Zweiten habe der marxistische Dramatiker nach Stoffen gesucht, in denen zwei Parteien einen Widerspruch austragen. Weil im Faschimus mehr als ein Widerspruch lebt, sei er für Hacks »nicht kunstfähig« gewesen. Drittens müsse der Schöngeist den Faschismus als ästhetisch unbefriedigend, viertens als intellektuell unbefriedigend empfunden haben. Der Faschismus, erläutert Rapoport sehr hübsch, habe sämtliche intellektuellen Dinge »auf Ingenieursebene« durchgesprochen, also stets nur nach dem Wie, nie nach dem Warum gefragt. Fünftens sei der Faschismus mit dem marxistisch-leninistischen Begriffsapparat schwer zu fassen. Und sechstens - jetzt wird es richtig interessant - sei eine gewisse Ähnlichkeit in der Ästhetik des Faschismus und des Stalinismus schwer zu übersehen. Hacks, dem es gelungen sei, »den Stalinismus zu entstalinisieren«, indem er Stalin notorisch auf einen rationalen Kern gebracht habe, könnte hier ein Problem bekommen haben: Hätte er nämlich ernsthaft den Faschismus behandeln wollen, hätte er auch den Stalinismus ernsthaft behandeln müssen.

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