Der gute Geist des Brockengartens

Die botanische Anlage auf dem Harzgipfel feiert ein Jubiläum - Wolfgang Stumpf hat sie wesentlich mitgestaltet

  • Sabrina Gorges, Wernigerode
  • Lesedauer: 3 Min.
Der renommierte Brockengarten wird in diesem Jahr 125 Jahre alt. In der DDR lag er lange Zeit im Sperrgebiet und verwilderte teilweise. Der Neustart wurde wesentlich von Wolfgang Strumpf geprägt.

Gespannt schaut Wolfgang Strumpf in den Frühbeetkasten. Der Blick fällt auf rund 500 Aussaattöpfe, in einigen recken sich winzige Triebe in die Luft. Mini-Pflanzen, die in Mini-Töpfen wachsen und für eine Mini-Berglandschaft bestimmt sind. »Das ist die Nachzucht fürs Alpinum«, sagt er. Der Gärtner und Gartenbauingenieur steht in seinem Garten in Wernigerode. Er wirkt beseelt. Neben ihm liegt eine Pinzette, mit der er unliebsamen Gewächsen den Garaus macht. »Wenn mich wer sucht, ich bin immer in meinem Alpengarten«, sagt der 77-Jährige. Der heutige Rentner ist der Brockengarten-Pionier.

1992 machte der groß gewachsene Mann seine Leidenschaft für die Gebirgsbotanik nach fast dreißig Jahren im Harzer Forst zum Beruf: Er übernimmt den von der DDR-Zeit geprägten Brockengarten. Das ist ein 1890 angelegter botanischer Garten in 1141 Metern Höhe auf dem Brockengipfel im Harz, einst im DDR-Grenzgebiet gelegen. Zur Wende war der Garten ein teils verwildertes Areal, in dem weniger als zehn Prozent der vormals rund 1200 Pflanzenarten aus den Hochgebirgen der Welt überlebt hatten. »Die konkurrenzschwachen Arten haben das nicht überstanden«, sagt Strumpf. Fast ein Jahrzehnt lang wühlt er auf dem Gipfelplateau in der Erde. Er schleppt Steine und zieht Unkräuter aus dem Boden. Alles mit Körperkraft und ohne Technik.

Rund 1500 Pflanzenarten

Auf dem weitgehend kargen Plateau des 1141 Meter hohen Brockens im Harz stehen kaum Bäume oder Sträucher und nur wenige Gebäude. Es gibt ein Hotel, die Wetterwarte, den Bahnhof der Harzer Schmalspurbahnen – und einen Garten. Der rund 5000 Quadratmeter große Schau- und Versuchsgarten beherbergt rund 1500 Pflanzenarten, darunter auch die seltene Brockenanemone.

Ein Teil des Geländes ist begehbar – allerdings nur bei einer Führung. Internationales Renommee erlangte der Garten, weil er seltene, und vom Aussterben bedrohte Pflanzen schützt und bewahrt. Seit 1890 dient er vor allem Lehr- und Forschungszwecken, wurde aber gleichzeitig auch als öffentliche Schauanlage für Hochgebirgspflanzen aus aller Welt genutzt. 1961 musste der Garten schließen, da der Brocken militärisches Sperrgebiet wurde. 1971 wurden die wissenschaftlichen und gärtnerischen Arbeiten eingestellt.

Im April 1990 begannen die Aufbauarbeiten unter Teilnahme der Botanischen Gärten der Universitäten Halle und Göttingen. Zuerst gab es eine Inventur, 1991 erfolgten erste Bepflanzungen. dpa/nd

Auch zu Hause in Wernigerode hat der dreifache Vater, der sein Hobby mit Ehefrau Ute teilt, seine besondere Gartenwelt. Er präsentiert ein pittoreskes Alpinum, das in seiner Artenvielfalt locker mit dem Brockengarten mithalten kann. Etwa 1500 Arten wachsen in der akkuraten Felslandschaft, wie man sie auch im Kaukasus oder in den Alpen findet. Alles ist mit Schildchen beschriftet, kein Grashalm stört das Arrangement. Manche Pflanzen sind so klein, dass man sich bücken muss, um sie zu erspähen. Einige Blüten sind nur so groß wie Stecknadelköpfe, alles wirkt bunt und dicht.

Das renommierte Gartenareal auf dem Brockengipfel wird in diesem Jahr 125 Jahre alt. Den Fortschritt nach der Wende im Brockengarten hat Strumpf mit Fotos dokumentiert. Die ersten stammen von 1995. Sie zeigen eine karge, hügelige Fläche, teilweise sind noch die alten Abgrenzungen für die Beete zu sehen. »In den ersten Jahren habe ich nicht fotografiert. Ich hatte ja gar keine Zeit dafür.« Drainage kam rein, das war ganz wichtig. Alpine Pflanzen brauchen eine ordentliche Entwässerung, sagt der Experte.

Seinen Arbeitsweg fährt Strumpf, der nie ein Auto besaß, mit einem Simson-Moped. Von Wernigerode auf den Brocken und zurück, neun Jahre, von April bis Oktober. »Das waren 60 Kilometer. Manchmal waren meine Finger so kalt, dass ich den Schlüssel gar nicht ins Schloss bekommen habe. Und das Stück von Schierke bis hoch war das schlimmste.« Doch Strumpf sagt auch, dass es sich gelohnt hat. »Ich habe den Frühling immer zweimal genossen. Erst zu Hause im Garten und dann oben auf dem Brocken.«

2001 ist Schluss, Strumpf geht in Altersteilzeit. Über die Zeit auf dem Berg sagt er: »Es waren die besten Jahre meines Arbeitslebens.«

Biologe Gunter Karste von der Nationalparkverwaltung Harz in Wernigerode verbindet nur Positives mit der Personalie Strumpf. »Ihm ist es zu verdanken, dass wir da oben jetzt einen solchen Schaugarten haben«, sagt Karste, der damals wie heute für das Gelände verantwortlich ist und auch Führungen begleitet. »Er ist einfach eine Koryphäe auf dem Gebiet und ich wusste in den Anfangsjahren, dass ich ihm freie Hand lassen kann.« Darum trägt der Brockengarten Strumpfs Handschrift - bis heute. dpa/nd

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