Zwischen Hollywood und Kaltem Krieg

Am Mythos der Glienicker Brücke strickt Steven Spielbergs neuer Film über einen Agentenaustausch

  • Alexander Riedel
  • Lesedauer: 4 Min.
Tom Hanks spielt einen Anwalt, der einfädelte, dass 1962 der sowjetische Kundschafter Rudolf Abel gegen den bei einem Spionageflug abgeschossenen Piloten Francis Gary Powers ausgetaucht wurde.

In diesem Jahr wird der Mythos der Glienicker Brücke weiter befeuert: Im Oktober startet Steven Spielbergs »Bridge of Spies« (»Brücke der Spione«) in den angelsächsischen Kinos. In den Hauptrollen: Tom Hanks - und die legendäre »Agentenbrücke«, die Potsdam und Berlin verbindet. Insgesamt drei Mal wurden dort während der Blockkonfrontation gefangene Spione zwischen Ost und West ausgetauscht, die größte Aktion datiert vom 11. Juni 1985. Sie jährt sich nun zum 30. Mal.

Anders als bei den Dreharbeiten, wo im vergangenen Jahr auch viele Schaulustige ihre Smartphones und Kameras zückten, war 1985 nur ein einziges Kamerateam von Journalisten vor Ort. Die Bilder gingen dennoch um die Welt. 23 aufgeflogene Spione des Westens durften im Austausch für vier enttarnte Kundschafter des Ostens zurück in die Heimat. Es war das zweite Tauschgeschäft des Kalten Kriegs, das auf der Brücke abgewickelt wurde. Kein Jahr später folgte der dritte und letzte Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke. Dieses Mal vor vielen Augen der versammelten Weltöffentlichkeit.

Der Großtausch vor 30 Jahren erfolgte um 12 Uhr mittags. Diplomaten und Geheimdienstler aus West und Ost standen sich auf der Glienicker Brücke gegenüber. Zwischen ihnen verlief eine weiße Linie, die die Grenze zwischen Westberlin und der DDR markierte. In Bussen saßen die entlarvten Spione. Richard Burt, späterer US-Botschafter in Bonn, überquerte die Linie und verkündete den gefangenen Agenten des Westens ihre baldige Freiheit. Jubel brach aus.

Dass es sich um einen regelrechten Massenaustausch handelte, zeugt davon, dass keine Hochkaräter unter den Spionen waren. »Die CIA-Agenten, die im Osten verhaftet wurden, waren kleine Fische, Freizeitagenten«, sagt der Publizist und Agentenaustauschexperte Norbert Pötzl. Sie hatten ihm zufolge oft nur kleinere Aufgaben gehabt wie etwa Truppenbewegungen zu melden. »Lange Zeit haben sich die Amerikaner für diese in der DDR Inhaftierten gar nicht interessiert, sie haben sich gar nicht dazu bekannt.«

Auslöser des Austauschs war denn auch eigentlich der sowjetische Dissident Nathan Scharanski, der aus Israel stammte und in den 1970er Jahren verhaftet worden war. »Um seine Freilassung bemühten sich Juden im Westen«, erzählt Pötzl. Doch die Verhandlungen dauerten Jahre, unter anderem weil die Sowjets darauf bestanden, Scharanski als Spion auszutauschen, während die Amerikaner ihn als politischen Häftling ansahen. »So kamen mit der Zeit andere Gefangene ins Gespräch«, sagt Pötzl.

Am Ende stand die Lösung 25 gegen 4 des 11. Juni 1985. Zwei westliche Agenten blieben zunächst im Osten, um persönliche Dinge zu regeln. Scharanski kam dann im Folgejahr frei, wiederum als Teil eines Agentenaustausches, wenn auch symbolisch getrennt, weil er als erster und allein die Brücke überquerte. Der neue sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow habe den Fall Scharanski loswerden wollen, meint Pötzl.

Geboren wurde der Mythos der Agentenbrücke schon 23 Jahre zuvor, beim ersten Austausch, von dem es keine Bilder gibt. Dessen Geschichte erzählt dafür der neue Hollywoodfilm mit Tom Hanks. Hanks spielt den US-amerikanischen Anwalt James B. Donovan, der das Geschäft auf westlicher Seite einfädelte.

Zunächst überzeugte Donovan eine US-amerikanische Jury davon, den entlarvten sowjetischen Top-Atomspion Rudolf Abel als mögliches Tauschobjekt nicht zum Tode zu verurteilen. Nach anschließenden Verhandlungen mit DDR-Anwalt Wolfgang Vogel - im Film gespielt von Sebastian Koch - wurde Abel im Februar 1962 gegen den US-Piloten Francis Gary Powers übergeben, der auf einem Spionageflug über der Sowjetunion abgeschossen worden war.

Viele weitere Austauschaktionen über die DDR-Grenze sollten folgen. Anwalt Vogel, der laut Pötzl an nahezu allen Austauschaktionen beteiligt war, habe selbst rund 150 Agenten gezählt, die bis 1989 über die Grenze durften. Die meisten Fälle verliefen eher unspektakulär. Oftmals seien Agenten einfach zur Grenze gefahren oder in einen Zug gesetzt worden, sagt der Experte. Selbst die Übergabe von Kanzleramtsspion Günter Guillaume an die DDR verlief ohne große Öffentlichkeit. Umso filmreifer inszenierten West und Ost die Deals auf der Glienicker Brücke, und lieferten damit die Vorlage für Hollywood. dpa

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