IWF-Vertreter reisen aus Brüssel ab

Athen: Gewerkschafter besetzen Finanzministerium / Aufrufe zu Protestaktionen aus Sorge vor neuen Kürzungen / Verlängerung des Kreditprogramms für Griechenland? Regierung in Athen erwägt entsprechenden Antrag / Treffen Merkel, Hollande, Tsipras

  • Lesedauer: 8 Min.

Update 18.10 Uhr: IWF-Vertreter reisen aus Brüssel ab
Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht allen anderslautenden Erklärungen aus der Politik eine Einigung im Streit um das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm für Griechenland in weite Ferne gerückt. Es gebe noch »bedeutende Differenzen«, sagte IWF-Sprecher Gerry Rice am Donnerstag. Das IWF-Team habe die Verhandlungen in Brüssel verlassen und sei zurück nach Washington gereist. Einen Zeitplan für weitere Gespräche gebe es nicht. Zugleich bleibe der IWF aber im Spiel: »Der IWF verlässt den Verhandlungstisch nie.« In scharfen Tönen kritisierte Rice den Mangel an Kompromissbereitschaft des kurz vor der Staatspleite stehenden Landes. Es habe zuletzt keinerlei Fortschritte gegeben, um Differenzen beizulegen. »Der Ball liegt nun weit im Feld der Griechen«, sagte Rice. Große Hürden gebe es weiterhin bei Renten, Steuern und der Schuldenfinanzierung. »Es hat hier zuletzt keine Annäherung gegeben«, sagte Rice. IWF-Chefin Christine Lagarde werde aber wie geplant am Treffen der Finanzminister der Eurozone am 18. Juni in Luxemburg teilnehmen, sagte Rice. Den Stand der Gespräche auf politischer Ebene kommentierte der IWF-Sprecher nicht.

Update 13.55 Uhr: Proteste gegen mögliche Kürzungen
Angesichts der Verhandlungen Griechenlands über das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm und mögliche Kompromisse der SYRIZA-geführten Regierung ist in Athen und anderen Städten am Donnerstag eine neue Protestwelle gegen weitere Kürzungen angelaufen. In der Hauptstadt besetzten Mitglieder der kommunistisch orientierten Gewerkschaft Pame das Finanzministerium, holten die EU-Flagge ein und entrollten ein riesiges Transparent. Darauf war der linke Ministerpräsident Alexis Tsipras neben seinen Vorgängern Giorgos Papandreou von den Sozialisten und Antonis Samaras von den Konservativen abgebildet. »Wir haben genug geblutet, wir haben genug gezahlt«, lautete die Aufschrift. Für den Abend riefen Pame und die Gewerkschaft Adedy, die Beschäftigte im öffentlichen Dienst vertritt, zu Kundgebungen in Athen, Thessaloniki und anderen Städten auf. Zu rechnen sei mit »einem leichten Anstieg der Steuern, der niedrige Einkommen nicht betreffen wird«, sagte Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksender ERT, der zwei Jahre nach seiner Schließung wegen der Kürzungsauflagen der Gläubiger erst am Morgen seinen Sendebetrieb wieder aufgenommen hatte.

Update 13.25 Uhr: Juncker sieht die Kuh ausrutschen
Das politische Ringen um eine Einigung über das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm für Griechenland geht weiter – und bringt bisweilen eine bildhafte Sprache hervor. »Die Kuh muss vom Eis, aber sie rutscht dauernd aus«, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit Blick auf die Verhandlungen. »Wir versuchen, sie heute wieder anzuschieben.« Junckers hatte sich am Mittwoch mit Ministerpräsident Alexis Tsipras in Brüsse getroffen, danach hatte es ein Gespräch zwischen dem griechischen Premier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Frankreichs Präsident François Hollande gegeben. Sie einigten sich laut Bundesregierung darauf, dass die Gespräche zwischen Athen und den Gläubigerinstitutionen »mit hoher Intensität« fortgesetzt werden. Details der Gespräche wurden nicht bekannt.

Update 9.45 Uhr: Grüne wollen »Kaputtsparkurs« stoppen
Der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler hat den bisherigen Kurs der Gläubiger gegenüber Griechenland abgelehnt. »Ich halte es für falsch, wenn die Institutionen und die Eurogruppe weiter auf Austeritätsmaßnahmen, auf Kaputtsparmaßnahmen setzen«, sagte Kindler dem Sender SWR2. Dies habe in der Vergangenheit das Wachstum in Griechenland deutlich reduziert. Kindler sprach sich für eine Umschuldung der Griechenland-Kredite aus. Zusammen mit seinem Fraktionskollegen Manuel Sarrazin erklärte er, »der Kaputtsparkurs in Griechenland ist gescheitert. Für eine tragfähige Lösung braucht es gerechte und sinnvolle Strukturreformen, Zukunftsinvestitionen und sozial und ökologisch gerechte Haushaltskonsolidierung mit einer Stärkung der Einnahmeseite. Weitere sinnlose Sparmaßnahmen, die den Haushalt nicht strukturell konsolidieren, würden die Abwärtsspirale weiterführen.« Zudem forderten die Grünen-Politiker das Bundeskanzleramt auf, »umgehend mit seiner bisherigen Verweigerungshaltung« zu brechen »und den Bundestag umfassend, fortlaufend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über die Verhandlungen und die Position der Bundeskanzlerin unterrichten. Bisher wurden die Parlamentsrechte und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schlichtweg missachtet.«

Update 7 Uhr: Griechenland auf Ramschniveau herabgestuft
Die US-Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) hat die Kreditwürdigkeit Griechenlands erneut herabgestuft - um eine Stufe auf das Ramschniveau »CCC«. Diese Stufe kennzeichnet ein Land kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Die Ratingagentur verwies dabei darauf, dass Griechenland anstehende Rückzahlungen von Krediten an den Internationalen Währungsfonds (IWF) auf das Ende des Monats verschoben hat. Die Verzögerung scheine darauf hinzudeuten, »dass die griechische Regierung Renten- und andere nationale Ausgaben Priorität gegenüber seinen planmäßigen Schuldenrückzahlungsverpflichtungen gibt«. Ohne eine Wende, mit der die griechische Wirtschaft wieder zu Wachstum komme, und ohne eine tiefgreifende Reform des öffentlichen Dienstes, sei die griechische Schuldenlast »nicht tragbar«, erklärte Standard & Poor's. Wenn es Griechenland nicht gelinge, sich mit seinen internationalen Gläubigern auf die Auszahlung von verbleibenden Hilfsgeldern in Höhe von 7,2 Milliarden Euro zu einigen, werde die griechische Regierung »wahrscheinlich binnen der kommenden zwölf Monate« auch ihre Marktkredite nicht zurückzahlen können.

Verlängerung des Kreditprogramms für Griechenland?

Berlin. Im Streit um das von den Gläubigern blockierte Kreditprogramm für Griechenland stehen die Zeichen auf dessen nochmalige Verlängerung. Am Mittwoch wurde bekannt, dass die SYRIZA-Regierung einen entsprechenden Antrag erwägt. Nun mehren sich auch in der Großen Koalition die Stimmen derer, die eine neuerliche Verlängerung befürworten. Offenbar soll der Boden für eine entsprechende Mehrheit der Regierungsfraktionen im Bundestag bereitet werden, der darüber abstimmen müsste. Vor allem in der Union wird das aber sehr kritisch gesehen.

Ziel müsse es aber sein, Griechenland eine Finanzierung zu sichern, »die es erlaubt, die griechische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und nicht nur Rückzahlungen (an die Gläubiger) zu decken«., hieß es in Athen. Bisher soll das Kreditprogramm, das schon zwei Mal verlängert wurde, Ende Juni auslaufen. Seit August 2014 ist daraus kein Geld mehr nach Athen geflossen, weil es einen Streit um die Bedingungen der Gläubiger für die Auszahlung noch ausstehender Mittel in Höhe von 7,2 Milliarden Euro gibt.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte der »Leipziger Volkszeitung«, eine weitere Verlängerung käme in Frage, »wenn es zu einer Einigung über wichtige Reformen kommt«. Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras und seiner Linkspartei SYRIZA müsse jedoch klar sein, »wir lassen uns nicht erpressen«, betonte Oppermann. Er habe Verständnis, so der Sozialdemokrat, »wenn jetzt einige, die auch sehr wohlwollend waren, inzwischen die Geduld mit der griechischen Regierung verlieren«. Es zeige sich nun, »dass das Konzept der Griechenland-Hilfe von Anfang an gravierende Mängel hatte: Niemand hat mit dem gebotenen Nachdruck auf die notwendigen Strukturreformen geachtet.«

Der CDU-Politiker und Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum, sagte, »eine Verlängerung um weitere neun Monate« sei denkbar. Im Frühjahr 2016 endet auch das Engagement des Internationalen Währungsfonds. Voraussetzung für eine neuerliche Verlängerung wäre aber »eine 180-Grad-Wende der Regierung Tsipras«. Diese müsste vor einem entsprechenden Verlängerungsbeschluss durch den Bundestag durch unumstößliche Zusagen den Nachweis erbringen, dass man sich, »anders als bisher« auf die Zusagen der Athener Regierung verlassen könne.

Die »Bild«-Zeitung meldet, die Spitzen der Großen Koalition hätten sich darauf geeinigt, dass es auf keinen Fall ein drittes Kreditprogramm geben soll - was Athen auch gar nicht anstrebt. Stattdessen soll gegebenenfalls das laufende Programm um Gelder aus anderen Programmen erweitert werden, hieß es unter Berufung auf »gesicherte Informationen«.

Am Mittwochabend hatten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident François Hollande mit Tsipras in Brüssel gesprochen - das Treffen in der Nacht zum Donnerstag soll zwei Stunden gedauert und mit der Verständigung darauf geeinigt haben, dass die Gespräche zwischen Athen und den Gläubigern »mit hoher Intensität« fortgesetzt werden. Der »Meinungsaustausch« am Rande eines EU-Gipfels zu Lateinamerika sei »in konstruktiver Atmosphäre« geführt worden.

Die EU verstehe, dass eine »tragfähige Lösung« für Griechenland nötig sei, damit seine Wirtschaft wieder zum Wachstum zurückkehren könne, sagte Tsipras nach dem Treffen. »Wir haben vereinbart, die Anstrengungen zu verstärken, um die bestehenden Differenzen zu überwinden.« Es zeichnete sich ab, dass Athen die neuen Vorgaben für den Primärüberschuss im Haushalt (ohne Zins- und Tilgungszahlungen) hinnehmen werde. Die Gläubiger fordern für das laufende Jahr ein Prozent; Griechenland wollte bisher weniger.

Neuen Schwung in die festgefahrenen Gespräche brachte ein Treffen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit Tsipras am Mittwochnachmittag am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels, wie es aus EU-Kreisen hieß. Sie kamen überein, sich am Donnerstag erneut zu treffen. Zuvor hatten Medien über angebliche Verwerfungen zwischen den beiden Politikern berichtet.

Derweil hat das höchste griechische Gericht die Rücknahme von Rentenkürzungen angeordnet, die 2012 auf Druck der Gläubiger beschlossen worden waren. Die Kürzungen seien verfassungswidrig, urteilte der Staatsrat am Mittwoch. Die Renten müssen zwar nicht rückwirkend angehoben werden. Gleichwohl wird der öffentliche Haushalt durch die Rücknahme der Kürzungen künftig Schätzungen zufolge um 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich belastet. In der nun kassierten Entscheidung vom November 2012 waren Grund- und Zusatzrenten um fünf bis zehn Prozent gesenkt worden. Mehrere Rentner und Pensionärsverbände hatten dagegen geklagt und bekamen nun Recht. Agenturen/nd

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