Platzhirsch gegen Apparatschik

Alfred Herling ist die Nummer eins von ver.di im Aufsichtsrat der Deutschen Bank

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Dem ver.di-Vorsitzenden wird ein guter Draht zum Aufsichtsratsboss der Deutschen Bank nachgesagt. Doch da stand der alte Platzhirsch Alfred Herling auf und brachte sich als Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat in Stellung.

Nicht immer läuft alles glatt. Selbst für einen wie Alfred Herling trifft das zu, den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Deutschen Bank. Als es galt, den Gewerkschaftsvertreter für den einflussreichen Posten des stellvertretenden Aufsichtsratschefs von Deutschlands Nummer eins im Geldwesen zu finden, wollte Frank Bsirske dies plötzlich werden. Dem Vorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wird ein guter Draht zu Aufsichtsratsboss Paul Achleitner nachgesagt. Man kennt sich, etwa aus den Sitzungen des Kontrollgremiums des Energiekonzerns RWE oder aus den Vorstandszeiten Achleitners bei der Allianz. Doch da stand der alte Platzhirsch Alfred Herling auf: »Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, für alle Beschäftigten im Deutsche-Bank-Konzern gute Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu erreichen und zu sichern«, warb das ver.di-Mitglied gegenüber einer Nachrichtenagentur für sich. Dazu trage eine starke betriebliche Verankerung von ver.di in allen Bereichen der Bank bei. Herling traute Bsirske dies nicht zu. Eine klare Kampfansage, die dem medienscheuen und außerhalb der Deutschen Bank nahezu unbekannten Betriebsratsvorsitzenden wohl nur wenige zugetraut hatten.

Der mit einer kräftigen Statur gesegnete Herling wirkt als Integrator unter den 100 000 Beschäftigten des Finanzgiganten und er ist hier verankert, denn er hat praktisch sein gesamtes Berufsleben dort verbracht. Nach einer Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann trat Herling inmitten der politisch bewegten 1960er Jahre in die Deutsche Bank ein, schreibt er in seiner offiziellen Vita. Knapp 20 Jahre später wird er zum »Oberbeamten« befördert - Banker nannten sich in den 1980er Jahren noch gerne Beamte -, später zum Prokuristen. 1998 wurde Herling freigestellter Betriebsrat in der Niederlassung Wuppertal. Aus diesen regionalen Anfängen - er wohnt immer noch in der nordrhein-westfälischen Stadt mit der Schwebebahn - wurde eine beachtliche Funktionärskarriere mit bundesweiter Wirkung. Heute ist Herling Vorsitzender des Gemeinschaftsbetriebsrats Wuppertal/Sauerland der Deutschen Bank, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats und Mitglied des Europäischen Betriebsrats. Und zunächst bis 2018 ist er, und nicht Bsirske, Vizechef des Aufsichtsrats der Deutsche Bank AG.

Der Streit zwischen »Betriebsratsfürsten«, wie es ein ver.di-Sekretär ausdrückt, und den Hauptamtlichen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft tobt seit langem, vor allem bei Banken und Versicherungen. Dabei geht es auch um Eitelkeiten und Pfründe, drinnen und draußen, Links und Rechts, aber vor allem um eine unterschiedliche Sicht auf die Bank und deren Geschäft. Herling ist durch das Betriebsverfassungsgesetz mit sehr viel lokaler Macht ausgestattet. Die nutzen er und seine Kollegen bei anderen Unternehmen zugunsten ihrer Wähler, der häufig gut bis sehr gut bezahlten Beschäftigten vor Ort. Deren Horizont ist meist reine Betriebswirtschaft: Löhne, Arbeitsbedingungen, Firmenrenten. Ver.di-Sekretäre - Bankbetriebsräte nennen diese abfällig schon mal »Apparatschiks« - schauen dagegen meist über den Tellerrand hinaus. Die gesamtgesellschaftliche Sicht etwa zur »Macht der Banken« beißt sich dann oft mit den partikularen Interessen der Platzhirsche in der Finanzdienstleistungsindustrie, die zum Beispiel hohe Boni gut finden. Besonders wichtig ist dabei die Deutsche Bank, die ja im Zentrum der »Deutschland AG« daheim ist.

Das Ringen um den Spitzenplatz im Aufsichtsrat eskalierte 2013 - trotz aller Bemühungen beider Seiten, den »Jahrhundertstreit« im Zaume zu halten. Herling führte seine eigene Gruppe an. Zur Wahl trat er mit der »Liste Herling/Heider/Platscher« an, Bsirske mit einer eigenen »ver.di-Liste«. Für seinen Sieg benötigte Herling dann noch die Unterstützung kleinerer Nicht-DGB-Gewerkschaften wie DBV, DPVKOM und Komba, die in der Bank traditionell stark sind. Ver.di dürfte hingegen, wie es heißt, kaum mehr als jeden zehnten Deutsch-Banker als Mitglied haben. Dennoch wurde auch Bsirske ins Kontrollorgan der Großbank gewählt - als einfaches Mitglied. Ver.di insgesamt hält nun, Herling mitgerechnet, sechs von den zehn Mandaten im Aufsichtsrat, welche die sogenannte Arbeitnehmerseite besetzt. Ebenfalls zehn Mitglieder in dem Gremium stellt die Kapitalseite.

Seiner eigenwilligen Rolle blieb der 62-jährige Herling auch beim Streit um die Vorstandschefs treu. Nach dem heftigen Denkzettel der Aktionäre auf der Hauptversammlung im Mai legte der Betriebsrat der Frankfurter Zentrale nach: In einem Flugblatt mit dem Titel »Wind of Change? Wind of Jain?« wurde indirekt der Rücktritt des Co-Vorstandsvorsitzenden Anshu Jain gefordert. Ein überaus seltener Vorgang in der gewerkschaftlichen Geschäftswelt. Die gut 2000 Beschäftigte vertretenden Betriebsratschefs schrieben in ihrem Flugblatt: »Ein radikaler Neuanfang gäbe uns hier Glaubwürdigkeit zurück und könnte eine echte Aufbruchstimmung erzeugen.« Ob die Aufbruchstimmung nach dem vor wenigen Tagen angekündigten Abgang Jains und seines Vorstandskollegen Jürgen Fitschen länger anhält, bleibt abzuwarten. Denn nicht jeder fand den Alleingang des Betriebsrats angemessen: So kritisierte der oberste Konzernbetriebsratschef Herling, das Flugblatt sei eine unabgestimmte Aktion gewesen und spiegle nicht die Meinung aller Betriebsräte wider. Seine wohl doch, oder hat er seine Kolleginnen und Kollegen nicht mehr im Griff?

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