Ein trauriger »Sommer-Witz«

Was steckt hinter dem überraschenden Aus der Jüdischen Kulturtage?

  • Celestine Hassenfratz
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach 28 Jahren hat Gideon Joffe einfach Schluss gemacht. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin erklärte am Montag das Aus für die Jüdischen Kulturtage. Der Termin für das größte jüdische Kulturfest Deutschlands stand längst fest: Vom 27. August bis zum 6. September wollte die Jüdische Gemeinde einmal mehr mit Kunst, Musik und Lesungen jüdisches Leben in Deutschland sichtbar machen.

»Aufgrund der schwierigen Finanzsituation des Landes Berlin will die Gemeinde ihren Solidaritätsbeitrag leisten und den Berliner Haushalt ein Stück weit entlasten«, heißt es in in der Presseerklärung der Gemeinde. Ein scheinbar großzügiger Akt der Bescheidenheit, auf den ersten Blick. In der Erklärung heißt es weiter, dass durch die Verzögerung der Fertigstellung des Flughafens BER und der Staatsoper große Löcher in den Berliner Haushalt gerissen worden seien. Auf Gelder für die Aufrechterhaltung des jüdischen Lebens in Berlin bestehe man zwar weiterhin. Auf die Kulturtage, die staatsvertraglich gesicherte »Kür«, werde man in diesem Jahr aber verzichten, um dem Land Berlin »entgegenzukommen«.

Im Berliner Senat zeigt man sich erstaunt über die Entscheidung: »Wir hätten das Festival auch in diesem Jahr gerne gefördert«, äußert sich Günter Kolodziej, Sprecher der Berliner Senatskulturverwaltung. Das Festival ist finanziell abgesichert, auch dieses Jahr hätte der Senat die Kulturtage mit 250 000 Euro unterstützt. Seit Jahren steigen die Besucherzahlen stetig, im letzten Jahr konnte ein Rekord mit 29 000 Besuchern verzeichnet werden. Warum also das plötzliche Aus?

In der Erklärung der Gemeinde heißt es weiter, dass man zuversichtlich sei, nach der zweitinstanzlichen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin zu der Frage der Staatszuschüsse in Zukunft eine gemeinsame neue Basis für die Zusammenarbeit zwischen Land und Gemeinde zu finden. Dahinter steckt ein Finanzstreit, den sich der Gemeindevorsitzende Joffe seit drei Jahren mit dem Berliner Senat liefert.

Von November 2012 an hatte der Senat rund 100 000 Euro der monatlich gezahlten Staatszuschüsse zur Schuldentilgung einbehalten. Joffe erwirkte eine einstweilige Verfügung: Der Senat muss weiterzahlen. Bei dem Finanzstreit ging es jedoch nie um die Finanzierung der Kulturtage.

Einer, der wissen muss, warum die Kulturtage nun nach fast 30 Jahren nicht mehr stattfinden sollen, ist Martin Kranz. Seit 2004 war Kranz Intendant der Jüdischen Kulturtage. In den letzten Jahren hatte er das Festival noch populärer gemacht, die Gemeinde dankt ihm knapp in der Erklärung für »seine langjährige gute Zusammenarbeit«. Aus Kranz’ Mund klingt das anders: In seiner Arbeit habe er in den letzten elf Jahren mit vier Gemeindevorständen zu tun gehabt. Immer sei dabei klar gewesen, dass es ein Intendantenfestival ist, die Gemeinde sich zwar im Erfolg sonnen soll, die künstlerische Leitung jedoch unabhängig von politischem Einfluss arbeiten können muss. Das berichtet Kranz in einem Interview mit der »Berliner Zeitung« vom Mittwoch. Unter dem jetzigen Vorstand sei es ihm jedoch nicht mehr möglich gewesen, künstlerisch unabhängig zu bleiben. Joffe hätte versucht, immer stärker Einfluss auf die programmatische Ausrichtung zu nehmen. »Ich habe klargemacht, dass das nicht geht. Danach gab es keine Gespräche mehr.« Im letzten September wurde Kranz’ Vertrag mit der Jüdischen Gemeinde dann nicht mehr verlängert. Seitdem hat Kranz sich anderen Aufgaben zugewandt, er organisiert jetzt ein neues jüdisches Kulturfest in Erfurt. Gerüchteweise hieß es, Joffes Schwester sollte Kranz’ Posten bekommen. Daraus wurde nichts, die Stelle ist nach wie vor vakant.

»Die Begründung der Gemeinde für die Absage der Kulturtage ist der Sommer-Witz der Hauptstadt«, sagt Sergey Lagodinsky. Auch er müsste eigentlich bestens darüber informiert sein, warum das Festival nicht mehr stattfindet. Lagodinsky ist Vorsitzender des Kulturausschusses des Parlaments der Gemeinde, genauer: war Vorsitzender. Am Dienstag gab Lagodinsky seinen Rücktritt bekannt und erklärte, dass er nicht Teil dieser traurigen Show sein wolle. Woran das Festival denn nun letztendlich gescheitert sei, kann aber auch Lagodinsky auf Nachfrage des »nd« nur versuchen zu erklären. Denn von dem Aus hat auch er erst aus der Presse erfahren. Seit Lagodinsky im Februar 2012 die Wahl zum Gemeindevorsitzenden gegen Joffe verloren hatte, war er in der Opposition des Gemeindeparlaments. »Gideon Joffe hat die Arbeit der Ausschüsse des Parlaments systematisch ausgetrocknet«, so Lagodinsky. Die Einheitsgemeinde, die unterschiedliche religiöse Strömungen vereint, hat 10 000 Mitglieder. Seit Joffe Gemeindevorsitzender ist, gibt es einen offenen Konflikt zwischen assimilierten Berliner Juden und seit 1990 aus der Sowjetunion zugewanderten. Vetternwirtschaft und Verschwendung, Macht und Eitelkeit rund um Joffe sollen die Arbeit im Gemeindeparlament fast zum Stillstand gebracht und die Gemeinde noch weiter auseinander getrieben haben. 2013 sammelte die Opposition 2000 Unterschriften für eine Neuwahl, doch das Parlament blockierte. »Mit Joffe ist keinerlei Zusammenarbeit möglich«, sagt Lagodinsky resigniert.

Streitigkeiten statt Selbstlosigkeit scheinen somit das Aus des Festivals begründet zu haben. Der Verlust für Berlins Kultur ist groß. Man sei sehr daran interessiert, dass das Festival nächstes Jahr wieder stattfinde, so der Senatssprecher. Ob es 2016 einen Neuanfang geben wird, scheint aber nicht zu sehr am politischen Willen des Senats zu liegen, sondern ganz und gar in Joffes Händen.

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