Athen, Berlin etc.: Zehntausende sagen Oxi

Bundesweite Soli-Proteste für SYRIZA / Oberstes Verwaltungsgericht genehmigt Referendum / Tsipras: 30 Prozent Schuldenschnitt, 20 Jahre Frist / Grüne und Linke kritisieren Schulz: Es reicht!

  • Lesedauer: 21 Min.

Update 21.35 Uhr: Zehntausende sagen Oxi
In Athen hat der griechische Regierungschef Alexis Tsipras vor Zehntausenden Anhängern für eine Ablehnung der Gläubiger-Politik beim bevorstehenden Referendum geworben. »Am Sonntag werden wir nicht nur einfach über unseren Verbleib in Europa entscheiden, sondern über die Frage, ob wir mit Würde in Europa bleiben«, sagte Tsipras am Freitagabend bei einer Kundgebung auf dem Syntagma-Platz. An der Kundgebung beteiligten sich nach Schätzungen, über die Nachrichtenagenturen berichteten, etwa 30.000 Menschen. Andere Quellen sprachen von deutlich mehr Teilnehmern, vor Ort hieß es sogar, die Zahlen seien sechsstellig.

Aus Solidarität mit der griechischen Regierung gingen auch in Deutschland Tausende in verschiedenen deutschen Städten auf die Straße. In Berlin versammelten sich bis zu 3.500 Menschen, andere Quellen sprachen von 2.500. Die Polizei nannte zunächst geringere Teilnehmerzahlen und ging zum Teil hart gegen die Demonstranten vor - vor Ort hier es, als Grund wurden kritische Äußerungen über die Bundesregierung und Deutschland von den Einsatzkräften genannt.

In Frankfurt zogen ebenfalls Hunderte zur Europäischen Zentralbank (EZB), einer der drei Gläubiger-Institutionen. In Stuttgart kamen nach Veranstalterangaben rund 500 Menschen zu einer Kundgebung, in Freiburg 200. Aufgerufen zu den Aktionen hatten unter anderem die kapitalismuskritische Blockupy-Bewegung und das globalisierungskritische Netzwerk Attac unter dem Motto »Nein! Oxi! No! zur Sparpolitik - Ja zur Demokratie!«. Das griechische Wort »Oxi« bedeutet »Nein«. Die Demonstranten forderten die Griechen damit auf, beim Referendum am Sonntag mit »Nein« zu stimmen.

Ebenfalls in Athen kamen die Befürworter des Sparprogrammes zusammen. Etwa 20.000 Regierungsgegner sprachen sich dafür aus, auf die Forderungen der internationalen Geldgeber einzugehen, um die drohende Staatspleite des Euro-Krisenlandes zu verhindern.

Update 20.45 Uhr: Bundesweite Soli-Proteste für ein OXI
Am Freitagabend bekundeten rund 500 Demonstranten in der Bankenmetropole Frankfurt am Main ihre Sympathie für eine »Nein« im anstehenden griechischen Referendum. Zur Demonstration, die begleitet von einem großen Polizeiaufgebot vom ehemaligen Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) am Willy Brandt-Platz durch die Innenstadt zum neuen milliardenschweren EZB-Tower am Frankfurter Osthafen zog, hatte ein breites Bündnis aus Syriza Hessen, Attac, Frankfurter Griechenland-Solidaritätskomitee, Linksjugend [`solid], Blockupy und anderen Organisationen kurzfristig aufgerufen. Viele hatten sich das Wort OXI (Nein) auf Pappschilder, Transparente und Regen- bzw. Sonnenschirme gemalt.

»Seit fünf Jahren wird mein Land moralisch und politisch verschmäht und die Griechen werden durch jede Menge Stereotypen diskriminiert«, erklärte Panagiotis Theofanes von Syriza Hessen in einem Redebeitrag. Die Volksabstimmung am kommenden Sonntag sei der einzige demokratische und gerechte Weg für das griechische Volk. »Wir wehren uns gegen neue Maßnahmen, die auch das Letzte im Land noch zerstören würden. Hoffentlich wird das Nein am Sonntag eine Änderungsmeldung für die Politik der EU sein.«

»Die tragenden Kräfte der EU wollen eine linke Regierung zu Fall bringen«, so Alexis Passadaki s vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac gegnüber nd. »Ein soziales und demokratisches Europa ist mit dieser EU und Eurozone nicht zu haben.« Leider mische sich eine »deutsche Troika« aus Union, SPD und Grünen massiv zugunsten der JA-Kampagne in das Referendum ein, so Passadakis.

Ähnlich vermutet auch Christian Andrasev, Landessprecher der hessischen Linksjugend [`solid], dass den Mainstream-Politikern und Medien in Deutschland und Europa die derzeitige Athener Regierung »ein Dorn im Auge ist, denn sie ist eine Bedrohung für ihre ewige Lüge der Alternativlosigkeit«. Ein klares OXI könne ein Signal sein »für die Beendigung der neoliberalen Politik und ein wirklich demokratisches und sozialistisches Europa.«, so Andrasev.

Der Demonstration angeschlossen hatte sich auch ein aus Frankreich stammender Bänker, der ein Pappschild mit der Aufschrift OXI durch die sommerlich heiße Frankfurter Innenstadt trug. »Die Politik Schäubles schadet auch der deutschen Bevölkerung«, sagte er. »Das ist nicht das Europa, das man uns früher versprochen hat.«

Am Freitagabend fanden auch in zahlreichen anderen Städten Demonstrationen, Mahnwachen und Infostände für die OXI-Kampagne statt, darunter am späteren Abend in Berlin. Für den kommenden Sonntagabend ruft das gewerkschaftlich orientierte Frankfurter Griechenland-Solidaritätskomitee zu einer Veranstaltung unter freiem Himmel am Wahlabend im Frankfurter Stadtteil Bornheim auf. Hans-Gerd Öfinger

Update 18.20 Uhr: Oberstes Verwaltungsgericht genehmigt Referendum
Das für Sonntag geplante Referendum in Griechenland über die Forderungen der Gläubiger kann stattfinden. Das Oberste Verwaltungsgericht des Landes wies am Freitagabend den Einspruch zweier Privatpersonen zurück und billigte damit die Abhaltung der Volksabstimmung. Das Gericht sah demnach keinen Verstoß gegen die Verfassung.

Die Antragsteller hatten die Annullierung des Referendums gefordert. Sie argumentierten, dass die Abhaltung der Volksabstimmung gegen die Verfassung verstoße, weil nicht über Fragen der »öffentlichen Finanzen« abgestimmt werden dürfe. Zudem sei die Fragestellung zu kompliziert und »technisch«.

Update 17.55 Uhr: Linkspartei für EU-weites Referendum über Austerität
Unmittelbar vor dem griechischen Referendum will die Linkspartei eine EU-weite Volksabstimmung über die Austeritätspolitik in Europa auf den Weg bringen. Der Parteivorstand werde voraussichtlich am Samstag über diese Initiative für ein »demokratisches Europa« entscheiden, sagten die Linke-Vorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping dem Berliner »Tagesspiegel«. Am Sonntag sollen die Griechen darüber abstimmen, ob sie den Forderungen ihrer internationalen Gläubiger zustimmen oder diese ablehnen. »Wir wollen, dass Austerität (Sparpolitik) und die Alternativen zur Austerität in ganz Europa den Bevölkerungen zur Entscheidung vorgelegt werden«, sagten die beiden Parteichefs der Zeitung. Denkbar seien Fragen wie: »Soll eine Schuldenbremse auf Kosten der Sozialleistungen gehen, oder sollen die Einnahmen über höhere Steuern für Millionäre und hohe Vermögen und Unternehmensgewinne erhöht werden?« Auch über die Sinnhaftigkeit einer strikten Schuldenbremse und mögliche Ausnahmen davon könne abgestimmt werden. Eine europaweite Volksabstimmung ist in den EU-Verträgen zwar nicht vorgesehen, nach Ansicht der Linkspartei ließen sich ersatzweise aber Referenden mit gleichlautender Fragestellung in den Mitgliedstaaten organisieren.

Update 15.55 Uhr: Spanische Linke werben für ein »Oxi«
Vertreter von sechs spanischen Linksparteien und Plattformen haben bei den Griechen für ein Nein bei dem anstehenden Referendum über die Gläubiger-Politik geworben. »Wir glauben, dass das griechische Volk mutig sein und auf ein Nein setzen wird«, sagte Rommy Arce von der Bürgerplattform Ahora Madrid am Freitag. Eine Ablehnung der Forderungen bedeute nicht nur, dass »wir die Sparpolitik ablehnen, sondern auch alle Regierungen in Europa, die diese anwenden«, fügte sie hinzu. Jaime Pastor von der Linkspartei Podemos, sprach von einem »Dilemma zwischen Demokratie und Sparpolitik«. Die Griechen hätten mit dem Referendum die »historische Chance, für ein anderes Europa zu kämpfen«. Juantxo López de Uralde von der ökologischen Partei Equo sagte, die spanischen Gruppen solidarisierten sich mit der griechischen Bevölkerung. »Wir haben auch unter der Politik der Troika gelitten«, sagte er mit Blick auf die internationalen Gläubiger. Zudem sei ein Nein bei dem Referendum »kein Nein zu Europa oder dem Euro, sondern ein Ja zur Demokratie«.

Update 15.55 Uhr: Tsipras: 30 Prozent Schuldenschnitt, 20 Jahre Frist
Zwei Tage vor dem Referendum in Griechenland hat Regierungschef Alexis Tsipras die Forderung an die internationalen Gläubiger nach einem Schuldenschnitt erneuert. Die Verbindlichkeiten sollten um 30 Prozent reduziert werden, sagte Tsipras am Freitag in einer vom Fernsehen übertragenen Ansprache. Zudem verlangte der Linkspolitiker für den übrigen Schuldendienst eine »Gnadenfrist von 20 Jahren«. Die griechischen Staatsschulden haben derzeit ein Volumen von rund 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Update 15.40 Uhr: Tsipras: »Oxi« nicht Abbruch, sondern Fortsetzung der Verhandlungen
Griechenlands Regierungschef Alexis Tspiras sieht in dem Referendum zum den Bedingungen der Gläubiger seines Landes keine Entscheidung über einen Abschied aus der Eurozone. Bei der Volksabstimmung am Sonntag gehe es vielmehr um die Frage, ob sein Volk weiter verarme und verelende, sagte Tsipras am Freitag in einer Fernsehansprache. Die Griechen würden am Sonntag ihre Zukunft in die »eigene Hand nehmen« und gegen die Kürzungsprogramme der Gläubiger stimmen. »Ein Nein bedeutet nicht den Abbruch, sondern die Fortsetzung der Verhandlungen«, versicherte Tsipras.

Update 14.20 Uhr: Rettungsfonds stellt Zahlungsausfall Griechenlands fest
Zwei Tage vor dem Referendum in Griechenland hat der so genannte Euro-Rettungsfonds am Freitag offiziell den Zahlungsausfall festgestellt. Dies erklärte die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) am Freitag. Allerdings sei entschieden worden, von Athen »nicht die unmittelbare Rückzahlung von Krediten zu verlangen«. Der EFSF verzichte zugleich aber auch nicht »auf sein Recht zum Handeln«.

Die Kredite der Euro-Länder für Griechenland liefen bisher über die vor fünf Jahren aus dem Boden gestampfte EFSF. Dieses zweite Kreditprogramm endete aber in der Nacht zu Mittwoch. Neue Kredite darf die EFSF nicht auflegen, zur Verfügung steht jetzt der ständige Euro-Rettungsfonds ESM mit 500 Milliarden Euro. Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat bereits am Dienstag um »Hilfe zur finanziellen Stabilisierung« in Form eines Kredits aus dem Rettungsfonds ESM gebeten. Den Finanzbedarf gab er mit 29,1 Milliarden Euro an. Gleichzeitig verlangt Athen eine »Umstrukturierung« seiner Schulden.

Update 13.10 Uhr: EZB-Rat: Parallelwährung in Griechenland kann es nicht geben
Die immer wieder im Griechenland-Drama diskutierte Parallelwährung kann es EZB-Rat Ewald Nowotny zufolge nicht geben. »Wenn ein Land im Euro ist, ist die Währung dieses Landes der Euro«, stellte Österreichs Notenbankgouverneur und EZB-Ratsmitglied am Freitag in Wien klar. Solange Griechenland Mitglied des Systems der Europäischen Zentralbank (EZB) sei, »gilt das Monopol der EZB. Jedes Geld, das außerhalb dieses Geldmonopols erzeugt würde, ist rechtlich gesehen Falschgeld«, sagte Nowotny, wie die Nachrichtenagentur APA aus Wien berichtete. Was in puncto Parallelwährung diskutiert werde, seien »vielleicht ganz kurzfristige« Mittel in einer Notsituation, wie es etwa in Kalifornien der Fall gewesen sei. »Dort hat die Regierung als Vorgriff auf künftige Steuerverpflichtungen Zahlungsverpflichtungen ausgegeben«, sagte Nowotny vor Journalisten. »Das kann man vielleicht eine Woche machen«, mit Geld habe das aber nichts zu tun. Wenn ein Land aus der Eurozone ausscheidet, könne es natürlich sein eigenes Geld drucken lassen - »beim Drucker ums Eck, das hat mit uns nichts mehr zu tun«.

Update 12.45 Uhr: Berlin weiter gegen Schuldenschnitt
Die Bundesregierung bleibt auch nach neuen Finanzberechnungen durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) bei ihrem Nein zu einem weiteren Schuldenschnitt für Griechenland. Aus dem vom IWF ermittelten Finanzbedarf sei »keinesfalls der Schluss abzuleiten, dass ein Schuldenschnitt zwingend erforderlich« sei, sagte der Sprecher des Finanzministeriums, Martin Jäger, am Freitag in Berlin. Nach einer vorläufigen Einschätzung des IWF benötigt Griechenland bis Ende 2018 rund 52 Milliarden Euro an zusätzlichen Hilfen. Rund 36 Milliarden Euro davon müssten aus der Eurozone kommen, geht aus einer Bewertung der Schuldentragfähigkeit des Landes hervor. Die IWF-Experten erklärten, dass eine Lockerung der bisher erwogenen Kürzungen und Etatmaßnahmen auch einen Schuldenschnitt notwendig machen würde. Dies gelte etwa, wenn eine Einigung geringere Haushaltsüberschüsse vorsehe. Ein weiterer Schuldenschnitt würde diesmal vor allem Steuerzahler der anderen Euroländer treffen. Die Situation in Griechenland hat sich laut Jäger durch die »Misswirtschaft« der seit Januar amtierenden SYRIZA-geführten Regierung in Athen noch einmal deutlich verschlechtert. Mit Blick auf Spekulationen über eine rasche Einigung auf ein Hilfsprogramm aus dem dauerhaften Euro-Rettungsfonds ESM verwies Jäger auf das mehrstufige Verfahren. Das sei »eine nicht einfache Prozedur«.

Update 12.45 Uhr: Neue Umfrage: Ja-Lager knapp vorn
Nach einer neuen Umfrage liegt das Nein-Lager kurz vor dem Referendum knapp vorn. Laut des University of Macedonia Research Institute of Applied Social and Economic Studies, das für die Nachrichtenagentur Bloomberg 1.042 Griechinnen und Griechen befragt, wollen 43 Prozent mit »Oxi« also gegen die Gläubiger-Politik stimmen, 42,5 Prozent stimmten in der Umfrage mit Ja. Die Fehlertoleranz liegt bei drei Prozent, das ist der Bereich, innerhalb dessen die Werte aufgrund statistischer Ungenauigkeit nach oben oder unten abweichen können. Am Morgen war von einer Umfrage der Pasok-nahen Zeitung »Ethnos« berichtet worden, laut der die Befürworter der Gläubigerbedingungen knapp vor dem Nein-Lager lagen. Wie die Zeitung am Freitag berichtete, wollen demnach 44,8 Prozent der Griechen mit Ja stimmen, gegenüber 43,4 Prozent Nein-Stimmen. 11,8 Prozent der Bürger sind der Umfrage des Instituts Alco zufolge noch unentschieden

Update 12.10 Uhr: Linksfraktionsvize Bartsch kritisiert SPD-Politiker Schulz
Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch hat sich empört über Äußerungen des Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, gezeigt. Der SPD-Politiker habe »die Katze aus dem Sack gelassen. Den europäischen Institutionen geht es in Griechenland um nichts anders als ein Scheitern der demokratisch gewählten Regierung« von Alexis Tsipras, so der Linkenpolitiker. »Ein Kompromiss mit Syriza war offensichtlich nie gewollt.« Bartsch erinnerte daran, dass Schulz im Europawahlkampf »für ein Europa der Demokratie, nicht der Bevormundung geworben« habe. »Sein Geschwätz von gestern interessiert Martin Schulz nun nicht mehr. Diese direkte Einmischung in eine innergriechische Auseinandersetzung, der unverhohlene Angriff auf eine demokratisch gewählte Regierung ist eines Präsidenten des Europäischen Parlaments schlicht unwürdig.« Bartsch fügt hinzu: »Es reicht, Martin Schulz!«

Update 11.30 Uhr: Grüne und Linke kritisieren Schulz: »taktlose Einmischung«
Europapolitiker haben sich scharf gegen Äußerungen des Präsidenten des Europaparlaments verwahrt. »Martin Schulz fordert Regimewechsel. Das ist eine völlig taktlose Einmischung«, erklärte der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold im Kurznachrichtendienst Twitter. Er forderte: »Lasst die Griechen frei entscheiden!« Der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi sprach von einer »groben Fehlinterpretation des Mandats als Präsident des Europaparlaments«. Die Äußerungen von Schulz zeugten von »Missachtung der Demokratie«, der SPD-Politiker lasse es an »Kontakt mit der Realität« vermissen. Schulz hatte am Donnerstag im »Handelsblatt« darauf gesetzt, dass es nach dem Referendum in Griechenland zum Rücktritt der SYRIZA-geführten Regierung von Alexis Tsipras und zu Neuwahlen kommt. Diese »wären zwingend, wenn die griechische Bevölkerung für das Reformprogramm und damit den Verbleib in der Euro-Zone stimmt und Tsipras folgerichtig zurücktritt«, sagte Schulz dem »Handelsblatt«. Eine »technische Regierung« müsse dann weiterverhandeln. »Wenn diese Übergangsregierung eine vernünftige Vereinbarung mit den Geldgebern findet, dann wäre SYRIZAs Zeit vorbei. Dann hat Griechenland wieder eine Chance«, wird Schulz zitiert. Er griff zudem Tsipras scharf an, der Premier sei »unberechenbar und manipuliert die Menschen in Griechenland, das hat fast demagogische Züge«.

Update 11.15 Uhr: Riexinger und Gysi fliegen nach Athen
Spitzenpolitiker der Linken reisen noch vor dem Referendum am Sonntag in Griechenland nach Athen. Wie die Linke mitteilte, wollen sich Parteichef Bernd Riexinger, Fraktionschef Gregor Gysi und Klaus Ernst am Freitag und Samstag über die Lage unmittelbar vor der Abstimmung und über die Pläne der SYRIZA-geführten griechischen Regierung informieren. Es gebe zahlreiche Anfragen von griechischen Medien, zudem werde es sicher ein Gespräch mit Regierungschef Alexis Tsipras geben, verlautete aus Fraktionskreisen in Berlin. Die Linken-Politiker wollen demnach vor Ort erfahren, wie die Regierung die Lage einschätzt und wie die Pläne je nach Ausgang des Referendums sind. Zudem will die Linken-Spitze den Angaben zufolge »ein Gespür« für die Stimmung in der Bevölkerung mit Blick auf das Referendum bekommen. Eine direkte Wahlkampfunterstützung, also etwa Redeauftritte vor Demonstrierenden, sei nicht geplant. Bereits am Samstag wollen die Linken-Politiker wieder zurückreisen. Die Linkspartei unterhält enge Beziehungen zur Regierungspartei SYRIZA von Ministerpräsident Alexis Tsipras.

Update 11 Uhr: Eine Analyse des IWF und eine entscheidende Frage
Auf Zeit online schreibt Mark Schieritz: »Am Donnerstagabend hat der Internationale Währungsfonds seine Schuldentragfähigkeitsanalyse für Griechenland veröffentlicht – und auf einmal sehen die Vorschläge von Syriza gar nicht mehr so verrückt aus.« Warum: Der IWF geht davon aus, »dass Griechenland rund 50 Milliarden Euro zusätzlich an Hilfe und einen Schuldenschnitt benötigt – und das wenige Tage nachdem Deutschland und andere Euroländer das Angebot über Verhandlungen über einen solchen Schuldenschnitt aus einer von der Eurogruppe bereits erarbeiteten Vorlage herausgestrichen haben«, so Schieritz. »Warum die Zahlen erst jetzt veröffentlicht werden, darüber lässt sich bisher nur spekulieren. Sollten die Europäer dafür gesorgt haben, weil sie unangenehme Debatten fürchteten, dann sind sie für die Eskalation der Situation in hohem Maße mitverantwortlich.«

Update 10.45 Uhr: Schäuble blockiert für Griechenland vorgesehenes Geld
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will nach einem Bericht des Magazins »Focus« Geld zurückfordern, das eigentlich für Griechenland bestimmt war. Dabei handelt es sich dem Magazin zufolge um Zinsgewinne der Deutschen Bundesbank mit griechischen Staatsanleihen. Insgesamt gehe es um etwa eine Milliarde Euro, die nun zusätzlich dem Bundeshaushalt zugute kommen könne. Das Geld sollte laut »Focus« auf einem Konto des Euro-Rettungsfonds ESM gesammelt und nach Athen überwiesen werden. Da Griechenland aber die Bedingungen der Gläubiger nicht erfüllt habe, sei das Geld zunächst auf dem Konto eingefroren worden. Mit dem Auslaufen des Kreditprogramms am 1. Juli seien die griechischen Ansprüche verfallen, heißt es nun. Schäuble wolle daher den bisherigen deutschen Anteil an diesen Einlagen von 532 Millionen Euro zurückverlangen, hieß es weiter. Zudem habe er veranlasst, eine Überweisung von Zinsgewinnen aus Deutschland von 412 Millionen Euro an den ESM gar nicht erst vorzunehmen. Laut »Focus« dürften auch weitere EU-Staaten auf diese Weise von den eigentlich für Griechenland vorgesehenen Mitteln profitieren.

Update 9.20 Uhr: Riexinger verteidigt SYRIZA-Politik
Der Linkenvorsitzende Bernd Riexinger hat das Vorgehen der SYRIZA-geführten Regierung in Griechenland verteidigt. Man habe in Athen »sofort humanitäre Programme beschlossen. Sie haben versucht, die Griechen wieder in das Gesundheitssystem zurück zu bekommen. Sie haben versucht, eine Steuerbehörde aufzubauen, das Finanzsystem zu ordnen. Und sie haben leider den Spielraum, den sie gebraucht haben, von der Europäischen Union nicht bekommen«, sagte er im Deutschlandfunk. »Das griechische Volk musste jetzt fünf Jahre extrem leiden unter der Auflagenpolitik der Troika. Das Wirtschaftswachstum ist um 25 Prozent gesunken, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 60 Prozent. Ich weiß gar nicht, was bei uns los wäre, wenn mehr als jeder zweite Jugendliche erwerbslos wäre. Die Renten wurden um 40 Prozent gesenkt. Ob sich das unsere Rentner vorstellen könnten?«

Update 9.15 Uhr: Neue Umfrage vor dem Referendum
Zwei Tage vor dem Referendum haben in einer Umfrage der Pasok-nahen Zeitung »Ethnos« die Befürworter der Gläubigerbedingungen Boden gut gemacht - und liegen nun knapp vor dem Nein-Lager. Wie die Zeitung am Freitag berichtete, wollen demnach 44,8 Prozent der Griechen mit Ja stimmen, gegenüber 43,4 Prozent Nein-Stimmen. 11,8 Prozent der Bürger sind der Umfrage des Instituts Alco zufolge noch unentschieden. Die Befragung erfolgte am Dienstag und Mittwoch. Eine frühere Umfrage im Auftrag der linken Zeitung »Efemerida ton syndakton« hatte noch einen Vorsprung für das Nein-Lager ergeben. 46 Prozent wollten demnach mit Nein stimmen. 37 Prozent befürworteten demnach den Gläubigerkurs.

Update 7.30 Uhr: Tsipras: Entscheidung wird respektiert
Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat sich am Donnerstag zu seiner möglichen politischen Zukunft geäußert - allerdings nicht sehr konkret. Auf die Frage nach einem möglichen Rücktritt im Falle eines Ja bei Referendum sagte er in einem Interview mit dem Fernsehsender ANT1, die »Entscheidung des griechischen Volks wird respektiert, ich werde das von der Verfassung vorgesehene Verfahren in die Wege leiten«. Zuvor hatte Finanzminister Yanis Varoufakis erklärt, er werde bei einem Ja der Bevölkerung beim Referendum zu den Gläubigerforderungen zurücktreten. Am Donnerstag hatte Varoufakis zunächst im australischen Rundfunksender ABC nicht ausgeschlossen, dass die gesamte Regierung bei einem positiven Votum zurücktreten könnte. Der Sender Bloomberg TV befragte ihn später zu seiner ganz persönlichen Zukunft: »Wenn das Ja gewinnt, werden sie dann am Montag nicht mehr Finanzminister sein?« Varoufakis antwortete: »Ich werde es nicht mehr sein.«

Update 7.20 Uhr: Europaweite Proteste gegen Gläubiger-Politik
Kritiker der Gläubiger-Politik haben für diesen Freitag und Samstag zu Demonstrationen in mehr als 120 europäischen Städten aufgerufen. Dass die griechische Regierung ein Referendum abhalte, sei »ein historischer Moment für Europa. Auch danach wird der Widerstand der griechischen Bewegungen gegen Erpressung, Verelendung und Entmündigung weiter gehen und braucht unsere entschiedene, starke Solidarität. Denn Europa steht an einem Scheideweg. Die Regierenden treffen mit ihrer Austeritätspolitik in Griechenland, Spanien, Irland, England, Italien usw. uns alle! Sie ersticken ganz Europa und verschärfen die soziale Ungleichheit. Deshalb demonstrieren an diesem Freitag Empörte, Linke, NGOs, Kulturschaffende, Gewerkschaften in ganz Europa«. Eine Übersicht über die geplanten Aktionen findet sich hier.

Update 7.15 Uhr: Politikwissenschaftler warnen: Wenn SYRIZA umkippt …
Die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Jens Wissel haben das Referendum in Griechenland verteidigt. Es sei »wichtig, dass SYRIZA die neoliberalen Politiken nicht übernimmt. Sie sind gewählt worden gegen die Austeritätspolitik und halten Wort. Sie mag politisch ausgebootet werden. Aber sie fragt zu Recht in einem demokratischen Akt die eigene Bevölkerung. SYRIZA ging an die Schmerzgrenze und war mit heftigen innerparteilichen Konflikten konfrontiert. Aber sie zieht eine rote Linie. Wenn SYRIZA umkippt, werden viele Menschen politisch wieder in Passivität verfallen und/oder ins politisch rechte Lager driften. Das ist bei aller Hitzigkeit der aktuellen Auseinandersetzungen nicht zu unterschätzen im Hinblick auf die Schaffung von Alternativen. Die aktuell sich alternativlos gebende Sparpolitik wird euroskeptische und destruktive Kräfte erzeugen, die sich nicht nur gegen die schwächsten Teile der Gesellschaft wenden, wie die Austeritätspolitik, sondern auch Europa als supranationales Projekt beseitigen könnten.«

6.50 Uhr: Oberstes Verwaltungsgericht entscheidet über Referendum
Das Oberste Verwaltungsgericht in Griechenland, der Staatsrat, berät am Freitag über die Rechtmäßigkeit des von der Regierung angesetzten Referendums über die Gläubiger-Forderungen. Gegen die für Sonntag geplante Befragung haben zwei Privatpersonen Einspruch eingelegt, wie am Donnerstag aus Athener Justizkreisen verlautete. Die Antragsteller fordern demnach die Annullierung des Referendums. Sie argumentieren, dass die Abhaltung gegen die Verfassung verstößt, weil nicht über Fragen der »öffentlichen Finanzen« abgestimmt werden dürfe. Zudem sei die Fragestellung zu kompliziert und »technisch«. Der Staatsrat wird sich zudem mit einer am Donnerstag abgegebenen Stellungnahme von zwölf Anwälten befassen, die das Referendum unterstützen, weil es um die »nationale Souveränität« gehe.

Update 6.30 Uhr: Solidarität mit SYRIZA in Frankreich
Mehrere tausend Franzosen sind am Donnerstagabend aus Solidarität mit den Griechen auf die Straße gegangen. Auf Aufruf mehrerer Gewerkschaften zogen die Demonstranten durch die Hauptstadt Paris und skandierten »Solidarität mit dem griechischen Volk« oder »Widerstand in Griechenland, in Frankreich«. Ein Staatsbankrott Griechenlands sei »eine Katastrophe für die Eurozone und den Finanzplaneten«, sage der Europaabgeordnete Jean-Luc Mélenchon, der in vorderster Reihe mitmarschierte. Was derzeit passiere, ziele auf den Sturz der Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras ab, sagte der Linken-Politiker. Auch in anderen französischen Städten, unter anderem in Toulouse, fanden am Abend Solidaritätskundgebungen mit Griechenland statt.

EU-Politiker im Wahlkampf für ein Nai

Berlin. Politiker aus der Europäischen Union haben sich mit vehementen Plädoyers in den Wahlkampf zum griechischen Referendum eingeschaltet. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici rief die Griechen auf, »Ja« zum Sparkurs zu sagen. »Wir müssen die Gespräche mit Griechenland einen Tag nach dem Referendum wieder aufnehmen«, sagte er am Donnerstag in Brüssel. Ein »Nein« würde diese Verhandlungen viel komplizierter machen, mahnte Moscovici. Athen brauche aber weitere internationale Hilfe: »Griechenlands Finanzbedarf wird ja nicht verschwinden.«

Der für Wirtschaft und Währung zuständige Vize-Präsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, widersprach Varoufakis. »Es wäre falsch anzunehmen, dass ein Nein die griechische Verhandlungsposition stärken würde«, sagte er der »Welt«. »Das Gegenteil ist der Fall.« Dombrovskis zufolge haben die Ereignisse der vergangenen Tage der griechischen Wirtschaft schwer geschadet. »Nach der Schließung von Banken und der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen die Finanzstabilität wieder zu erlangen, ist komplizierter und teurer geworden«, sagte er. Griechenland sei »in einer substantiell schlechteren Situation als noch vergangene Woche«.

Der Präsident des Europaparlaments, der SPD-Politiker Martin Schulz, setzt offenbar darauf, dass es nach dem Referendum in Griechenland zum Rücktritt der SYRIZA-geführten Regierung von Alexis Tsipras und zu Neuwahlen kommt. Diese »wären zwingend, wenn die griechische Bevölkerung für das Reformprogramm und damit den Verbleib in der Euro-Zone stimmt und Tsipras folgerichtig zurücktritt«, sagte Schulz dem »Handelsblatt«. Eine »technische Regierung« müsse dann weiterverhandeln. »Wenn diese Übergangsregierung eine vernünftige Vereinbarung mit den Geldgebern findet, dann wäre SYRIZAs Zeit vorbei. Dann hat Griechenland wieder eine Chance«, wird Schulz zitiert. Er griff zudem Tsipras scharf an, der Premier sei »unberechenbar und manipuliert die Menschen in Griechenland, das hat fast demagogische Züge«.

Neue Umfrage: Das SYRIZA-Bashing wirkt
Oberstes Verwaltungsgericht berät über Referendum / IWF beziffert Geldbedarf Griechenlands auf 50 Milliarden / SPD-Politiker Schulz hofft auf SYRIZA-Rücktritt und Neuwahlen / Varoufakis will bei Ja zurücktreten - der Newsblog vom Donnerstag zum Nachlesen

Derweil hält rechnet der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis in jedem Fall mit einer Einigung mit den internationalen Gläubigern. In einem Interview mit dem britischen Sender BBC sprach Varaoufakis am Donnerstag von einer »hundertprozentigen Chance«. »Eine Einigung wird erzielt, egal ob an den Urnen ein 'Ja' oder ein 'Nein' herauskommt«, fügte er hinzu. Wenn die Griechen die Forderungen der Gläubiger in dem Referendum billigten, werde es allerdings eine »schlechte Vereinbarung« geben, warnte Varoufakis. »Wenn das 'Nein' gewinnt, werden wir eine andere Vereinbarung haben, die lebensfähig sein wird.«

Der griechische Finanzminister übte scharfe Kritik an der EU, ihr Umgang mit der Krise sei »sehr schlecht«. »Das ist keine gute Art, eine Währungsunion zu führen«, sagte Varoufakis und fügte hinzu: »Das ist eine Parodie. Es ist ein Theater der Fehler seit nunmehr fünf Jahren.« Die Auflagen der EU für die Kredite an Athen seien »das größte Scheitern der Wirtschaftsgeschichte«.

Die griechischen Bürger sollen bei einem Referendum am Sonntag über Zustimmung oder Ablehnung der Bedingungen der internationalen Gläubiger des Landes zur Schuldenkrise entscheiden. Die SYRIZA-geführte Regierung in Athen wirbt für ein Nein. Die Ansetzung des Referendums hatte zum vorläufigen Abbruch der Verhandlungen auf europäischer Ebene geführt.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) veröffentlichte unterdessen in Washington eine Schätzung, wonach Griechenland bis 2018 etwa 52 Milliarden Euro benötigt. Griechenland hatte dem IWF eine fällige Kreditrate von 1,54 Milliarden Euro nicht zurückgezahlt und ist damit von weiteren Hilfen zunächst abgeschnitten. Dem Papier zufolge, das noch nicht mit der IWF-Führung abgestimmt ist, muss allein die Eurozone bis Ende 2018 noch einmal rund 36 Milliarden Euro nachschießen. Die IWF-Experten erklärten zudem, eine Lockerung der bislang erwogenen Reformpakete würde auch einen Schuldenschnitt notwendig machen.

Dieser IWF-Report »bestätigt voll die griechische Regierung«, sagte deren Sprecher Gabriel Sakellaridis in Athen. Die Regierung halte die griechischen Schulden nämlich für nicht nachhaltig und fordere, dass jede neue Vereinbarung mit den Geldgebern eine Restrukturierung oder einen Schuldenschnitt enthalten müsse. Agenturen/nd

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