Ritterin mit Kuschelmomenten

Seit einem halben Jahrzehnt regiert Hannelore Kraft / Von einer Hoffnungsträgerin der SPD spricht keiner mehr

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Heute vor fünf Jahren wurde Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens gewählt. Vom einstigen Glamour der zeitweilig als SPD-Kanzler-Kandidatin Gehandelten blieb nicht viel übrig.

Welch ein Fehlstart: Die NRW-SPD hatte unter Spitzenkandidatin Hannelore Kraft ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1954 erzielt, und das gegen einen CDU-Ministerpräsidenten, dem diverse Skandale an der Sandale klebten. Trotz erstarktem Juniorpartner fehlte ein Sitz zu einer rot-grünen Landtagsmehrheit.

Kraft ließ alle Sondierungsgespräche scheitern, wollte gar Amtsvorgänger Jürgen Rüttgers (CDU) rot-grüne Politik exekutieren lassen. Schließlich wurde die Zaudernde von Bundes-SPD und Landesgrünen zum Regieren gedrängt. Am 14. Juli 2010 wurde Kraft zur Ministerpräsidentin des einwohnerreichsten und industriestärksten Bundeslands gewählt. Machtwechsel, trotz allem!

Faktisch toleriert wurde Kraft von der Linksfraktion, bis diese in einem strategischen Fehlgriff den Haushalt 2012 scheitern ließ. Die Folge: Neuwahlen. Die LINKE flog aus dem Parlament, SPD und Grüne verfügten dank der verhassten Ex-Konkurrenz plötzlich über eine eigenständige Mehrheit, Krafts Macht war konsolidiert. Bald darauf galt »der neue Liebling der SPD« (»Berliner Kurier«) als mögliche Kanzlerkandidatin.

Kraft tat das, was sie am besten kann: zögern. Dann sagte sie »Nein«. All das ist kein Stoff für ein Shakespeare-Drama, sondern eher für eine Didi-Hallervorden-Klamotte mit Tana Schanzara in der Hauptrolle.

Krafts wesentliche Rolle auf Bundesebene heute: blass erscheinende SPD-Vize und Koordinatorin der SPD-Energiepolitik. Die Ökonomin ist eine strikte Kohlebefürworterin, warnt im Duktus des Bundesverbandes der Deutschen Industrie vor »Deindustrialisierung«. So glaubt sie, dem Interesse des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen zu dienen. Neuerdings setzt die 54-Jährige auch auf ein digitales Upgrade des einstigen Montan-Musterlandes NRW. Kraft gilt Rechten als »Schuldenkönigin«, die letzten drei Haushalte wurden vom Landesverfassungsgericht einkassiert. Ihr finanzieller und damit ihr politischer Spielraum ist stark eingeschränkt. Die Verkehrsinfrastruktur sei marode, klagen Autofahrer wie Bahnnutzer. Wichtige Weggefährten wie der Finanzpolitiker Martin Börschel sprangen von Krafts Seite, ihr Kronprinz, Innenminister Ralf Jäger, ist mehr als angeschlagen.

Krafts zentrales Projekt und Herzensangelegenheit ist »Kein Kind zurücklassen. Kommunen in NRW beugen vor«. Die Sozialdemokratin will Notlagen verhindern, statt erst dann zu intervenieren, wenn ein Kind in eine Not geraten sei. »Vorsorge ist besser als Nachsorge«, betont Kraft. Ihr Kooperationspartner ist die durchaus umstrittene, weil neoliberale und als allzu mächtig eingeschätzte private Bertelsmann-Stiftung.

Das Lob der Praktiker ist eher verhalten. »Das Projekt weist in die richtige Richtung, jedoch sind weitaus weiter gehende Maßnahmen nötig, um Armut und Benachteiligung sinnvoll zu bekämpfen«, sagt Michael Spörke, NRW-Referent für Soziales im Sozialverband Deutschlands. In NRW sei jedes fünfte Kind arm. Doch sei Kinderarmut eine Folge von Elternarmut. Sie könne daher allein mit Maßnahmen, die nur auf Kinder zielten, nicht überwunden werden. Die Bildungsgewerkschaft GEW begrüßt den präventiven Ansatz und Krafts Engagement. »Sich ›kümmern‹ kommt an«, sagt Michael Schulte, GEW-Geschäftsführer in NRW. Auch wirke das Projekt durchaus - »aber es wirkt zunächst nur in 18 Kommunen«. Zudem sei unklar, was die Landesregierung unternehme, um die Konzentration von schlechten Schülerleistungen in bestimmten sozialen Brennpunkten wirklich zu verringern. »Modellprojekte mit Stiftungen sind das eine«, ätzt der Gewerkschafter. »Stringente Tagespolitik, die dazu beiträgt, soziale Ungleichheit im Bildungssystem wirklich zu verringern, etwas anderes.«

»Das Konzept ist vom Grundsatz her gut, weil es eine Präventionskette von der Geburt bis zur Volljährigkeit umfasst«, meint Friedhelm Güthoff, Landesgeschäftsführer des Kinderschutzbundes. Doch mangele es an einer Gesamtkonzeption, die auch intervenierenden Kinderschutz umfasst sowie die Jugendlichen stärker berücksichtigt. »Zudem«, sagt Güthoff, »stört mich, dass die Bertelsmann-Stiftung ein sehr starker Kooperationspartner der Landesregierung ist.«

»Der Spruch ›Kein Kind zurücklassen‹ klang sehr gut im Wahlkampf, aber für Flüchtlingskinder gilt er definitiv nicht«, ärgert sich derweil Birgit Naujoks. Alle Kinder in Deutschland müssten die gleichen Rechte haben, so wolle es die UN-Kinderrechtskonvention. Auch auf Landesebene könnte einiges dafür getan werden, betont die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW. Insbesondere dürften Flüchtlingskinder nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, sondern ihre Familien müssten eine Wohnung zugewiesen bekommen. »Doch passiert«, sagt Naujoks, »ist nichts.«

Hannelore Kraft wirkt mitunter bereits reichlich amtsmüde. Das ist nach fünf Jahren Amtszeit recht früh. Derweil drängen bedeutsame grüne Landespolitiker seit Jahren gen CDU, auch weil sie auf kommunaler Ebene bessere Erfahrungen mit den Konservativen als mit den als arrogant empfundenen Sozis gemacht haben. Bisher langte es rechnerisch nicht für Schwarz-Grün. Manche Umfrage verkündet aber längst anderes.

Die nächste Landtagswahl steht im Mai 2017 an. Einige Monate später wird die Bundestagswahl abgehalten werden. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass neue Koalitionsmodelle sich erst in NRW bewähren müssen, bevor sie im Bund Wirklichkeit werden können. Das dürfte auch für Schwarz-Grün gelten.

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