Handgemachtes Paradies

Wie in Costa Rica umweltgerechter Tourismus gelebt wird

  • Michael Juhran
  • Lesedauer: 6 Min.

Otto Mendez sieht mit seinen streng zu einem Zopf geordneten Haaren nicht nur aus wie ein Künstler. Mit grenzenloser Fantasie und fundierten botanischen Kenntnissen ausgestattet, vermag er innerhalb weniger Wochen trostlose Sandbrachen in blühende Landschaften zu verzaubern. Rund um sein Haus im costa-ricanischen La Tigra wähnt man sich in einem botanischen Garten. Überall sprießen Blumen, Sträucher und Bäume aus aller Herren Länder in den buntesten Varianten. Palmen aus Malaysia, Japan und Madagaskar gedeihen neben Pandanusbäumen aus Australien oder Mandelbäumen aus Mittelamerika. »Einer meiner Freunde besitzt die größte Palmensammlung Mittelamerikas und hat mich gut versorgt«, meint der puerto-ricanische Umweltaktivist und Bauer bescheiden. Dann zeigt er auf einen riesigen Guanacastebaum, der seit seiner Anpflanzung vor erst 34 Jahren förmlich in den Himmel schoss. Mutter Natur platzt auf Ottos Grundstück aus allen Nähten. Aus einer kleinen Quelle ließ der Landschaftsgärtner eine terrassenförmig angelegte Teichlandschaft entstehen, eingesäumt von sechzig Bromelienarten, Farnen, Helikonien, Amelien, Hortensien und Calatheen - ein ausuferndes Grün, in dem sich die schönsten Pflanzen der Regenwälder unserer Erde ein Stelldichein zu geben scheinen.

»Tropische Gärten sind unglaublich faszinierend«, schwärmt Otto. »Farben und Formen sind in ständiger Veränderung begriffen, nichts ist statisch - ein lebendiger Organismus, der sich nach der Startphase ohne jedes Zutun des Menschen weiterentwickelt.« Gern führt Otto Touristen durch sein Pflanzenparadies, das sich beim näheren Hinsehen auch als ideales Biotop für Frösche, Basilisken, Vögel, Schmetterlinge und Insekten aller Art entpuppt. Unter einer Helikonie bettet sich gerade ein Vogel zur Nacht, auf dem benachbarten Busch kuscheln zwei rotäugige Laubfrösche miteinander, ein aus der Familie der Leguane stammender Basiliskus lässt sich auf einem großen Farnblatt vom Wind schaukeln, Kolibris sammeln emsig den letzten Nektar zum Abendessen ein und aus dem Inneren einer Bromelie schaut neugierig ein winziger Pfeilgiftfrosch nach dem Rechten. Eine Wildtiersafari in Afrika könnte kaum aufregender sein als dieser Abendspaziergang durch Ottos Garten.

Otto ist schon wieder in ein neues Projekt involviert. Vor acht Jahren hatten seine Freunde Paul und Gelbert gemeinsam mit dem deutschen Reiseveranstalter travel-to-nature auf einer ehemaligen Rinderweide etwa eine halbe Autostunde von Ottos Haus entfernt mit einem sechs Hektar großen Aufforstungsprojekt begonnen. Aus einigen der inzwischen herangewachsenen Bäume entstanden in achtmonatiger Bauzeit zehn Ferienhäuser, wobei nur selbst gepflanztes Bauholz Verwendung fand. »Bei unserem aktuellen Tourismusprojekt ›La Tigra‹ haben wir uns konsequente Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben«, sagt Otto. »Aktivtourismus und die Renaturierung ehemaligen Weidelandes ergänzen sich dabei beispielhaft. Was unsere Väter und Großväter der Natur nahmen, werden wir ihr jetzt zurückgeben.«

Mittlerweile machen die ersten Reisegruppen aus Deutschland in den Ferienhäusern Station, und jeder Besucher pflanzt auf einem hinzugekauften zweieinhalb Hektar großen Gelände einen Baum. »Die Guabas, Rambutan-, Doraden- und Brotfruchtbäume, Caobillas und Mandelbäume gedeihen in dem von Vulkanasche gedüngten und jährlich mit bis zu 6000 Millimetern Regen bewässerten Boden prächtig. Sie locken Vögel an, die weitere Samen herantragen und damit die Biodiversität vergrößern. So entsteht ein Bewuchs, der dem ursprünglichen Primärwald unseres Landes sehr ähnlich ist«, freut sich Otto, der auch bereits einen ersten Teich angelegt hat. Für die Uferbepflanzung will er aber im Gegensatz zu seinem heimischen Garten nur regionale Arten verwenden. Bald soll es in dem entstehenden Biotop auf dem Rande eines uralten Vulkankraters genauso von Reptilien, Fröschen, Amphibien, Vögeln, Schmetterlingen und Insekten wimmeln wie bei ihm zu Hause. Tourismus in und mit der Natur ist die Vision, die bislang erst selten mit einer solchen Konsequenz umgesetzt wurde wie beim »La Tigra«-Projekt.

Erfahrungen sammelten die am Projekt Beteiligten unter anderem im Ökozentrum von Danaus nahe der Touristenhochburg La Fortuna am Fuße des Vulkans Arenal. Auf einem nur drei Hektar großen Wiesenstück ließen sie einen Sekundärwald mit einem tropischen Ökosystem entstehen, der heute mit seinen Kaimanen, Fröschen, Faultieren, blauen Morphus-Schmetterlingen und zahlreichen Vogelarten Besucher anlockt wie ein Zoo. Einer Insel inmitten von Rinderweiden, Tarot-, Maniok- und Zuckerrohrfeldern gleich bietet Danaus den Tieren einen geschützten Lebensraum, der von ihnen gern angenommen wird.

Auch der Belgier Jean-Pierre Knockaert lässt auf seiner Hacienda-Urlaubslodge »La Isla« unweit der Hauptstadt San José wieder zuwachsen, was im vergangenen Jahrhundert abgeholzt wurde. »Wir liegen hier zwischen den beiden Nationalparks Braulio Carillo und Tortuguero. Die Tiere brauchen einen biologischen Korridor, um sich zwischen den beiden Parks bewegen zu können«, sagt der eingewanderte Naturliebhaber. Nachdem er vor Jahren auf dem Gelände der einst verfallenen Hazienda Mandelbäume pflanzte, kann er jetzt erste Erfolge verzeichnen. »17 seltene Grüne Ara-Paare haben wir in diesem Jahr bereits beobachten können, die sich von diesen Mandeln ernähren«, berichtet er mit sichtbarem Stolz und macht keinen Hehl daraus, dass Naturschutz und Geschäftssinn dicht beieinander liegen: »Die Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren ist in Costa Rica einzigartig, und genau das bringt Touristen aus aller Welt hierher.«

Otto und Jean-Pierre sind nicht die Einzigen, die diesen Zusammenhang erkannt haben und für sich nutzen. Während die Bauern zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den achtziger Jahren insgesamt ein Drittel der Wälder Costa Ricas in Weiden für ihre Kühe verwandelten, um McDonald’s und Co. mit Fleisch zu versorgen, erkennen sie heute in den Wäldern einen natürlichen Schatz. Vielerorts hat man wie im Nebelwald um den Vulkan Rincón de la Vieja Baumwipfelpfade (Canopy-Touren) eingerichtet. Auf schwankenden Hängebrücken kommt man so auch als Tourist dem quirligen Leben auf der obersten Baumebene sehr nahe. Schillernde Tukane, krächzende bunte Aras und fliegende schwarze Truthähne zeigen sich in ihrem gewohnten Lebensraum von den fremden Eindringlingen unbeeindruckt. Kreisende Geier hoffen vergebens auf einen leckeren Happen, Blattschneideameisen rennen geschäftig die Stämme hinauf und hinunter, unterschiedlichste Schmetterlinge und Vögel huschen durch das dunkle Grün. Eine unglaubliche Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten lebt hier oben in luftiger Höhe, nahe dem Sonnenlicht und distanziert von den Gefahren der Ebene. Dabei erfassen ungeübte Augen nur einen Bruchteil. 1982 sammelte der Biologe Terry Erwin erstmals systematisch Insekten in den Baumkronen Mittelamerikas, und er überraschte damals die Welt der Wissenschaft mit geschätzten 30 Millionen Arten. Die Erforschung dieses Lebensraumes befindet sich somit noch in den Kinderschuhen und das Potenzial für die medizinische Nutzung scheint riesig zu sein.

Für Abenteuerhungrige haben die Ticos (wie sich die Costa Ricaner selbst nennen) Stahlseile (Zip-Lines) zwischen den Baumkronen gespannt, die ein berauschendes Dahinschweben über Schluchten, Bäche und üppige Vegetation ermöglichen und die Natur aus der Vogelperspektive erleben lassen. Adrenalin schießt durch den Körper, beschleunigt den Kreislauf und löst ein Gefühl beglückender Schwerelosigkeit aus, Raum und Zeit scheinen sich auszuweiten.

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