Eine Tour, die in Erinnerung bleibt

Chris Froome ist ein Athlet, der menschlich wirkte im Kampf gegen die Schwäche

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Immer wieder stand am Ende der Tour die Frage im Raum, ob Chris Froome mit seinem Sky-Team das Gelbe verteidigen würde. Er tat es. Und durfte endlich einen besonderen Platz in den Annalen der Tour einzunehmen.

Die verbliebenen 160 Teilnehmer der Tour de France hatten ihre letzte Etappe nach Paris noch gar nicht in Angriff genommen, da fielen Schüsse am Rande der Strecke. Französischen Medien zufolge hatte ein Fahrzeug versucht, die Absperrung zu durchbrechen. Daraufhin eröffneten Polizisten das Feuer. Verletzt wurde offenbar niemand. Obwohl die Insassen des Wagens nicht gestellt werden konnten, ging die Polizei nicht von einem Anschlag auf die Tour aus. »Dass jemand bei einer Barriere nicht anhält und dann die Flucht ergreift, ist nichts Besonderes«, wiegelten die Gendarmen ab.

Chris Froome dürfte aufgeatmet haben. Wenn es sich überhaupt um eine Attacke gehandelt hatte, so galt sie mit Sicherheit nicht ihm. Er, der tagelang bespuckt worden war, durfte endlich genießen, einen besonderen Platz in den Annalen der Tour einzunehmen. In einem der spannendsten Duelle seit Jahrzehnten verteidigte der Brite seine Gesamtführung. Er wirkte nach der 110,5 km langen Etappe zum Ski-Ort l'Alpe-d'Huez von den Strapazen gezeichnet, aber auch sehr glücklich.

»Vor zwei Jahren bin ich in die vorletzte Etappe nach Semnoz ohne jeden Zweifel gegangen, dass ich noch die Tour verlieren könnte. Jetzt, in l'Alpe-d'Huez, war es anders. Ich bin unterwegs Tausend Tode gestorben und habe gedacht: Das kann auch noch ganz anders ausgehen«, gestand Froome am Samstagabend.

Der mentale Gegner des Briten kam aus Kolumbien. Nairo Quintana lancierte seine erste Attacke auf der letzten Bergetappe der Tour schon 60 km vor dem Ziel, auf dem Col du Croix de Fer. Erst enteilte sein Movistar-Teamkollege Alejandro Valverde. Dann setzte er sich ab. Froomes Helfer konnten den kleinen Kletterer nicht erreichen. Der Chef musste selbst ran.

Das ist es, was man sehen will. Den Kampf Mann gegen Mann. Seit dem Auftauchen Lance Armstrongs im Jahre 1999 war man an Fahrrad-Catenaccio gewöhnt: Einen Bergcoup landen und dann den Vorsprung mit dem Messer zwischen den Zähnen verteidigen. Langeweile pur produzierte dies. Es war eigentlich ein schlimmerer Effekt als das exzessive Doping, das diese Ära prägte.

Selbstverständlich hatte Team Sky auch ein solches Catenaccio im Sinn. »Unser Match-Plan war, auf La Pierre-Saint-Martin den entscheidenden Schlag zu setzen. Wir haben uns den Anstieg schon vor Monaten genau angeguckt. Er war nicht so steil, so dass ich mir als guter Zeitfahrer bessere Chancen ausgerechnet habe gegenüber stärkeren Bergfahrern«, erzählte Froome in l'Alpe-d'Huez. So kam es dann auch. Froome fuhr wie entfesselt auf den allerersten Pyrenäenberg. Er fing sich mit dieser Leistung mehrere Breitseiten von Verdächtigungen ein, die er allerdings cool wegsteckte.

Wegstecken können, ohne das Gesicht zu verziehen, ist auch eine Catenaccio-Qualität. Wie eben auch auf die Wattzahlen zu gucken und nach dem Powermeter seine Attacken zu planen. Die Überlegenheit von Team Sky, das in sechs Jahren Existenz gleich drei Toursiege mit zwei verschiedenen Fahrern erreichte, beruht genau auf einer solchen Kurvenauswertung. Der frühere Schwimmtrainer Tim Kerrison, der jetzt für den Rennstall Sky arbeitet, operiert mit zwei Typen von Wattkurven: Den Leistungskurven, mit denen in der Vergangenheit eine Tour gewonnen wurde, und den Leistungskurven, die die Fahrer des Rennstalls abliefern. Beide Kurven einander so nah wie möglich zu bringen, ist dann die Trainingsaufgabe.

Dass es mehr als Mathematik dazu braucht, erläuterte Chris Froome auf seiner Siegerpressekonferenz auch. »Mich interessieren nicht so sehr die Siege. Was mich am Morgen aus dem Bett treibt, ist die Aussicht, mich auf dem Rad zu schinden, mich zu überwinden, jeden Tag«, sagte er. Teamkollege Nicholas Roche schrieb ihm eine »Pitbull«-Mentalität zu. Froomes Pitbull-Härte wurde bei diesem Tourfinale von Nairo Quintana schwer geprüft. Denn der Kolumbianer attackierte auch auf den Kehren von l'Alpe-d'Huez. Dieses Mal waren Froomes Helfer aber auf dem Posten. Sie waren die Hundeführer des schwächelnden Pitbulls und zogen ihn inmitten Tausender Fans den Berg hoch. Froome befürchtete, die Tour vielleicht doch noch zu verlieren.

Er war jetzt nicht mehr der zentrale Baustein einer perfekten Sky-Maschine, sondern ein Athlet, der menschlich wirkte im Kampf gegen die Schwäche. Chris Froome ist jetzt auch einer, der durch neue Leiden Größe gewann. Vorbehaltlich des Sieges in Paris ist er in den Klub der Mehrfachsieger der Tour de France eingetreten.

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