Tsipras will »erst die Bombe entschärfen«

SYRIZA debattiert über Termin für Parteitag / Kommen noch mehr Auflagen für Athen? Gespräche über ESM-Kreditprogramm / Griechische Regierung: Weitere Kürzungen stehen nicht zur Debatte / EU-Kommission: »Dies wird nun diskutiert werden«

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Update 13.35 Uhr: Börse könnte bald wieder öffnen
Nach einem Monat Pause bereitet sich die Börse in Athen auf ihre Wiedereröffnung vor. Wie am Dienstag aus Börsenkreisen verlautete, gab die Europäische Zentralbank (EZB) grünes Licht für den neuerlichen Start des Aktienmarkts, mit dem in den kommenden Tagen gerechnet wird. Es fehle nun nur noch eine »ministerielle Entscheidung, die die Bedingungen der Wiedereröffnung festlegt«, hieß es. Ein Sprecher des griechischen Finanzministeriums kündigte eine baldige Entscheidung an, äußerte sich aber weder zu den Konditionen noch zum möglichen Termin für den Börsenstart. Die Börse in Athen hatte am Freitag, den 26. Juni geschlossen - wenige Stunden später kündigte Regierungschef Alexis Tsipras das Referendum an. Am Montag, den 29. Juni führte die griechische Regierung dann auf Druck der Gläubiger Kapitalverkehrskontrollen ein. In deren Folge blieb auch die Börse weiter geschlossen und öffnete seitdem nicht wieder.

Update 12.55 Uhr: Tsipras kritisiert Nein-Lager innerhalb von SYRIZA
Griechenlands Premier Alexis Tsipras hat in der innerparteilichen Debatte um den Kurs von SYRIZA vor einer Spaltung gewarnt. Er sehe sich als »Garant der Einheit von SYRIZA«, sagte der Vorsitzende gegenüber dem Radiosender Sto Kokkino. Aber die Einheit der Partei könne auch nicht erzwungen werden. Man müsse eingestehen, dass der Versuch, SYRIZA von einer Partei unterschiedlicher Fraktionen zu einer Partei der Einheit zu machen, bisher nicht gelungen ist. Er habe keineswegs vor, aus SYRIZA eine sozialdemokratische Partei zu machen. Aber er könne auch nicht zulassen, dass die inneren Probleme von SYRIZA zu Problemen des Landes würden.

Tsipras wiederholte seine Auffassung, nach der die Griechen beim Referendum »Nein« zu einem schlechten Angebot der Gläubiger gesagt hätten - aber nicht »Ja« zu einem Grexit. Vor dem Hintergrund von Medienberichten über Debatten über eine »linke Variante« des Ausscheidens aus dem Euro auf dem linken Flügel von SYRIZA, sagte er, es gebe nun offenbar einige, die entgegen des Ergebnisses des Referendums agieren wollten.

Mit Blick auf die Kritiker seines Kurses und die Nein-Stimmen aus den eigenen Reihen bei den Abstimmungen über die Gläubiger-Auflagen sagte er, er habe den Eindruck, dass diese so handelten, als hätten sie die Entscheidung dafür bereits vor längerer Zeit getroffen. Tsipras äußerte Respekt vor unterschiedlichen Meinungen, forderte diejenigen, die von der »gemeinsamen Regierungslinie« abgewichen seien, aber zugleich auf, ihre Mandate zurückzugeben. Es sei surreal, zu behaupten, man könne dem Kurs des Premiers nicht zustimmen, wolle aber dennoch die Regierung unterstützen.

Zu den die anstehenden Abstimmungen über ein mögliches Abkommen mit den Gläubigern sagte Tsipras, wenn es dabei nicht für eine eigene Mehrheit der Regierung reiche, werde er den Weg von Neuwahlen gehen. Der SYRIZA-Chef plädierte zudem abermals für einen Parteitag Anfang September - also nach dem Abschluss einer möglichen Vereinbarung mit den Gläubigern. Man trage mit den Verhandlungen über ein neues Kreditprogramm derzeit »eine scharfe Bombe«, so Tsipras wörtlich. Diese müsse erst entschärft werden, dann könne man auch reden. Man werde keine Maßnahmen akzeptieren, die über die Vereinbarung mit den Gläubigern vom Euro-Gipfel vom 13. Juli hinausgehen, so Tsipras.

Update 7.25 Uhr: SYRIZA-Führung kommt erneut zusammen
Auf einem weiteren Dringlichkeitsteffen am Donnerstag will das Zentralkomitee von SYRIZA über eine mögliche Lösung für die parteiinternen Kontroversen beraten. Bereits am Dienstag hatten die über 200 Mitglieder des Führungszirkels der Linkspartei beraten. Hintergrund sind Forderungen des linken Flügels, die Gespräche mit den Gläubigern nicht weiterzuverfolgen, sondern einen alternativen Weg einzuschlagen, schreibt die konservative Zeitung »Kathimerini«.

Am Montag hatte Premierminister und Parteichef Alexis Tsipras in der Sitzung des politischen Sekretariats darauf bestanden, dass es keine andere Option gebe, als ein neues Kreditprogramm abzuschließen - die Alternative sei keine, nämlich der Grexit. Tsipras sprach sich zudem für einen Parteitag im September aus, auf dem über den Kurs beraten werden solle. Die Linke Plattform von SYIRZA besteht aber auf einem früheren Termin - ein Parteitag über den Kurs in der Krisenpolitik müsse jetzt stattfinden, noch bevor ein drittes Kreditprogramm verabschiedet wird. Ebenfalls am Montag hatte die Linke Plattform in einer Athener Sporthalle eine von Hunderten Anhängern besuchtes Treffen abgehalten, von dem ein klares Nein zu den Bedingungen der Gläubiger ausging.

Kommen noch mehr Auflagen für Athen?

Berlin. Nachdem am Dienstag bereits Gespräche über ein neues Kreditprogramm für Griechenland auf Expertenebene begonnen haben, wird für Mittwoch in Athen die Ankunft der Leitung der Gläubiger-Quadriga erwartet - die Missionschefs von EU, IWF, Europäischer Zentralbank und vom Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM sollen laut griechischem Finanzministerium anreisen.

Auf Expertenebene sollen die Verhandlungen zwischen den Institutionen und der SYRIZA-geführten Regierung sogar schon bis Freitag abgeschlossen werden. Aus Kreisen des Athener Finanzministeriums hieß es, die Gespräche sollten in verschiedenen Arbeitsgruppen weitergehen. Weitere Auflagen und Kürzungen stünden nicht zur Debatte - das sehe die Vereinbarung des jüngsten Euro-Gipfels nicht vor. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte hingegen, dass weitere Maßnahmen für eine Einigung über ein ESM-Programm durchaus erwartet würden. »Dies wird nun diskutiert werden.«

Bis Mitte August soll die abschließende Einigung über ein neues Kreditprogramm vorliegen - entscheidend wird sein, welche Auflagen die Gläubiger machen. Bereits umgesetzt worden waren umstrittene Bedingungen für die Aufnahme von Gesprächen über ein ESM-Paket. So musste Athen etwa die Mehrwertsteuer erhöhen - statt 13 Prozent schlagen künftig 23 Prozent etwa bei Fleisch, Wurst und verarbeitetem Fisch zu Buche. Das belastet vor allem diejenigen, die schon unter den Kürzungsprogrammen der vergangenen Jahre gelitten haben.

Die EU-Kommission zeigte sich zuversichtlich, dass nach Mitte August eine Vereinbarung steht. Dies sei möglich, sagte eine Kommissionssprecherin am Dienstag in Brüssel und sprach erneut von der »zweiten Augusthälfte« als Ziel. »Es gibt weiterhin Fortschritte«, sagte sie. »Die Zusammenarbeit mit den griechischen Behörden läuft reibungslos.« Am Dienstagmorgen besuchten Vertreter der internationalen Gläubiger den Rechnungshof in Athen. Aus Kreisen des griechischen Finanzministeriums hieß es, die Gespräche seien »intensiv« gewesen.

Der Termin eines Abschlusses ist erneut entscheidend: Für den 20. August steht die Rückzahlung einer griechischen Kreditrate in Höhe von knapp 3,2 Milliarden Euro an die EZB an. Nach Einschätzung der Gläubiger benötigt Griechenland in den kommenden drei Jahren zwischen 82 und 86 Milliarden Euro. Das ESM-Kreditprogramm wird voraussichtlich etwa 50 Milliarden Euro schwer sein. Ein Teil soll vom IWF kommen. Einen anderen Teil soll die Athener Regierung über beschleunigte Privatisierungen beitragen.

Der »Wirtschaftsweise« Lars Feld bezeichnete derweil das angestrebte Kreditprogramm als richtig. Ein Euro-Austritt (»Grexit«) sei nicht empfehlenswert, weil er vor allem für die Griechen erhebliche Nachteile hätte. Ohne Maßnahmen, die Feld als nötige Reformen ansieht, werde es für aber Athen schwierig - ob mit oder ohne weitere Schuldenerleichterungen, betonte er. Wenn die griechische Wirtschaft wieder anziehe, seien jedoch auch die Zinszahlungen für die Hilfskredite zu bewältigen. Umstritten ist, durch welche Maßnahmen ein Wiederaufschwung zu erreichen ist. Viele Ökonomen sehen es sehr kritisch, dass vor allem Kürzungen und Deregulierungen von der SYRIZA-geführten Regierung verlangt werden, welche die Binnennachfrage unter Druck setzen. Außerdem ist die soziale Not vieler Griechen bereits sehr groß.

Gestritten wird unterdessen weiter über die Frage, wie weit die Kontrolle der Gläubiger-Institutionen über die Steuerbehörde Griechenlands ging. Ex-Finanzministers Yanis Varoufakis hatte entsprechende Vorwürfe in einer Telefonkonferenz erhoben. »Anschuldigungen, dass die Troika das Generalsekretariat für öffentliche Einnahmen kontrolliert hat, sind falsch und unbegründet«, sagte dagegen eine Kommissionssprecherin am in Brüssel. Die Gläubiger-Institutionen könnten den Steuerbehörden technische Hilfe leisten, diese aber nicht kontrollieren. »Das ist einfach nicht wahr.«

Ein angeblicher Grexit-Plan von Varoufakis könnte derweil ein gerichtliches Nachspiel haben. Die parlamentarischen Vertreter der konservativen Nea Dimokratia legten am Dienstag einen Antrag für einen Untersuchungsausschusses vor. Dieser soll die Aktionen Varoufakis untersuchen und möglicherweise seine Immunität aufheben, damit die Justiz darüber beraten kann. Auch die Justiz hat ihr vorliegendes Material zu dem Fall dem Parlament überwiesen. Das berichteten übereinstimmend griechische Medien.

Die griechische Regierung hatte unter Varoufakis Leitung über einen »Plan B« nachgedacht für den Fall, dass die Gläubiger einen Austritt aus der Eurozone erzwingen. Daran war auch der US-Wirtschaftswissenschaftler James K. Galbraith beteiligt. Es sei darum gegangen, eine Notfallplanung für mögliche Versuche der Gläubiger vorzubereiten, falls versucht würde, die griechische Regierung aus dem Euro zu drängen.

Man habe sich lediglich mit den möglichen operativen Probleme befasst, die in einem solchen Fall zur Lösung angestanden hätten, so Galbraith, der die Arbeitsgruppe unentgeltlich koordiniert hat. Zu keinem Zeitpunkt sei man in Entscheidungen der Regierung eingebunden gewesen, auch habe man nicht zu einem Grexit geraten. Die Arbeitsgruppe habe ihre Tätigkeit Anfang Mai eingestellt und ein längeres Papier mit Szenarien und den damit verbundenen möglichen Anforderungen vorgelegt. Agenturen/nd

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