«Unwürdig und belastend»

Piraten kritisieren Untersuchungen von minderjährigen Flüchtlingen

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.
In einer parlamentarischen Anfrage fragten die Piraten u.a. nach aktuellen Zahlen zur Unterbringung und Ausbildung von jungen Flüchtlingen.

Die Zahl der in Berlin ankommenden Flüchtlinge steigt, also auch die der Minderjährigen. Im gesamten Jahr 2010 zählte die Erstaufnahme- und Clearingstelle des Landes Berlin (EAC) 651 angekommene junge unbegleitete Flüchtlinge. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Bildung waren es in diesem Jahr bis zum 30. Juni bereits 666 junge Flüchtlinge. Die Zahlen stammen aus einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Piraten, die «neues deutschland» vorab vorliegt. Demnach stammen die größten Gruppen aus Syrien, Afghanistan, Vietnam, Guinea, Marokko, Bangladesch, Somalia, der Russischen Föderation oder waren Palästinenserinnen und Palästinenser.

Der flüchtlingspolitische Sprecher der Piratenfraktion, Fabio Reinhardt, wollte u.a. wissen, ob minderjährige Flüchtlinge in Hostels und Notunterkünften untergebracht werden und ob sie sich selbstständig einen Platz suchen müssen. Angesichts «der sprunghaft steigenden Zahl der monatlich Ankommenden konnte in zusätzlicher Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz, den Berliner Johannitern und Maltesern, dem Deutschen Jugendherbergswerk und sozialpädagogischen Netzwerken die Erstaufnahme und jugendhilfegerechte Betreuung erfolgen», erklärt die Senatsverwaltung. Eine Aufschlüsselung zur Frage, wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Hostels und Notunterkünften untergebracht werden und wie lang, «liegt nicht vor».

Anfang Juli waren in mehreren Bundesländern Vorwürfe laut geworden, wonach das Alter von minderjährigen Flüchtlinge mit Hilfe einer Genitaluntersuchung festgestellt wird. Senatsverwaltung und Charité hatten damals mitgeteilt, vor der Röntgenaufnahme der Kiefer und Zähne werde eine «Ganzkörperuntersuchung durchgeführt». Diese diene sowohl der «Feststellung der Reifezeichen» wie auch der Klärung der Röntgenverträglichkeit. Eine spezielle Genitaluntersuchung erfolge jedoch nicht.

Die Piraten fragten dazu nach und wollten unter anderem wissen, wie oft in den vergangenen fünf Jahren Verfahren zur Altersfestsetzung in Berlin durchgeführt wurden. Antwort der Senatsverwaltung: «Im Vorfeld wird den jungen Flüchtlingen durch die beauftragte ärztliche Fachkraft und unter Beiziehung einer Sprachmittlerin/eines Sprachmittlers sowohl mündlich als auch schriftlich der Inhalt und Umfang der vorgesehenen Untersuchungen erklärt. Bei Einverständnis werden dann bei weiblichen jungen Flüchtlingen durch die Fachärztin und bei männlichen jungen Flüchtlingen durch den Facharzt die Begutachtungen der einzelnen Körperregionen durchgeführt.» Zahlen nannte die Senatsverwaltung nicht.

«Offensichtlich ist es - entgegen anderweitiger Beteuerungen - auch in Berlin üblich, dass sich Jugendliche vor einem Facharzt ausziehen müssen und der Genitalbereich begutachtet wird», sagte Pirat Fabio Reinhardt dem «nd». «Diese Prozedur ist absolut unwürdig und für die Jugendlichen höchst belastend.» Fraglich sei, ob sich die Jugendlichen wirklich freiwillig untersuchen lassen oder nicht viel mehr aus Angst und Unwissenheit bei dem Vorgang mitmachen.« Das Verfahren sei darüber hinaus medizinisch höchst umstritten, da es keine verlässlichen Angaben über ein Alter liefert. »Es muss umgehend gestoppt werden.«

Auch konnte die Senatsverwaltung keine Angaben dazu machen, wie viele der derzeit in Berlin lebenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge eine Schule besuchen, eine Ausbildung absolvieren - oder in wie vielen Fällen die Ausländerbehörde Berlin jungen Flüchtlingen, die in der Hauptstadt eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, eine Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme erteilt oder verweigert hat.

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