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Griechische Überlebenskunst

Margarita Tsomou über die Klischees vom griechischen »Volkscharakter« und ein Leben jenseits der neoliberalen Rezepte

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.
»Raffgierige Griechen«, »Pleitegriechen«, »Euro-Betrüger« – in der Griechenland-Debatte zirkulieren in deutschen Medien Zerrbilder der griechischen Bevölkerung; griechische Stimmen werden kaum in die Diskussion einbezogen. Am kommenden Wochenende will ein Kongress in Hamburg diesen Bildern etwas entgegensetzen. Eingeladen sind u.a. Künstler und Kulturschaffende aus Griechenland. Jürgen Amendt sprach mit Margarita Tsomou, einer Mitorganisatorin des Kongresses, über Stereotype in der Griechenland-Debatte und über die Kraft, die Künstler aus der Krise schöpfen. Margarita Tsomou ist Griechin, arbeitet als Autorin, Dramaturgin und Kuratorin in Berlin und gibt die Zeitschrift »Missy Magazine« heraus.

Ein Mobilfunkanbieter wirbt derzeit mit einem nach eigenen Angaben »lebenslustigen Griechen« für den Kauf von kostengünstigem Zubehör für Handys. Was geht Ihnen durch die Kopf, wenn Sie diesen bärtigen Mann mit 70er-Jahre-Brille und dem forschen Versprechen »Das costa fast gar nix« im Fernsehen sehen?
Der Spot ist auf jeden Fall sympathischer als neulich das Titelbild des »Spiegel« mit dem Spruch »Unsere Griechen - Annäherung an ein seltsames Volk« und mit dem Abziehbild des »raffgierigen« Griechen, der angeblich nur eines im Sinn hat: dem deutschen Steuerzahler das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Aber wird durch das Bild des »lebenslustigen« Griechen, der immer darauf bedacht ist, ein Schnäppchen zu machen, und ansonsten ein Bruder Leichtfuß ist, nicht auch ein bestimmtes Stereotyp bedient: Griechen sind nett, man kann mit ihnen prima Freundschaft schließen, wirtschaftlich kriegen sie aber nichts auf die Reihe?
In dem Maße, in dem die strukturellen Probleme in der Eurozone zugenommen haben, wurden die aus der Austeritätspolitik resultierenden Folgen einem imaginären Volkscharakter zugeschrieben. Dabei geht es um »die Griechen an sich«, die im guten Fall »lebenslustig«, meist jedoch eher als Schmarotzer auf die Welt gekommen sind. Das erinnert an die Art und Weise der Argumentationen vor dem und während des Ersten Weltkriegs. Auch damals hat man vermeintliche »Volksmentalitäten« ausgemacht. Damit geht die Rückkehr eines neuen deutschen Nationalismus einher: »Wir« gegen »Die«. Dieses »Wir« ist nicht Bevölkerung, Arbeitnehmer, Volk, sondern die Figur des »deutschen Steuerzahlers«, die in einem Klassenkompromiss alle »Leistungsträger« verbindet gegen die Nichtzahler - ob Griechen, Hartz-IV-Empfänger oder Migranten. Das Gegenstück zum bedrohlichen griechischen Gesamtcharakter ist das deutsche ehrliche und hart arbeitende »Wir«. Nicht zufällig wird in der Debatte um die Euro-Krise immer häufiger mit Kriegsmetaphern argumentiert.

Die findet man auf griechischer Seite noch häufiger als etwa auf der deutschen. In griechischen Medien werden Banken mit deutschen Panzern verglichen, die ins Land einfallen, Schäuble und Merkel werden in Wehrmachtsuniformen dargestellt.
In den meisten deutschen Medien ist man darüber empört, schließlich, so wird argumentiert, gehe es hier um zwischenstaatliche Vereinbarungen und wirtschaftliche Übereinkommen. Von einem Krieg zu sprechen, ist aus deutscher Sicht absurd. Im Kern geht es in der Griechenland-Politik aber darum, die Verschuldung von Staaten zur Kontrolle dieser Staaten zu nutzen und letztlich deren staatliche Souveränität auszuhebeln.

Am kommenden Wochenende soll diesen medial vermittelten Bildern von Griechenland in Hamburg auf dem von Ihnen und Eike Wittrock kuratierten Kongress »This ist not Greece« auf dem Internationalen Sommerfestival Kampnagel etwas entgegengesetzt werden. Die Bilder, die wir hierzulande gezeigt bekommen, zeigen überwiegend protestierende Menschen, Menschen im täglichen Überlebenskampf. Kunst und Kultur in Griechenland kann man sich unter den Bedingungen dieses permanenten Ausnahmezustandes gar nicht mehr vorstellen. Der Kongress hat jedoch genau diesen Schwerpunkt.
Unsere These ist, dass Kunst und Film Vehikel sind für eine Selbstrepräsentation von vor Ort, jenseits der Projektionen der deutschen Medien. Wir holen diese Bilder nach Hamburg. Denn Kunstproduktion hört nicht auf, nur weil es kein Geld gibt, sondern hat in der Krise enormen Stoff zu verarbeiten. Wir haben zum Beispiel den Co-Direktor der Experimentalbühne des griechischen Nationaltheaters, Anestis Azas, eingeladen. Azas arbeitet seit Monaten, ohne einen Cent dafür zu bekommen. Am Nationaltheater ist das mittlerweile der Normalzustand. Ob das Theater im September in die neue Saison starten kann, ist ungewiss. Azas arbeitet also ins Ungewisse hinein. Diese Produktionsbedingungen fließen auch als Stoff in die Werke ein: Anestis Azas hatte Endproben für seine nächste Premiere in der Zeit zwischen dem Referendum, bei dem die Mehrheit der Griechen ihr Nein zu der Erpressungspolitik der Troika kundtat, und der Vereinbarung der griechischen Regierungen mit der EU zu eben jenen katastrophalen Bedingungen. An eine normale Probe war da gar nicht zu denken. Wie auch, wenn draußen niemand wusste, wie sich seine Welt in der nächsten Stunde radikal verändern wird. Die Debatten zwischen den Schauspielern wurden kurzerhand in das Stück integriert. Die ganze erste Szene ist eine Verhandlung darüber, ob man überhaupt noch Theater spielen soll, wenn draußen alles zusammenbricht.

Ganz naiv gefragt: Wovon lebt man als Künstler, wenn man kein Gehalt mehr bekommt?
Gehalt hat man als Künstler ohnehin nicht. Viele wohnen bei den Eltern oder haben ein kleines Häuschen, das ihnen gehört. Ein paar Hundert Euro im Monat kratzt man irgendwie zusammen. Man lebt einfach, isst nicht im Restaurant, kauft sich keine neuen Klamotten. Und man ist erfinderisch: Man nistet sich ein in leeren, heruntergekommenen Gebäuden, die keine Miete kosten, wie es die Athen Biennale mit ihren Headquartern nun auf dem Omonoia-Platz gerade tut. Poka Yio, der Gründer der Biennale, wird auf dem Kongress über diese Art der Raumnahme sprechen. Oder man dreht Filme mit einfachen Handkameras, wie es Ektoras Lygizos mit seinem preisgekrönten Film gemacht hat, den wir auf der Konferenz zeigen werden.

Das klingt fast schon romantisch.
Ich will das nicht romantisieren, aber in Griechenland zeigt sich, dass es möglich ist, jenseits der neoliberalen Alltagsrezepte zu leben. Man kann ganz gut auf teure Handys verzichten. Das ist kein Plädoyer fürs Verzichten, aber in der Krise hat eine Verschiebung in der Haltung zum Alltag stattgefunden. Konzepte wie Solidarität, sozialer Zusammenhalt und Gerechtigkeit, Würde und Menschlichkeit sind nicht mehr nur Vokabeln der Linken. Der Zusammenbruch des Lebens, wie es vor dem Eintreten der Folgen des Neoliberalismus war, hat die Umrisse von einem anderen Horizont durchscheinen lassen.

Also hat »unser« Grieche aus der Werbung doch Recht: Für ein gutes Leben braucht es keinen teuren Handy-Schnickschnack?
(Lacht.) Ja, in gewisser Weise stimmt das. Deswegen würde ich gern das Lamentieren kurzfristig unterbrechen, die Interpretation des Spots experimentell umdrehen und positiv lesen: Menschen, die hierzulande in prekären Verhältnissen leben, könnten sich ja sagen: Hey, die Griechen sind die gleichen Underdogs wie wir, die haben auch wenig Geld; ich sollte mich lieber mit ihnen identifizieren als mit Wolfgang Schäuble oder Angela Merkel.

Internationales Sommerfestival: »This is not Greece«, 7. und 8.8., Kampnagel Hamburg; www.kampnagel.de

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