Don’t look so alliiert at me

Darf man Israelkritiker kritisieren? Bequeme Argumente für empfindliche Seelen.

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 7 Min.

Es gibt Gedichte, die ersetzen ganze Abhandlungen. So eines von Wiglaf Droste: »Ich höre sie jammern, sie dürften als Deutsche / In Deutschland nichts gegen Israel sagen. // Das dürfen sie aber, es tun auch fast alle, / Und können dann nicht mal ein Echo vertragen.« Unfreunde des israelischen Staates müssen jetzt tapfer sein. Wir werden auch heute den Nahostkonflikt nicht klären können. Der Blick sei vielmehr gerichtet auf ein geläufiges Diskursverhalten, von dem ich meine, dass es nicht an den Tag legen kann, wer sich mit Fug gewisse Vorwürfe verbitten will.

Es geht um das, was ich das Zwillingsargument nenne, um zwei stets verbundene Gedanken, die in Streitgesprächen über Israel zum festen Repertoire gehören: »Man darf Israel ja nicht kritisieren« und »Kritik an Israel ist nicht antisemitisch«. Beide Sätze sind diskursstrategische Kniffe, die von denen, die sich ihrer bedienen, nicht verstanden und dennoch beherrscht werden. Was sie gepflogen macht, ist ihr Erfolg. Sie haben sich bewährt, gerade weil sie eristisch sind. Auf die Menge gerechnet ist gegen diese Wirkung kein Kraut gewachsen, aber es schadet vielleicht nicht, denen, die sie benutzen, einmal zu erklären, warum sie sie benutzen.

Diskussionen über Israel sind stets aufgeladen, mit Schuldgefühl und Opferneid als innersten Affekten, die der Staat Israel bei vielen europäischen Beobachtern selbst dann noch auslöst, wenn er nichts tut als am Mittelmeer zu liegen. Und insbesondere des Deutschen Sentiment ist von solcher Unsicherheit, dass Thomas Pigors »Don’t look so alliiert at me« allezeit aus ihm spricht. Daher laufen sämtliche Diskussionen über Israel in eristischen Bahnen. In den einzelnen Momenten, wie dem Messen mit zwei Maßstäben, dem Herausreißen aus organischen und dem Hineinzwängen in fremde Kontexte, ebenso wie auch in der Bewegung insgesamt, dem situativen Springen zwischen den gedanklichen Ebenen, sobald ein Pflaster zu heiß geworden ist.

Es ließe sich ein Normalverlauf von Diskussionen über Israel skizzieren. (1) Israel wird auf nicht-rationale Weise kritisiert; (2) der Kritik wird auf der Sachebene begegnet, die Vorwürfe als überzogen oder falsch angegriffen; (3) Reaktion ist eine Flucht auf die Metaebene, Kritik an Israel werde hierzulande unterdrückt usw.; (4) man folgt der Fluchtbewegung auf die Metaebene und stellt dort mittels logischer Destruktion Rationalität wieder her; (5) Reaktion darauf ist die Flucht zurück auf die Sachebene, der Betroffene, der nicht erklären kann, warum er einseitig und irrational agiert, überträgt das Problem auf das Objekt seiner Abneigung, die unmenschliche Politik zwinge zu harten Urteilen usw., womit er wieder bei (1) und der Kreis geschlossen ist. In der Tat kann man in diesem Zyklus irgendwo einsetzen; sobald man mit einem maladen Streithammel darin gefangen ist, gibt es kein Entrinnen außer einer Packung gut sitzender Ohropax.

Das Zwillingsargument gehört in die dritte Phase dieses Zyklus. Es taucht nicht ohne Not in einer Auseinandersetzung auf. Niemand, soll das heißen, der auf seiner Position sicher steht, hätte es nötig. In ihm ist die eine der beiden Fluchtbewegungen erfüllt. So wie es die Flucht in den Inhalt gibt, wenn man auf der Reflexionsebene nicht zurande kommt (5), gibt es die Flucht aus dem Inhalt, sobald sich zeigt, dass man inhaltlich nicht gut aufgestellt ist (3). Paradox am Zwillingsargument ist, dass es den Anspruch erhebt, Diskussion über die Diskussion zu sein, aber dasselbe Maß an Unbewusstheit enthält, das die Auseinandersetzung auf der Reflexionsebene überhaupt erst nötig macht. Es importiert das Irrationale auf diejenige Ebene, die eigentlich dafür vorgesehen ist, Irrationalität zu untersuchen.

Zunächst ist die Behauptung »Man darf Israel ja nicht kritisieren«, als verschämte Schwester des sarrazinistischen »Das wird man doch wohl noch sagen dürfen«, tatsächlich einfach falsch. Im Sinne eines juristischen Verbots stimmt sie nicht. Es gibt kein Gesetz, keine Regelung, kein politisches Notstandsverfahren, das ein solches Verbot regelt. Sie stimmt aber auch nicht im Sinne einer Konvention. Im Gegenteil ist leicht zu zeigen, dass in sämtlichen Mediengattungen kein Staat so in- und extensiv kritisiert wird wie Israel. Nicht die USA, nicht die BRD (die meist im abstrakten »Wir« auftritt). Von veritablen Mordregimen wie dem Iran gleich ganz zu schweigen.

Versteht man den Satz hingegen so, wie er seiner Formulierung nach eigentlich nicht verstanden werden kann, nämlich als Klage, dass Israelkritik ihrerseits Kritik erfahre, dann wäre wenigstens die Beziehung zur Wirklichkeit hergestellt, aber doch eine, die Aufschluss gewährt über ein asymmetrisches Maßsystem. Man will Israel kritisieren dürfen, ohne in Gegenwind zu kommen. Man fordert für sich ein Recht, das man seinem Gegner nicht gestattet.

Es geht um die Verunmöglichung genau der Auseinandersetzung, deren Fehlen behauptet wird. Unzweifelhaft ist das Ende jeglicher Diskussion dort erreicht, wo die Klage auftaucht, dass nicht diskutiert werden dürfe, was gerade diskutiert wird. Die Widerrede, eigentlich das erste Anzeichen einer Diskussion, wird als ihr Ende umgedeutet. Psychostrategisch scheint aber noch mehr im Spiel. »Man darf Israel ja nicht kritisieren« ist eine gelungene Verkehrung des effektvollen Danton-Worts: »Sie werden es nicht wagen«, nämlich in ein: »Sie werden es wagen«. Nur, wo Büchner planvoll agiert, operiert man hier bloß intuitiv. Die Situation ist, dass einer etwas sagen will, von dem er weiß, dass es Widerspruch hervorrufen wird. Er fragt aber nicht, ob das vielleicht daran liegt, dass es falsch oder so ungerecht ist, dass es Gegenwehr hervorrufen muss; er baut in instinktiver Abwehr mit dem Satze, Kritik an Israel werde eben unterdrückt, dem Gesagten vor. Er übt, mit dem erwartbaren Konter umzugehen, ehe er da ist, und nimmt dem ersten Einschlag damit die Wucht. Zugleich erscheint er als schlau, weil er das Handeln seiner Gegner vorausgesehen hat. Die hinwieder stehen als einfältig und berechenbar da. Ob ihre Vorhaltungen berechtigt sind, ist zu diesem Zeitpunkt bereits so weit aus dem Blick gerückt, dass es auf die Frage, wer nun sachlich Recht hat, gar nicht mehr ankommt. Ihnen bleibt die Wahl zwischen zwei Niederlagen: entweder dem Kritiker das Feld zu überlassen oder seinen Verleumdungen zu widersprechen und damit das Vorurteil, Kritik an Israel werde unterdrückt, zu bestätigen. So leitet sich die Aufmerksamkeit des Publikums um in ein Bewundern, denn der Kritiker erscheint zweimal als etwas, das er nicht ist: als erhabener Besitzer der Wahrheit und als eben dafür Verfolgter.

Der andere Teil im Gespann ergibt erst dann Sinn, wenn man den ersten um das stets Mitgedachte ergänzt: »Man darf Israel ja nicht kritisieren (ohne als Antisemit zu gelten)«, aber: »Kritik an Israel ist nicht antisemitisch«. Formallogisch besteht hier kein Zusammenhang; unsere Zwillinge sind zweieiig. In welchem Kopf immer der eine wohnt, dort findet sich auch der andere, und das liegt ganz einfach darin, dass die Menge derer, die den ersten Satz denken, in der Menge derer, deren Kritik an Israel durchaus antisemitisch zu nennen wäre, nahezu aufgeht.

Es ist anzunehmen, dass der zweite Gedanke injektiv gemeint ist. Anders ergibt er weder in der Formulierung noch vom Sprechort her einen Sinn. Wer ihn äußert, meint nicht, dass es möglich ist, Kritik an Israel zu üben, die nicht antisemitisch ist, sondern dass, sobald Kritik an Israel geübt wird, Antisemitismus als Motiv ausgeschlossen werden muss. Andernfalls stellte sich sogleich die Frage, der vorzubeugen die eigentliche Funktion des Satzes ist, ab welchem Punkt nämlich, unter welchen Umständen, in welcher Form Kritik an Israel antisemitisch werde. Wie sein Bruder fungiert auch er in Situationen als Deflektor, worin auf sachlich falschen Prämissen beruhende, einseitige oder fanatische Kritik an Israel geübt wird. Durch seine Einführung soll die Diskussion vom Wie, um das es geht, auf das Ob verlagert werden. Unausgesprochen ist gesetzt: Israelkritik = Israelkritik, womit der Inhalt zur Nebensache wird.

Im abstrakten Ausdruck der Israelkritik ist ein Slogan gefunden, der, so formuliert, selbstredend unverdächtig klingt und damit zugleich alle verdächtigten Varianten der Kritik mit einschließt und aus dem Feuer nimmt. Ein Handgriff, der ziemlich stringent auf ein festes Motiv schließen lässt. Natürlich ist es möglich, Israel zu kritisieren, ohne zum Antisemiten zu werden. Nicht möglich ist, jegliche Kritik an Israel vom Verdacht des Antisemitismus freizusprechen, ohne Antisemit zu sein.

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