Klimacamp: Fast 800 Strafanzeigen erstattet

LINKE: Unverhältnismäßiger Polizeieinsatz / Zusammenarbeit zwischen RWE und Beamten in der Kritik / Grüne kritisieren Strafverfolgung von Aktivisten / Veranstalter sprechen von fast 200 Verletzten nach Besetzung des rheinischen Tagebaus Garzweiler

  • Lesedauer: 4 Min.

Nach der Besetzung des rheinischen Tagebaus Garzweiler am Samstag und der Besetzung eines Riesenbaggers wurden fast 800 Strafanzeigen erstattet. RWE Power als Betreiber stoppte aus Sicherheitsgründen die Betriebsanlagen. Die Anzeigen ergingen dabei »gegen Unbekannt«, teilte die Sprecherin von »Ende Gelände«, Mona Bricke, gegenüber klimaretter.info mit.

Bei den lange im Voraus angekündigten Aktionen betraten nach Polizeiangaben mehr als 800 Umweltaktivisten das Betriebsgelände des Tagebaus. Die Veranstalter sprachen von 1500. Sie durchbrachen Polizeisperren und lieferten sich über Stunden Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzte.

Die Polizei gab die Zahl der Verletzten mit 36 an, darunter 15 Beamte. Mehrere Demonstranten seien wegen hitzebedingter Kreislaufprobleme und nach dem Einsatz von Pfefferspray behandelt worden. Die Veranstalter sprachen von mehr als 200 Verletzten.

Der energiepolitische Sprecher der LINKEN in Nordrhein-Westfalen, Michael Aggelidis, sprach gegenüber dem Portal klimaretter.info von einer »zum Teil unverhältnismäßigen unmittelbaren Zwangsanwendung durch einige Polizisten«.

Mehrere Parlamentarier der LINKEN, darunter der sächsische Landtagsabgeordnete Marco Böhme sowie die Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und Hubertus Zdebel hatten sich an der Protestaktion beteiligt. »Die Aktionen im rheinischen Braunkohlerevier um Garzweiler an diesem Wochenende waren ein beindruckendes, entschlossenes und mutiges Signal gegen die Klimakatastrophe und für eine sozial-ökologische Energiewende«, heißt es in einer Erklärung der drei LINKEN-Politiker. Auch Sie sprechen von einem »zum Teil unverhältnismäßigen und völlig unangemessenen« Polizeieinsatz und haben deshalb mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die handelnden Polizeieinheiten angekündigt.

Heftige Kritik äußerten die LINKEN-Abgeordneten auch an der vorrübergehenden Festnahme von rund 250 Demonstranten, die »teilweise willkürlich in die Gefangenensammelstelle nach Aachen« gebracht wurden. »Die Tatsache, dass RWE nun mit Massenklagen gegen rund 800 Demonstrierende aber auch gegen JournalistInnen wegen Hausfriedensbruch vorgehen will und versucht, diese zu kriminalisieren, zeigt: RWE setzt weiter auf massive Umweltzerstörung und neue Braunkohle-Tagebaue wie Garzweiler II und schreckt dabei vor nichts zurück.«

Umstritten ist zudem die offensichtliche Zusammenarbeit zwischen RWE und der Polizei. Offenbar nutzte die Polizei nicht nur Fahrzeuge des Energiekonzerns zum Transport der eigenen Beamten sondern auch dazu, die Klimaaktivisten in den RWE-Bussen erkennungsdienstlich zu behandeln.
»Wer schützt hier eigentlich wen vor was?«, fragt die LINKEN-Vorsitzende Katja Kipping.

Auch die Grüne Jugend, die im Gegensatz zur Partei den Aufruf zu »Ende gelände« unterstützt, verurteilte ebenfalls den Polizeieinsatz: Der Pfefferspray und Schlagstockeinsatz sei »grundlos« erfolgt, erklärte die Bundessprecherin Theresa Kalmer via Twitter und forderte zur besseren Verfolgung von Polizeigewalt die Einführung einer Kennzeichnungspflicht.

»Kohle hat keine Zukunft. RWE hat größere Probleme, als Demonstranten zur Rechenschaft zu ziehen«, erklärte die Landesvorsitzende der Grünen in Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur.

Gewerkschaften gehen auf Distanz zu RWE

Weil während der »Ende Gelände«-Aktionen auch Pressearbeit behindert wurde und RWE mehrere Journalistinnen und Journalisten wegen angeblichen Hausfriedensbruchs anzeigte, geht die Gewerkschaft ver.di auf Distanz zum Energie-Konzern. Die Anzeigen seien »nicht akzeptabel«, twitterte ver.di-Pressesprecher Christoph Schmitz auf Nachfrage von »nd«-Korrespondent Marcus Meier. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di bereitet laut Schmitz eine entsprechende Stellungnahme vor.

Ver.di ist neben der IG BCE eine von zwei Gewerkschaften in den alten Energiebranchen. Ihre Programmatik ist braunkohlefreundlich, Gewerkschafts-Chef warf sich erst im April für den umstrittenen Energieträger in die Bresche. Bsirske sagte, durch eine damals geplante Kohleabgabe seien 100.000 Arbeitsplätze bedroht. Dem wurde von verschiedenen Seiten widersprochen.

Die Demonstranten wollten mit den Aktionen gegen den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen durch Kohlekraftwerke protestieren. Die Tagebaue seien die größten CO2-Verursacher Europas, kritisierte das Bündnis »Ende Gelände«.

RWE Power kündigte an, gegen die Demonstranten juristisch vorzugehen, es gehe um Hausfriedensbruch. Arbeiter des Energieriesen hatten am Samstag für den Erhalt ihrer Jobs demonstrieren wollen; die Aktion sei dann aber abgebrochen worden, teilte das Unternehmen mit. Agenturen/nd

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