Paul Scheerbart

Kalenderblatt

  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Schriftsteller und Kabarettist Hanns Heinz Ewers bezeichnete ihn als den »am wenigsten gelesenen Autor Deutschlands«. Doch Paul Carl Wilhelm Scheerbart erntete außer Spott und Ignoranz auch Zustimmung. Die beachtliche Reihe seiner Verehrer reichte von namhaften Expressionisten sowie Dadaisten über Walter Benjamin, der ihm mit dem Essay »Erfahrung und Armut« ein literarisches Denkmal setzte, sowie die Schriftstellerkollegen Erich Mühsam und Richard Dehmel bis zu progressiven Architekten, die sein Konzept von einer »gläsernen Umwelt« verarbeiteten. Dazu gehörte auch Bruno Taut, der Meister der Moderne, der ihm sein Glashaus auf der Kölner Werkbundausstellung von 1914 widmete.

Um Scheerbarts ungewöhnliches Werk, seine exzentrische Persönlichkeit und seine eremitische Lebensweise bildeten sich Legenden. Das verschaffte ihm auch über seinen Tod vor 100 Jahren hinaus bis in die Gegenwart eine beachtliche Nachwirkung. Davon zeugen die Theaterkonzeption Alfred Jarrys von 1955 ebenso wie die jüngsten von Mechthild Rausch edierten Neuveröffentlichungen von Scheerbarts Arbeiten.

Der maßgebliche Vater der utopischen Literatur wurde am 8. Januar 1863 in Danzig als Sohn eines Zimmermeisters geboren. Nach dem frühen Tod der Eltern wurde der Junge von der Stiefmutter aufgezogen, die ihm den Besuch des Gymnasiums ermöglichte. Doch er wollte lieber Missionar werden und fremde Länder kennenlernen. Ohne Schulabschluss wechselte er nach Berlin, wo er allerdings bald andere Ziele verfolgte. Der junge Mann studierte Philosophie, Literatur sowie bildende Kunst, verfasste ab 1885 für verschiedene Zeitungen Kunstkritiken und gründete im Gefolge einer wachsenden Hinwendung zum »Phantastischen« und seines damit verbundenen Romanerstlings »Das Paradies« 1892 den »Verlag deutscher Phantasten«, der allerdings ein Ein-Mann-Verlag blieb. Neben seinen Büchern, die er selbst illustrierte und die nur geringe Verbreitung fanden, verfasste er auch ungewöhnliche Theaterstücke und Gedichte, die in der Sammlung »Katerpoesie« im Rowohlt-Verlag erschienen und Christian Morgenstern inspirierten. Größere Bekanntheit erlangten seine Romane »Die große Revolution«, »Münchhausen und Clarissa«, »Lesabéndio« mit Ausflügen in den Weltall und sein »Nilpferd-roman«. Seine Fantastereien spickte er mit viel Humor. Scheerbarts Überlegungen zu einer zukunftsweisenden »Glasarchitektur« bewogen Taut zur Gründung der Architektengemeinschaft »Die gläserne Kette«.

Trotz großer Produktivität wandelte Scheerbart dauerhaft am Rande der finanziellen Pleite. Anpassung kam für ihn nicht infrage. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges schimpfte der Pazifist auf nationalistischen Kriegstaumel allerorten. Darüber starb Scheerbart am 15. Oktober 1915 in Berlin.

Martin Stolzenau

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