Perle und Puppenstube

Als einstige DDR-Bezirksstadt ist Potsdam nicht mehr erkennbar / Heute ist hier 
der Ort einer kitschigen Rekonstruktion einstiger preußischer Geltungssucht

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 6 Min.
14 Bezirksstädte gab es in der DDR. »nd« hat nachgeschaut, wie es ihnen nach 25 Jahren geht.

In ihrer Selbstdarstellung war die einstige DDR-Bezirksstadt Potsdam ein Ort der »Industrie, der Kultur, Wissenschaft, des Films und des Tourismus«. Zieht man die Industrie ab, ist es bis heute dabei geblieben - aber in einem so umfassend veränderten Sinne, dass Potsdam als die am stärksten »gewendete« Großstadt Ostdeutschlands angesehen werden kann.

Eine Sonderstellung kann die brandenburgische Landeshauptstadt, gelegen im Südwesten von Berlin, deshalb beanspruchen, weil ihre Ausstrahlung als Hort von geschichtlichen Ereignissen wie dem »Tag von Potsdam« 1933, der Konferenz der Siegermächte 1945 weit über ihre Grenzen, auch über die deutschen Grenzen, hinausreicht. Mit ihrem Namen wird eine wie auch immer geartete »Toleranz« verknüpft. Erhalten bleiben sie in den aktuellen Diskussionen um den Wiederaufbau des Landtagsschlosses und der Garnisonkirche.

Hinzu kommt, dass Potsdam in den ersten Nachwende-Jahrzehnten Schauplatz des Auftretens von Politikern wie Manfred Stolpe, Regine Hildebrandt, Matthias Platzeck gewesen ist, die der hier von Ewigkeit zu Ewigkeit regierenden SPD angehören und deutschlandweit wahrgenommen wurden. Zu dieser besonderen Beachtung trugen auch die langjährigen Fraktionschefs Lothar Bisky (LINKE) und Jörg Schönbohm (CDU) bei. Brandenburg spielte so eine Sonderrolle - da kam nicht mal der »Musterschüler« Sachsen mit.

Auch wenn das inzwischen nicht mehr so ist - geblieben ist die »Perle Potsdam«. Während andere Landesteile Brandenburgs im Wegzug von Teilen der Bevölkerung und Missmut versanken, funkelt diese Perle immer heller. Während die anderen Großstädte Brandenburgs um ihre »Kreisfreiheit« bangen und mit Auszehrung zu kämpfen haben, kann Potsdam über dergleichen Probleme nur lachen. Es ist die einzige Großstadt im Osten, die mit rund 160 000 Einwohnern mehr Bevölkerung hat als zu DDR-Zeiten.

Schon die sowjetische Besatzungsmacht schätzte die einstige Königs- und Garnisonstadt und reservierte für sich bedeutende Stadtteile. Nach deren Abzug Ende 1994 traten an deren Stelle nun die Westdeutschen, die Russen gingen, die Wessis kamen und eroberten die Stadt auf ihre Weise. Inzwischen sind geschätzt 40 Prozent der Einwohner Zugezogene, darunter »Promis« wie Günter Jauch, Wolfgang Joop, Hasso Plattner, deren Anwesen touristische Attraktionen darstellen. An die Stelle des sowjetischen Ukas (Befehls) war das Geld getreten, über das die Einheimischen in ihrer Mehrheit nicht verfügten.

Auch äußerlich ist Potsdam heute Ausdruck einer Diaspora in doppeltem Sinne: Gutbetuchte Neu-Potsdamer bildeten ihre Kolonien und grenzten sich so von den verdrängten einstigen Bewohner ab. Und die leben heute unter einer Oberschicht, die aus einem ihr fremden Kultbereich stammt.

Politischer Reflex darauf ist, dass die frühere PDS und heutige Linkspartei als die Partei der Alteingesessenen begriffen und bei Wahlen immer stärkste Kraft wurde, sie aber genauso ständig dem Block aller übrigen gegenüberstand. Letztlich machtlos blieb sie aber gegen das Bestreben, mittels Abrissbirne die DDR baulich und architektonisch aus der Innenstadt zu vertreiben. Was die Stunde geschlagen hat, wurde äußerlich in aller Form festgelegt, als der Spazier- und Wanderweg am Griebnitzsee von gutbetuchten Anrainern geschlossen wurde - dieser Weg war bis 1989 der alte Postenweg der DDR-Grenztruppen, er wurde von der Wende gewissermaßen freigekämpft. Aber nur auf Zeit, wie man heute weiß. Vor allem für Potsdam gilt: Die große Mauer ist gefallen - die vielen kleinen erheben sich seither. In funkelnden Burgen hat sich inzwischen auch die Landes-Ministerialverwaltung breitgemacht, ihre Unterbringung in Granit, Glas und Messing fand jüngst den Schlusspunkt mit dem Umzug des Sozialministeriums.

Innerhalb von 50 Jahren erlebte die Stadt zwei radikale Einwohneraustausche. Im April 1945 löste sich das alte Potsdam in Rauch und Trümmer auf, die Stadt war Ziel des letzten westalliierten Großangriffs auf Deutschland. Mit dem, was danach in dieser Stadt politisch einsetzte, hatten die überlebenden alteingesessen Generals- und Kommerzienratswitwen nichts zu schaffen, sie gingen in den Westen, es rückte das entwurzelte fahrende Volk des Nachkriegs an ihre Stelle. Aus dem formte die DDR die Belegschaften der großen Industriebetriebe im benachbarten Teltow und Stahnsdorf. Bis 1990 zogen aus den Potsdamer Neubaugebieten die seit Mitte der 60er Jahre entstanden waren, allmorgendlich ganze Flotten von Bussen zu den Werken der Umgebung und brachte die Leute abends wieder zurück.

Über dieses Stadium ist das »preußische Arkadien« von heute längst hinweg, die Liga der Reichen, Schönen, Verbeamteten und ihr Tross denken nur mit Schaudern an diese finstere proletarische Periode. Der Stadtführer verzeichnete bis zur Wende 16 Schlösser, inzwischen hat das Land das 17. Potsdamer Schloss gebaut. Es ist der Landtag, der nicht nur die Form, sondern mit Hilfe des Mäzens Hasso Plattner auch die Fassade und das Kupferdach des alten Knobelsdorffschen Stadtschlosses erhielt. Das war ein Vorgang, der noch in den 90er Jahren undenkbar schien und in Potsdam nicht vermittelbar gewesen wäre, gegen den sich aber irgendwann auch die LINKEN nicht mehr sträubten.

Binnen eines Jahres hatte das Landtagsschloss mehr Besucher als der alte Landtag, der Kreml auf dem Brauhausberg, insgesamt in 23 Dienstjahren. Auch der an der Fassade (auf Französisch) angebrachte Spruch »Das ist kein Schloss« kann nichts daran ändern: Als etwas anderes denn als Schloss wird das Gebäude nicht wahrgenommen, und es stellt eine Art Schlussstein im Gesamtkonzept für die örtlichen Sanssouci-Parks und Gärten dar: Alles hat zu erscheinen wie es war, als die Hohenzollern hier noch herrschten. Über eine andere Möglichkeit wurde nicht einmal verhandelt.

Die einstige örtliche Pädagogische Hochschule »Karl Liebknecht« am Rande des Sanssouci-Parks wurde bauliche Grundlage für die heutige Universität. Potsdam ist eine junge Stadt, jeder zweite Studierende in Brandenburg tut dies an einer der vielen Potsdamer Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Nicht überlebt hat die alte Akademie für Staat- und Rechtswissenschaft am Endzipfel des Babelsberger Parks. Sie war der Ort, an dem die DDR ihre Diplomaten und höheren Verwaltungkader ausbilden ließ. Dieser politische Gegenentwurf zum Klassenstaat in Deutschland wurde - man kann es nicht anders sagen - mit Stumpf und Stiel ausgerissen.

Das Gleiche gilt für die 50-jährige russische Besatzungszeit. Praktisch nichts in Potsdam erinnert noch an sie. Zwölf Jahre nach der Wende wurde auch die Lenin-Statue im Zentrum der Stadt entfernt. Offenbar ist sie mit einem »Investor« in den Westen gezogen. Potsdam ließ sich das Kunstwerk nehmen, obwohl es im städtischen Denkmalverzeichnis aufgeführt ist. Geschaffen wurde dafür aber die Gedenkstätte in der Leistikowstraße, die eindrucksvoll darstellt, wie unmenschlich der sowjetische Geheimdienst zwischen 1945 und 1953 mit Deutschen ungegangen war. Dass an diesem Ort mit keiner Silbe darauf eingegangen wird, wie zwischen 1941 und 1945 Deutsche mit Sowjetbürgern umgegangen waren und unter welchen Umständen die Russen überhaupt nach Potsdam gekommen sind, versteht sich in diesem antirussischen Kulturzentrum von selbst. Es wurde mit dem Geld der rot-roten Landesregierung errichtet.

Auf breiter Front ist der geschichtliche Rückwärtsgang eingelegt. Potsdam ist längst wieder, was es vor 1945 war, die Beamten- und Offiziersstadt in der »märkischen Streusandbüchse«. Von Potsdam aus koordiniert die Bundeswehr ihre Auslandseinsätze.

»Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist immer ihre Komödie«, schrieb Karl Marx. Nach 1990 ist in Potsdam ein neuer »Geist des Ortes« eingezogen, einer, der im Grunde ein sehr alter ist. Aber er besitzt nicht das Gewicht seines historischen Vorgängers, er ist dessen kitschige Restausgabe. Die Dramatik Preußens ist letztlich in seiner heutigen leichtgewichtigen Puppenstuben-Aufführung ausgelaufen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal