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Alles unter Kontrolle in Kundus und Kabul?

Die Lage in Afghanistan nötigt zur Flucht - doch nicht einmal ehemalige Helfer sind in Deutschland willkommen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Ende September hatten die Taliban Kundus erobert. Die Folge ist eine Zunahme der Fluchtbewegung aus Afghanistan.

Grundsätzlich habe man auf taktischer Ebene mit einem solchen Angriff gerechnet, der Zeitpunkt sei allerdings eine Überraschung gewesen, sagte Brigadegeneral Andreas Hannemann gegenüber dem Bundeswehrsender Radio Andernach. Doch inzwischen sei alles wieder unter Kontrolle, meint der Chef des deutschen Einsatzkontingents von «Resolute Support». Der Eindruck relativiert sich allerdings, denn Hannemann setzte fort: «Auf Grund der Lageentwicklung befinden sich seit Anfang Oktober wieder Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sowie anderer Nationen zeitlich befristet in Kundus.»

Derweil geht nicht nur die Debatte um eine Verlängerung des Bundestagsmandats für «Resolut Support» über den 31. Dezember 2015 hinaus weiter. Die Stimmen, die eine Verstärkung der kampffähigen Truppe verlangen, mehren sich. Bislang hieß es: Wenn es zu ernst wird, dann könne man den Strategischen Lufttransportstützpunkt im usbekischen Termez als «nationale Rückfallposition» nutzen. Den hat das deutsche Militär seit Februar 2002 in Betrieb. Zum Jahresende wird die Basis an der Südgrenze zu Afghanistan jedoch überraschend geräumt. Was verwundert, angesichts der geplanten Einsatzverlängerung.

Vermutlich hat die Schließung weniger mit Berichten über systematische Folterungen in Usbekistan zu tun. Informationen dazu verbreitet Amnesty International seit Jahren. Bislang, so munkelt man, habe man für die Nutzung der Basis 16 Millionen Euro jährlich an das Regime des usbekischen Machthabers Islom Karimow gezahlt. Doch bereits 2014 soll der doppelte Betrag Vertragsgrundlage gewesen sein. Nun wuchs die Begehrlichkeit auf über 70 Millionen Euro. Das war offenkundig zu viel.

Ein Bruchteil dieser Summe würde ausreichen, damit sich Deutschland wenigstens um seine Helfer in Afghanistan kümmern könnte. «Jeder, der für die Bundesrepublik gearbeitet hat, ist ein potenzielles Opfer der Taliban und braucht deshalb den ganzen Schutz der Bundesrepublik», meint Stefan Liebich. Der Außenpolitiker der Linksfraktion im Bundestag hat sich nach den Ortskräften erkundigt und dabei vom Bundesinnenministerium erfahren, dass man keine Ahnung hat, wie viele Afghanen seit 2001 in ihrer Heimat für deutsche Stellen gearbeitet haben. «Aktuell werden von der Bundeswehr 489 Ortskräfte und in den Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit ca. 1600 Ortskräfte beschäftigt», teilte die Regierung mit.

Ende September 2015 hatten man «im Zuständigkeitsbereich aller in Afghanistan tätigen Ressorts insgesamt 1689 Ortskräfte angezeigt», heißt es im Bürodeutsch. «Bisher sind 491 Ortskräfte mit insgesamt 1338 Familienangehörigen nach Deutschland eingereist.» Liebich ist besorgt. Und wo leben die anderen - so sie noch leben? Das wisse man nicht, «da diese ehemaligen Mitarbeiter/innen keine Meldepflicht gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber haben». Doch insgesamt sei man «sich der Verantwortung und der Fürsorgepflicht» gegenüber den afghanischen Mitarbeitern bewusst, sagt die Regierung. «Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein Problem kleingerechnet werden soll, mutmaßt Liebich gegenüber »nd«.

Ob die Zahlen stimmen, kann man überdies bezweifeln, denn die Bundeswehr behauptet, dass bereits zu Jahresbeginn 2015 etwa 1200 Gefährdungsanzeigen überprüft und 550 Aufnahmezusagen für Ex-Ortskräfte und deren Angehörige ausgesprochen wurden. Über 900 Afghanen seien nach Deutschland ausgereist, hieß es im Januar. Damals hatte Generalinspekteur Volker Wieker in einem offenen Brief an die Soldaten und Mitarbeiter für ein Patenschaftsprogramm geworben, um so ehemaligen Helfern bei der Eingewöhnung in Deutschland zu helfen.

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