Die Europa-Reise des Yanis Varoufakis

Ein neues Netzwerk der Linken soll Europa von unten demokratisieren. Kurz vor dem Start des Projekts gerät der Ideengeber mal wieder ins mediale Kreuzfeuer. Doch Varoufakis schlägt zurück: mit Transparenz

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 8 Min.

Yanis Varoufakis ist viel unterwegs zurzeit in Europa. Am Donnerstag spricht er auf Einladung des Center for Economic Studies und des Ifo Instituts in München über »The Situation in Greece and the Future of Europe«. Am Montag war er noch in Cambridge, zuvor hatte er die linke Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, besucht. Vergangene Woche kamen Hunderte zu seiner Diskussion mit dem linken Publizisten und Filmemacher Paul Mason in die Central Hall in London. Demnächst tritt er wieder in der britischen Hauptstadt auf - zusammen mit Slavoj Žižek und Srecko Horvat. Vorher hat er noch Termine im irischen Kilkenny, in Wien beim sozialdemokratischen Kreisky Forum, in Mailand. Und so geht das schon seit Wochen.

Varoufakis selbst sagt, er reise zurzeit von einem Ende Europas zum anderen. Dahinter steckt ein Projekt, in das der Ökonom und Ex-Finanzminister Griechenlands nun seine Zeit investiert. Sehr viel Zeit. Der Mann, über den Paul Mason vergangene Woche sagen konnte, er sei wohl der einzige linke Politiker, der in Großbritannien derzeit ein größeres Publikum zu seinem Auftritten mobilisieren kann als der neue Labour-Chef Jeremy Corbyn, arbeitet einem europäischen Netzwerk, das eine Veränderung der EU-Institutionen anstrebt. Eine Bewegung mit einer »simplen, aber radikalen Idee«, wie Varoufakis sagt: Es geht darum, Europa zu demokratisieren.

Die Grundzüge des Projekt sollen demnächst bekannt gegeben werden. Allzu viel weiß man derzeit noch nicht, es gibt Gerüchte, ein geheimnisvolles Video, hier und da ein paar erklärende Worte. »Europa kann nur mit makroökonomisch bedeutsamen Reformen stabilisiert werden«, hat Varoufakis dieser Tage im Project Syndicate geschrieben - es ist so etwas wie ein Grundton des Ökonomen. Ein anderer klingt so: Die EU-Institutionen sind falsch und im Interesse weniger konstruiert, so dass sich ein demokratischer Bürgerwille nicht durchsetzen könne - jedenfalls nicht solange es keine grundlegenden Veränderungen daran gibt. »Und nur eine paneuropäische demokratische Allianz der Bürger kann die Grundlage dafür schaffen«, schreibt der 56-Jährige, »dass solche Reformen Wurzeln schlagen.«

Und so fährt Varoufakis in Europa herum, hält Reden, spricht mit Leuten, knüpft an seinem Netzwerk. Mag sein, dass der Grieche es sich einfacher vorgestellt hat, seine Idee einer neuen linken europäischen Plattform umzusetzen. »Es braucht einfach Zeit, so etwas zu gründen«, hat Varoufakis vor ein paar Tagen in einem Gespräch mit Alex Sakalis gesagt - und die Ungeduld des Mitherausgebers von openDemocracy mit ein paar neuen, kleinen Hinweisen gefüttert: Der französische Ex-Minister Arnaud Montebourg vom linken Flügel der französischen Parti Socialiste sei bei dem Projekt »definitiv mit an Bord«, auch Leute aus der deutschen Linkspartei, der SPD, dem linkssozialdemokratischen Bruno Kreisky Forum aus Österreich.

Varoufakis’ europäisches Netzwerk soll nicht bloß ein nächster Versuch sein, nationale Organisationen der Linken in einer länderübergreifenden Struktur zu addieren. Es geht um mehr, um die Überwindung eines nationalstaatlich orientierten Politikansatzes. Entweder man plädiere für die Auflösung der Währungsunion, nennt Varoufakis eine Variante, die für ihn keine Alternative ist. »Oder man spricht über eine gesamt-europäische Bewegung, die die Eurozone verändern würde«, eine Bewegung, von der der Grieche sagt, sie müsse eine Graswurzelbewegung sein. Es geht ihm um einen Aufbruch von unten. Und man wird es nicht gleich für einen Widerspruch halten müssen, wenn darauf verwiesen wird, dass die Prominenz des Ex-Ministers dabei doch sicher für eine gewisse Aufmerksamkeit sorgt.

Es ist mit der Prominenz von Varoufakis aber auch so eine Sache. Ein beträchtlicher Teil der europäischen Öffentlichkeit, zumal: der deutschen, hat sich an dem marxistischen Ökonom abgearbeitet wie an kaum einem anderen Politiker in den vergangenen Jahren. Zum Teil geriet die mediale Hinwendung zu einer Art umgekehrten Überhöhung, Varoufakis wurde zu einer Mischung aus Sexsymbol und Teufelsperson stilisiert, eine Attraktion auch für jene, die ihn nur in negativen Begriffen beschreiben konnten oder wollten. Natürlich wurde er auch zur positiven antikapitalistischen Gegen-Ikone gemacht, mit Hoffnung bedenken noch heute viele den Mann, der den Schäubles des neoliberalen Europas die Stirn bot.

Aber Varoufakis hatte vor allem und immer auch mit einer öffentlichen Beachtung zu kämpfen, die in Beschuldigung und Verleumdung umkippte, weniger, um die Person zu desavouieren als die politische Botschaft, für die der Grieche steht: Ein ganz anderes Europa ist möglich. Dass kurz vor der erwarteten Bekanntmachung der neuen linken europäischen Plattform nun eine Geschichte über horrende Honorare für Varoufakis durch die Medien geht, mag Zufall sein. Man kann aber auch anderes für möglich halten.

Die griechische Sonntagszeitung »Proto Thema« hat vor einigen Tagen mit der Behauptung Schlagzeilen gemacht, Varoufakis würde für seine Reden ein Honorar von bis zu 60000 US-Dollar erhalten. Ein Reporter der Zeitung hatte sich als Interessent bei der Agentur »London Speaker Bureau« ausgegeben, die als Agentur für Varoufakis arbeitet. Auf Anfrage nannte die Agentur Preise, für Auftritte in Europa würden 5000 US-Dollar fällig, für Vorträge an Universitäten 1500 US-Dollar. Warum eine für den Mittleren Osten zuständige Mitarbeiterin der Agentur die Anfrage bearbeitete, bleibt offen. Die Tatsache selbst aber drehte »Proto Thema« ebenfalls in Richtung eines Vorwurfs: Es sei bemerkenswert, deutete das Blatt mögliches steuerliches Fehlverhalten von Varoufakis an, dass eine Zahlung an die Niederlassung der Bank HSBC in Oman gehen würde.

Viel Geld, und der linke Varoufakis - die Geschichte macht inzwischen die Runde. Mit Rede-Honoraren von 5000 US-Dollar in Europa stünde der Ex-Minister zwar nicht gerade in der ersten Liga einstiger Spitzenpolitiker, die zu Auftritts-Abkassierern werden. Der Fall Peer Steinbrück zum Beispiel hat der deutschen Öffentlichkeit vor einigen Jahren die Erkenntnis beschert, dass man deutlich mehr für seinen Namen verlangen kann. Bill Clinton spricht eine Stunde lang - und nimmt dafür angeblich eine halbe Million US-Dollar.

Aber es geht bei der »Proto Thema«-Geschichte wohl auch gar nicht um einen aufklärerischen Blick in die Welt der Promi-Reden-Agenturen. Es geht offenbar darum, den Mann »whose policies drove Greece into an even deeper hole«, wie das US-Portal »The American Interest« einen alten Vorwurf gegen Varoufakis neu strapazierte, zu diskreditieren. Denn was mag manche Leute mehr empören als ein linker Ex-Minister, der viel Geld für Reden nimmt?

Inzwischen hat sich auch Varoufakis zu Wort gemeldet. Und seine Verteidigungswaffe heißt Transparenz. Auf zwei Listen hat er seine aktuellen Auftritte in Europa veröffentlicht - inklusive der Honorare, die er dafür erhalten hat.

Auf der ersten Liste stehen die »politischen Termine«. Für 21 Auftritte seit August, bei denen der Grieche über seine Vorstellungen für ein anderes Europa warb und den aktuellen EU-Kurs kritisierte, nahm Varoufakis überhaupt kein Geld. In drei Fällen in Berlin, Moskau und Barcelona erhielt er insgesamt 3200 Euro - »aufgrund der Beharrlichkeit der Organisatoren«, wie Varoufakis unterstreicht.

Auf der zweiten Liste sind kommerzielle Auftritte aufgeführt: In zwei Fällen, einmal für den italienischen Sender RAI, einmal für eine Rede in Singapur, erhielt Varoufakis insgesamt 52000 Euro, die »sicherlich in Griechenland besteuert werden«, wie es der Ex-Finanzminister erklärt.

Das ist viel Geld, aber ist so ein Honorar auch ungewöhnlich oder gar skandalös? Varoufakis verweist darauf, dass gut bezahlte Auftritte von Akademikern keine Seltenheit sind. Er halte es seit vielen Jahren so: Die meisten Reden und Präsentationen absolviert der Ökonom ohne Honorare, für einige professionelle Ansprachen gibt es vergleichsweise hohe Honorare - wobei Varoufakis für sich in Anspruch nimmt, die Preise für seine Reden seien proportional zum Budget der jeweiligen Organisationen gewesen »und umgekehrt proportional zu dem Interesse, das diese Rede für mich hatte«.

Für Varoufakis steht fest, dass die nun veröffentlichte Geschichte über seine Rede-Honorare Teil der »fortgesetzten Bemühungen« interessierter Kreise und der Troika-loyalen Medien sei, »mein Bild zu untergraben«. Es handele sich zugleich um das Eingeständnis, wie sehr ein griechischer Frühling immer noch gefürchtet werde - als politisches Fanal für Europa, als reale Chance eines Kurswechsels nach links, als lebendiges Beispiel für andere fortschrittliche Kräfte.

Varoufakis spricht von einer »neuen Verleumdungskampagne«, die begonnen habe, um seine »jüngsten Bemühungen« um ein neues europäisches Netzwerk der Linken »als Teil einer Selbstbereicherung« zu diskreditieren.

Nicht ganz unwahrscheinlich, dass Varoufakis dabei auch an einen früheren Fall gedacht hat: Im Sommer war ihm vorgeworfen worden, als Finanzminister eine Art Finanz-Coup geplant zu haben - die heimliche Vorbereitung eines Ausstiegs aus dem Euro durch das Hacken der Steuerdaten der Griechen. Die Sache machte seinerzeit großen Wirbel, gegen Varoufakis wurden juristische Untersuchungen begonnen, das Bild des damals gerade zurückgetretenen Finanzminister sollte Kratzer erhalten - und, so hat es Varoufakis damals beklagt, mit seiner Person sogleich der ganze Versuch der SYRIZA-geführten Regierung, gegen das neoliberale Europa zu widerstehen, in ein finsteres Licht gestellt werden.

Und, was ist daraus geworden? Eine Voruntersuchung der Staatsanwaltschaft, so berichtet nun die konservative Athener Zeitung »Kathimerini«, sei aus Mangel an Beweisen auf Eis gelegt worden. Die Ermittler hätten keine Hinweise auf ein Fehlverhalten des Politikers gefunden.

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