Eminend poliddische Musigg

Jazzfest Berlin

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit über 40 Jahren müht sich nun schon der Jazz, der ewig unverstandene Musikstil, als die neue E-Musik anerkannt zu werden. Aus den verrauchten Kellerclubs ist er mit dem Älterwerden seiner Hörerschaft in die subventionierten Theatersäle und Philharmonien umgezogen. Und dort, wo er weihevoll und andächtig als Hochkultur zelebriert wird, ist er gerade immer noch.

»Du, also ährlich! Des hätt’ der Ansager scho’ sage’ solle’, dass des au’ eine eminend poliddische Musigg isch, gell?« So schwäbelte es einem am Sonntagabend, beim großen Abschlusskonzert des diesjährigen Berliner Jazzfestes, entgegen. Der ältere Herr in der Schlange an der Theke ist unzufrieden. Anscheinend hat er sich einen schärferen politischen Kommentar des Conférenciers gewünscht, der durch die drei Konzerte des Abends führt. Dabei hat dieser doch sein Bestes versucht: Hat er doch gleich anfangs auf die derzeitige »Flüchtlingswelle« hingewiesen, auf die aus ihr erwachsende Pflicht zur Mitmenschlichkeit und darauf, dass die Menschen vor allem deshalb flüchten müssen, weil die Bundesregierung seit Jahren den Krieg in ihre Länder exportiert. Beifall des Westberliner Publikums.

Natürlich sind alle gekommen: die Studienräte, die Männer mit den Flicken auf den Cordsakkoärmeln, die Bart-, die Pferdeschwanz- und die Baskenmützenträger. Auch eine Hand voll junge Menschen hat sich hierher verirrt. Mehr als nur ein Hauch von Sozialdemokratie liegt in der Luft. Auch der Ort, der elegante, strenge Bau mit seinen 70er-Jahre-Sitzen, das »Haus der Berliner Festspiele«, das früher lange Zeit das Theater der Freien Volksbühne unter Erwin Piscator war, atmet den Geist der Nachkriegsmoderne.

Auf dem Programm steht an diesem Abend neben anderen Künstlern auch das Quartett des sich als politisch begreifenden Trompeters Ambrose Akinmusire, der auch mit DJs, Rap- und HipHop-Künstlern wie Flying Lotus oder Kendrick Lamar zusammenarbeitet (was logischerweise von den traditionsorientierten Jazzpuristen verurteilt wird) und der seine ebenso traditionsbewusste wie grenzüberschreitende Musik immer auch als Kommentar zum alltäglichen Rassismus verstanden wissen will. Manchmal klingen seine mit größter Präzision gespielten Trompetentöne fordernd, drängend, unnachgiebig, manchmal, als würde das soeben noch lebendige Instrument erlöschen, als würde die letzte Lebenskraft aus ihm entweichen.

An seiner Seite performt an diesem Abend zeitweise auch der Klangimprovisator und mehrfach ausgezeichnete Jazzsänger Theo Bleckmann, der seine Stimme tatsächlich einsetzt wie ein Jazzinstrument, also gurrt, summt, flötet und gleichzeitig durch an dem Gesang vorgenommene elektronische Manipulationen erstaunliche Effekte erzielt. Immer wenn seine Mitmusiker performen, tritt Akinmusire bescheiden in den Bühnenhintergrund und verharrt dort kopfwackelnd und schweigend, die Trompete lässig in den Händen.

»Musik«, so der Conférencier, »öffnet die Herzen«. Sodass man bestenfalls nach ihrem Genuss in der Lage sei, »die Hand auszustrecken«, zum Flüchtling hin und zum von Rassismus Bedrohten. Analog zur ausgestreckten Hand, die auf dem diesjährigen Plakatmotiv des Jazzfests zu sehen ist.

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