Mit der Extremismuskeule gegen die linke Mitte

Über den Versuch, die Proteste gegen TTIP mit dem Querfront-Vorwurf mundtot zu machen

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 6 Min.
Linke TTIP-Gegner wurden in eine Ecke mit Rechtsextremisten gestellt. Markus Mohr ist der Meinung, dass die Extremismusdoktrin immer dann angewendet wird, wenn Proteste die Gewinnmargen des Kapitals zu schmälern drohen.

Am 10. Oktober fand die lange geplante Demonstration gegen das Freihandelsabkommen TTIP eine ungeheuer große Resonanz. Aufgerufen von einem Bündnis aus Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen sowie Globalisierungskritikern nahm fast eine Viertelmillion Menschen an der Protestdemonstration durch das Berliner Regierungsviertel teil.

Mit der nicht unsympathischen Idee, die Zukunft der Menschheit einfach nicht den Märkten zu überlassen, spielten in der Unterstützung dieses Events Linksradikale und Autonome erstmal gar keine Rolle. Dafür aber honorige Prominente aus diversen Massenorganisation, wie zum Beispiel Michael Müller, der Bundesvorsitzende der Naturfreunde Deutschlands, sowie der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, die SPD-Politikerin Gesine Schwan, der Grünen-Vorsitzende Anton Hofreiter und der LINKE-Chef Bernd Riexinger, die auf der Abschlusskundgebung auch das Wort erhielten. Da die engagierten Beteiligten an dieser Massendemonstration hin – und nicht ausschritten, konnte die Polizei einen störungsfreien Verlauf der Großdemonstration bilanzieren.

Idealerweise wäre doch eigentlich zu erwarten gewesen, das man sich nach so einem enormen Massenzulauf mit den hier geltend gemachten Argumenten der TTIP-Gegner auseinandersetzt. Doch lässt man einige Beiträge in der Qualitätspresse Revue passieren, enthüllt sich das wieder mal als ein frommer Wunsch, der nichts mit den harten politischen Realitäten im Kapitalismus zu tun hat. Es wurde an der linken Mitte der Gesellschaft eben das argumentativ exekutiert, womit ein paar tausend Autonome schon lange zu leben gelernt haben: Weit über 200.000 demonstrierende Grüne, Linke, SPDler und Gewerkschafter wurden en passant in Extremisten verwandelt.

»Schauermärchen vom rechten Rand«: Der SPIEGEL

Den Auftakt machte dabei der SPIEGEL-Redakteur Alexander Neubacher, der sich in einem Kommentar über, wie er es formulierte, »Schauermärchen vom rechten Rand« und »rechtspopulistische Ressentiments« während der TTP-Demonstration beklagte. Diesen Einfall wusste er auch gleich mit der Aussage zu personalisieren: »Wer da mitmarschiert, findet offenbar nichts daran, sich gedanklich bei Pegida-Bachmann, Marine Le Pen und Donald Trump unterzuhaken.« Hier seien »die Rechten nicht Mitläufer, sondern heimliche Anführer«, die Kampagne gegen den Freihandel sei »wie auf dem braunen Mist gewachsen.« Voilá!

Von Jens Berger ist einmal auf den nachdenkseiten gut beschrieben worden, wie sich der SPIEGEL unter der Leitung von Stefan Aust in ein »neoliberales Kampfblatt«, zu einem »Durchlauferhitzer für die von den Arbeitgeberverbänden finanzierte neoliberale PR« verwandelt hat. Mehr noch: Die qua Einkommen der oberen Mittelschicht angehörenden Redakteure dieses Blattes haben ein brutal verschärftes Interesse daran, ihr in der Branche einmaliges Vergütungs- und Privilegienmodell mit den geeigneten Mitteln durchzufechten. Kurz: Wenn Neubacher gegen die linke Mitte die Hitler-Karte zieht, dann kann man mit Berger getrost davon ausgehen, dass dieser SPIEGEL-Redakteur »hier die Pfründe (verteidigt), die ihm nach seiner eigenen Überzeugung als Leistungsträger auch zustehen.«

Studie des Berliner Instituts für Bewegungsforschung

Seitens der taz und des neuen deutschlands wurde unter Hinweis auf eine TTIP-Demonstrantenbefragung des Berliner Instituts für Protest- und Bewegungsforschung der über diese Großdemonstration verbreitete Querfront-Unfug zurückgewiesen. »Das wiederholt kolportierte Bild, bei der TTIP-Demonstration hätten Linke und Rechte einträchtig an einem Strang gezogen, wird von der Befragung nicht bestätigt«, erklärt hier der diensthabende Protestforscher. Die große Mehrzahl der TTIP-DemonstrantInnen seien links, gebildet und älter.

»Pegida von links«: Die ZEIT ONLINE

Leider hat dieser doch einfach zu verstehende Befund einen professoralen Adepten der Konrad-Adenauer-Stiftung als Gast Autoren auf ZEIT ONLINE nicht erreicht und in Bezug auf die TTIP-Demonstration bar jeder Kenntnis von einer »Pegida von links« schwadronieren lassen. Von welchen Dämonen mag da bloß die Leitung von ZEIT ONLINE befallen sein mag, so etwas für diskutabel zu halten? Hält sie es für möglich, dass Reiner Hoffmann, Gesine Schwan, Anton Hofreiter und Bernd Riexinger mit ihrem Widerspruch gegen TTIP gemeinsam mit Akif Pirinçci im Traum darüber Klage führen wollen, das die Konzentrationslager »leider derzeit außer Betrieb sind«?

Rechts und links im Hufeisenmodell: Der Tagesspiegel

Um eine andere Qualität des Angriffes auf das Anliegen der TTIP-Demonstration handelt es sich bei einem Kommentar des leitenden Angestellten der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck GmbH, Christoph von Marschall, bei dem es sich um einen den politischen Absichten des US-Präsidenten Barack Obama nahe stehenden Journalisten handelt. In seiner Funktion als stellvertretender Chefredakteur des Tagesspiegel hat er unter explizitem Bezug auf die Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung einen außerordentlich gewieft formulierten Beitrag im Geist der Extremismusdoktrin verfasst: Unter indirektem Verweis auf das von den inoffiziellen Mitarbeitern des Verfassungsschutzes Uwe Backes und Eckard Jesse generierte »Hufeisenmodell« konstatiert er zunächst das »Linksaußen und Rechtsaußen (…) zwar nicht direkt ineinander übergehen, sich aber näher als ihr jeweiliger Abstand zur Mitte« sein sollen. Mit Hilfe einer dann flüssig formulierten Verschiebung zu den mit »männlicher, besser gebildet, höheres Einkommen« kategorisierten Anhängern der rechten Tea-Party in den USA lässt es von Marschall als evident erscheinen, das »unter dem Strich (…) die Vergleichbarkeit mit rechten Bewegungen und die Überschneidungen mit rechtem Gedankengut offensichtlich« sein sollen. Mehr noch, so der Verfasser, die von den TTIP-Demonstranten erhobene Forderung nach staatlichen Regulierungen vor den Zumutungen des geplanten Freihandelsabkommens würde ja so auch von »AfD, Pegida und NPD« unterschrieben werden.

Das ist alles elegant komponiert und doch ist daran kein wahres Wort. Trotzdem ist der Mann sein Geld wert – man kann ihn sogar von einer Redneragentur als Mietschnauze kaufen, wo er als jemand feil geboten wird, der »durch eine bildhafte und kenntnisreiche Betrachtung« von diesem und jenem immer auch etwas zum jeweiligen »politischen Klima« beizutragen vermag.

»Bewusste Irreführung der Leser«: Die Erwiderung des Instituts für Bewegungsforschung

Der von Marschall für sein argumentatives Manipulationsarsenal herangezogene Mitautor der Studie des Instituts für Bewegungsforschung Sebastian Haunnss durfte nun auf der Internet-Seite des Tagespiegels eine Erwiderung abgeben. Er verwehre sich dagegen, dass »angebliche Ergebnisse unserer Studie in einer Weise« herangezogen würden, die er nur als »bewusste Irreführung der Leser und Leserinnen interpretieren« könne, mit dem Ziel, »seine These der ideologischen Nähe zwischen Rechts und Links zu untermauern.« Das Gegenteil sei doch der Fall, führt Haunnss weiter aus, und dass alle »Spekulationen über eine signifikante Beteiligung Rechter an den TTIP-Protesten jeder Grundlage« entbehrten.

Natürlich ist Haunnss in dieser Angelegenheit zuzustimmen. Aber was ist die Sache selbst in dieser Angelegenheit? Der auf die Straße getragene kollektive Widerspruch gegen TTIP gefährdet die Gewinnmargen des Kapitals. Also muss der irgendwie beiseitegeschoben werden. Die nunmehr gegen Hunderttausende in Anschlag gebrachte Extremismusdoktrin – bar jeder argumentativen Vernunft - ist und bleibt ein ganz probates Mittel dafür, ein politisches Klima zu schaffen, in dem ein solches Anliegen aus der politischen Arena exorziert werden kann.

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