Syrieneinsatz gibt Moskau politische Stärke

US-Außenminister Kerry sondiert in Russland / Schlechte Zeiten für Washingtons Alleingänge in Nahost

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
US-Außenminister John Kerry trifft an diesem Dienstag zu einem Arbeitsbesuch in Moskau ein. Es ist, trotz der Eiszeit im bilateralen Verhältnis, der zweite in diesem Jahr.

Der US-amerikanische Chefdiplomat John Kerry trifft bei seinem Arbeitsbesuch in Moskau neben seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow auch Präsident Wladimir Putin - obwohl der protokollbewusste Kremlchef gewöhnlich nur Ranggleichen sein Ohr leiht, wenn ein Meinungsaustausch zum Stand der bilateralen Beziehungen und zu brennenden internationalen Problemen auf der Agenda stehen.

Das große Thema ist Syrien. Der Ukraine-Konflikt, der die bilateralen Beziehungen nachhaltig vergiftete, werde dagegen nur unter »ferner liefen« und als Pflichtkür abgehandelt, ahnt auch die »Nesawissimaja Gaseta«. Allein das könnte Moskau als weiteren diplomatischen Sieg und Durchbruch bei Bemühungen um Restauration des nach dem Ende der Sowjetunion verlorenen Supermachtstatus verbuchen, der die USA zwingt, mit Russland wieder auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln.

Der Westen, so Lawrow kühl aber voller Genugtuung über die wiedergewonnene Stärke, habe Moskaus Position vor Beginn der Kämpfe in Syrien nicht berücksichtigt. Ein Beitritt Russlands zu der US-geführten Anti-Terror-Koalition aus europäischen NATO-Mitgliedern und Staaten des Nahen Ostens zu deren Bedingungen stehe daher derzeit nicht auf der Agenda. Derzeit. Die Entwicklungen könnten für Korrekturen sorgen.

In Moskau wie in Washington, so russische Beobachter, wachsen Sorgen, der IS sei ohne Bodenoperation nicht zu besiegen. Dazu aber würden Russland wie der Westen wenig Lust zeigen. Übernehmen könnten die Aufgabe daher nur reguläre Truppen der syrischen Armee. Diese indes hätten ihren Treueid auf Präsident Baschar al-Assad abgelegt. Vor allem deshalb halte Putin an ihm fest.

Doch die Bodengewinne der Regierungstruppen sind trotz russischer Luftunterstützung sehr überschaubar und laufen durch Verluste an anderen Frontabschnitten faktisch auf ein Nullsummenspiel hinaus. Der IS kontrolliert nach Erkenntnissen des russischen Generalstabs derzeit 77 Prozent des Territoriums von Syrien und Irak. Um mit den dort operierenden 120 000 bis 150 000 Dschihadisten fertig zu werden, würden mindestens 200 000 gut ausgebildete und hoch motivierte Boden-Soldaten gebraucht, glauben Militärexperten.

Assads Truppen indes seien trotz gewichtiger russischer Waffenlieferungen nicht in der Lage, den in sie gesetzten Erwartungen gerecht zu werden. Hinzu kommen explodierende Kosten. Nach größeren Truppenverlagerungen Mitte November belaufen sie sich derzeit auf bereits acht Millionen US-Dollar täglich - das Vierfache dessen, was zu Beginn der Operation Ende September geplant war. Auch die Fristen der Mission - Verteidigungsministerium und Generalstab gingen zunächst von reichlich einem Jahr aus - dürften kaum zu halten sein. Auch bei der US-geführten Anti-Terror-Koalition aus europäischen NATO-Mitgliedern und Staaten des Nahen Ostens, die seit gut einem Jahr ebenfalls Luftangriffe gegen den IS fliegt, ist Masse nicht gleich Klasse. Sie ist zudem aus russischer Sicht mit dem Makel der Illegitimität behaftet. Für Militäreinsätze in souveränen Staaten ist laut Völkerrecht ein Mandat erforderlich. Russland hat von Assad ein solches Mandat und ist auch bereit, dieses als Mitgift in eine situationsbedingte, zeitlich begrenzte Koalition ohne gemeinsamen Wertekanon einzubringen.

Kreml und Außenamt werben zwar seit Monaten für eine Einigung auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners. Doch die ohnehin geringen Erfolgschancen haben sich durch die Spannungen zwischen Russland und NATO-Mitglied Türkei nach dem Abschuss des russischen Bombers im syrisch-türkischen Grenzgebiet dramatisch verschlechtert. Auch kommt Putins Befehl vom Freitag, alle Bedrohungen für die russische Luftwaffe und deren Infrastruktur am Boden mit maximaler Härte zu vernichten, aus Sicht vieler Experten de facto der Einrichtung einer Flugverbotszone gleich. Durch die Stationierung modernster russischer Luftabwehr im Krisengebiet sowie Begleitschutz der Bomber durch Jäger, glauben sie, wachse zudem die Gefahr weiterer militärischer Zwischenfälle.

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