Strampeln gegen den Schulfrust

Wie ein Hamburger Sozialpädagoge 50 Schüler auf das Rad brachte

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Dass die Quote der Schulverweigerer an der Stadtteilschule in Hamburg-Stellingen gering ist, ist auch Ralf Hinke zu verdanken. Mit seiner Radsport-AG hat er ein in der Stadt einmaliges Projekt etabliert.

Die zündende Idee kam Ralf Hinke vor zehn Jahren am Lagerfeuer: Alles begann mit einer Klassenreise auf dem Drahtesel nach Geesthacht, an der 60 Schüler teilnahmen. »Das war eine meiner härtesten Touren, ich kam mir vor wie ein Zweiradmechaniker«, erinnert sich der Diplom-Sozialpädagoge an viele Pannen und Pausen. »Abends saßen wir gemütlich zusammen und ich startete einen Testballon, sagte, dass ich Lust auf eine Fahrrad-AG hätte.« Am Montagmorgen stand ein halbes Dutzend Jungs in seinem Büro und fragte, ob er das ernst gemeint habe. Hatte er - und so nahm die Erfolgsgeschichte ihren Lauf.

Heute bringt der Sozialpädagoge fast 50 Schülerinnen und Schüler aufs Rad, und seine Schule verfügt mittlerweile über einen ansehnlichen Fuhrpark. Durch das Training und die - sehr erfolgreiche - Teilnahme an Wettkämpfen hat Hinke einen »heißen Draht« zu seinen Schülern. 15 bis 20 Sportler des Teams befinden sich bei ihm in der Lernberatung.

Hinke war nicht schon immer Radsportler, Ende der 1960er Jahre gehörte er zur niedersächsischen Auswahl im Geräteturnen. »Der Sport hat mir sehr geholfen, Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu gewinnen«, sagt er.

Das »Stellinger Coachingprojekt«, das Hinke entwickelte, hat sich zum Ziel gesetzt, jeden Schüler mit einem Abschluss gehen zu lassen. Mit großem Erfolg, denn, so der 62-Jährige: »Als Trainer habe ich einen sehr persönlichen Zugang zu den Kids und als Leiter des Beratungsdienstes der Schule verfüge ich über eine reichhaltige Erfahrung.« Die Zahl der Schulabbrecher an der Schule sei auch dank der AG »extrem niedrig, fast null«, freut sich Hinke: »Wir haben ein umfangreiches Förderkonzept, einen rechtzeitig handelnden Beratungsdienst und auch noch das Schülercoaching.«

Mittlerweile befinden sich die Schüler der Klassenstufen 5 bis 8 im Ganztagsunterricht, in dessen Rahmen sie Wahlkurse belegen müssen. Hinke leitet derzeit zusätzlich zu seinem Radsport-Team weitere Radsport-Wahlkurse in der regulären Unterrichtszeit. Das Angebot erfreut sich außerordentlicher Beliebtheit: Es gibt stets mehr Bewerber als Plätze.

Die Radsport-AG kooperiert mit dem Hamburger Triathlonverein TRI-Michels und konnte so drei Talente in den Leistungssport überführen. »Genial ist dabei, dass ich weiter der verantwortliche Radsporttrainer bleibe«, sagt Hinke. Neben dem spezifischen Radtraining erteilt Hinke in den Wintermonaten Stabilisations- und Rumpftraining: »Das kommt bei den Radsportlern oftmals zu kurz. Man erkennt das daran, dass einige während des Fahrens immer so ›rumwackeln‹«, sagt der erfahrene Coach.

Seit 2010 bietet das Radsport-Team auch die Möglichkeit, mit Cyclocross-Rädern über Stock und Stein querfeldein zu fahren und sich in Wettkämpfen zu messen. Die Team-Mitglieder üben dreimal in der Woche nach einem festen Plan und führen ein Trainingstagebuch. Nichts wird dem Zufall überlassen. »So kommen wir auf ein gutes Niveau«, freut sich Hinke, dessen AG auch auf Sponsoren angewiesen ist. Zuletzt stiftete die Hamburger Lehrerbaugenossenschaft zwei Cyclocross-Räder der Marke Vapor im Wert von 3200 Euro. Lehrerbau-Vorstand Martin Siebert: »Die Lehrerbau ist schon aus historischen Gründen eng mit Schule, Lehrern und Schülern verbunden. Unser Mitglied Ralf Hinke hat dieses Team geformt, die zwei neuen Fahrräder sollen helfen, diese großartige Aufgabe fortzuführen und die Schüler bei der Stange und am Lenker zu halten.«

Trotz des großen Erfolgs gibt es nur wenige vergleichbare Projekte an anderen Hamburger Schulen. »Einige im Wahlpflichtbereich, kaum oder gar nicht im AG-Bereich und lange nicht in der Intensität wie bei uns«, sagt Hinke. »Ohne zu übertreiben: Wir sind weit über Hamburg hinaus bekannt. Auch Anfragen vom Radsportverband Berlin landeten schon auf meinem Schreibtisch.« Seinen Erfolg führt Hinke (»Man muss schon selber brennen«) auf seine Funktion als Sozialpädagoge zurück: »Man hat mehr Spielraum als ein Lehrer, der komplett im Stundenplan verplant ist.«

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