Höhere Hürde für Volksentscheide

Gesetzesänderung sieht unter anderem schärfere Regeln für Unterschriftensammlung vor

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Fraktionen von SPD und CDU haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der faktisch die Zahl benötigter Unterschriften für ein erfolgreichen Volksentscheid deutlich erhöhen wird. Kritiker sind empört.

»Das ist ein Angriff auf die direkte Demokratie«, schäumt Kerstin Meyer vom Bündnis »100 Prozent Tempelhofer Feld«. Anlass des Ärgers ist ein von SPD und CDU eingebrachten Gesetzentwurf zur »Änderung abstimmungsrechtlicher Vorschriften«, der zwei wesentliche Änderungen bedeuten würde. Einerseits werden die Anforderungen, wann eine Unterschrift als gültig gewertet wird, verschärft. Der Entwurf schreibt vor, dass Name, Vorname, Geburtsdatum, Anschrift und der Tag der Unterschriftsleistung handschriftlich von dem Unterzeichnenden einzutragen sind.

Dies führe zu einem deutlich steigenden Anteil ungültiger Unterschriften, weswegen deutlich mehr gesammelt werden müssten, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses zur Gesetzesänderung. Das Quorum, also die Mindestzahl an Unterzeichnern werde »faktisch erhöht«. Es gebe keinen Anlass für eine Verschärfung der Unterschriftenprüfung, Missbrauch habe es bisher nicht gegeben, heißt es weiter in dem Papier.

Der LINKEN-Landesvorsitzende Klaus Lederer nennt die Neuregelung eine »grundlose Erschwerung direkter Demokratie«. »Wir finden die Verschärfung falsch, da es bisher schon so viele ungültige Unterschriften gab«, sagt Dirk Behrendt, rechtspolitischer Sprecher der Grünenfraktion. Er führt die Initiative auf Aussagen des Neuköllner SPD-Baustadtrats Thomas Blesing zurück, der sich 2014 über die großzügige Regelung zur Anerkennung von Unterschriften beim Tempelhof-Volksbegehren mokierte. »Wenn das Geburtsdatum kein Muss ist, können Unterstützer eines Volksbegehrens doch gleich das Telefonbuch abschreiben«, sagte er damals der »B.Z.«.

»Es gab unterschiedliche Auffassungen in den Bezirken, nach welchen Kriterien Unterschriften als gültig zu werten sind«, begründet Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion die Gesetzesinitiative. »Ich habe Interesse an Rechtssicherheit«, sagt er. Letztlich stärke das die Volksgesetzgebung. »Die Auflösung eines Parlaments ist ja nicht so hingeblasen«, verdeutlicht er die zum Teil weitreichenden Folgen eines Volksentscheids.

Die zweite wesentliche Änderung räumt Senat und Abgeordnetenhaus künftig das Recht ein, »angemessene öffentliche Mittel« einzusetzen. Sie sollen also Werbung für ihre Position machen dürfen. Das wurde 2009 vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg untersagt, nachdem die Initiatoren des Volksentscheid »Pro Reli« gegen den Senat geklagt hatten. Er hatte damals in Zeitungen für das Schulfach Ethik geworben.

»Damit wird künftig aus allen Rohren auf den armen Bürger geschossen«, findet Michael Schneidwind von »100 Prozent Tempelhofer Feld«. Das sei eine »Asymmetrie« zwischen Aktivisten und Senat. »Wir machen das in der Freizeit und ehrenamtlich, während die Gegenseite im Büro sitzt und Anzeigenaufträge verteilt.«

»Auch das lehnen wir ab«, so Lederer. Der Senat habe immer versucht zu beeinflussen, im Falle Tempelhof mit landeseigenen Wohnungsbaugenossenschaften und der Zentral- und Landesbibliothek. Er sieht das Gesetz als »weiteren Rückschritt bei rot-schwarz, was die direkte Demokratie angeht«. Dirk Behrendt hat »eine gewisse Offenheit bei der Werbung«, allerdings bei deutlicher »Begrenzung des Mitteleinsatzes«. Im Gegenzug sollten die Initiativen aber auch eine gewisse Unterstützung bekommen, ihm schweben fünf bis zehn Cent pro Unterschrift vor. Als »falsche Entscheidung« bezeichnet Sven Kohlmeier das OVG-Urteil von 2009. Er halte es für richtig, wenn der Senat werbe, »aber unter dem Gebot der Sachlichkeit«.

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