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»Versager rüstet man nicht auf!«

Eine Abgeordnete fragt nach Neonazi-Netzwerken - die Regierung verweigert Auskünfte

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Man habe aus dem Versagen bei der Aufklärung des NSU gelernt, beteuern die Sicherheitsbehörden bei jeder sich bietenden offiziellen Gelegenheit - allein: Die Tatsachen sprechen dagegen.

Ende Oktober 2015 verbot der hessische Innenminister die Neonazi-Vereinigung »Sturm 18 e.V.«, denn die richte »sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die Gedanken der Völkerverständigung«. Schon die Zahl im Namen beschreibt die Orientierung. Sie bezeichnet den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet. A und H, der Neonazi weiß Bescheid, Adolf Hitler dient als Vorbild.

Fast 300 Straftaten wurden dem Verein und seinem Umfeld zugeordnet, bei Durchsuchungen fand man Waffen. Niedersachsens Verfassungsschutz bescheinigt der Neonazi-Kameradschaft »gewachsene Verbindungen« zu gleichartigen Szenen in Süd-Niedersachsen und ins westliche Thüringen. Auch Verbindungen zur NPD soll es geben. Zudem sollen Verbindungen zu sogenannten Sicherheitsunternehmen bestehen, einer der Führer war sogar als Wachmann in einer Flüchtlingsunterkunft beschäftigt. Auch Hinweise auf Verbindungen zum damaligen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gibt es.

Gleichfalls Oktober wurde nach Angaben von Sicherheitsbehörden in Bayern ein rechtsterroristischer Zusammenschluss von Neonazis zerschlagen. Die Polizei habe zehn Objekte in Ober- und zwei weitere in Mittelfranken durchsucht. Man fand Waffen, Munition und Propagandamaterial. Zu den in Bamberg, Erlangen und Nürnberg festgesetzten elf Männern und zwei Frauen, die vorläufig festgenommen wurden, gehören Mitglieder der Partei »Die Rechte«. Sie ist ein Sammelbecken besonders radikaler Kameradschafter oder NPD-Aussteiger. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nannte die Razzien gegen die gewaltbereiten Rechten einen »empfindlichen Schlag« für die Szene. Bereits im Mai war eine Gruppe namens »Oldschool Society« ausgeschaltet worden. Vorwurf? Terrorvorbereitung. Die Neonazis aus mehreren Bundesländern sollen Anschläge auf Asylunterkünfte und Moscheen vorbereitet haben.

Das alles deutet wahrlich nicht auf übermütige Freizeit-Nazis hin. Deshalb wollte Petra Pau, die die Linksfraktion als Obfrau im zweiten NSU-Ausschuss vertritt, von der Bundesregierung wissen, was die zum Wirken des »Sturm 18« ermittelt hat und was man inzwischen über die fränkische Szene in Erfahrung gebracht hat.

»Was die Regierung mir da an Antworten anbietet, ist völlig inakzeptabel«, sagte die Bundestagsvizepräsidentin gegenüber »nd«. Sie ist der Ansicht, dass man »die Gefahren, die von Rechtsextremisten ausgehen, weiter ignoriert. Gerade so, als würde es nicht täglich weitere Angriffe geben.« Diese Meinung lässt sich nachvollziehen. Was Pau beispielsweise als Antworten auf ihre 21 detailliert begründeten Fragen zum »Sturm 18« erhielt, nährt den Verdacht: Entweder sind die zuständigen Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden unwissend oder faul. Möglicherweise trifft auch beides zu. Bestätigt wird lediglich, dass die Gruppierung »Sturm 18«, ebenso wie einzelne ihr angehörenden Personen, mehrfach im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) »behandelt« wurden. Dennoch meint die Bundesregierung, dass der »Sturm 18« nicht deutschlandweit verbreitet sei. Das sieht der niedersächsische Verfassungsschutz jedoch offenbar ganz anders.

Pau fragte auch, was man über Verbindungen von »Sturm 18« zur »Oldschool Society« wisse. Die Regierung verweigert Auskünfte - um ein laufendes Ermittlungsverfahren nicht zu stören. Über Beziehungen in Richtung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) lägen der Bundesregierung »keine Erkenntnisse vor«, gibt das zuständige Innenministerium Auskunft. All das, was beim derzeitigen Prozess gegen Mitglieder und Helfer des NSU in München zum »Sturm-Thema« zur Sprache kam, wolle man nicht bewerten - »um jeden Anschein einer versuchten Einflussnahme auf die Hauptverhandlung (…) zu vermeiden«.

Umso mehr fordern das Bundesinnenministerium und sein Geheimdienst zusätzliche Mittel und Kompetenzen - was Pau nur knapp kommentiert: »Versager rüstet man nicht auf.« Zumal die Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz nichts unversucht gelassen hat, eine Neuauflage des NSU-Untersuchungsausschusses zu verhindern. Das gelang nicht. Nun, so hört man, versucht das Bundesinnenministerium auf anderen Wegen den parteiübergreifende Aufklärungswillen der Ausschussmitglieder zu hintertreiben. Gegenüber Pau zieht man sich auf den »Quellenschutz« zurück. Die Methode ist aus den NSU-Ermittlungen sattsam bekannt: Der Schutz von bezahlten Zuträgern aus der Naziszene war mehrfach wichtiger als die Aufklärung der zehn zumeist rassistisch motivierten Morde.

Auch die Aussage, dass ein Bekanntwerden bestimmter Informationen »das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährde«, ist weder neu noch originell. Daher wird das zuständige Bundesinnenministerium sich auch nicht wundern, dass die Vizepräsidenten des Bundestages die Missachtung des Parlaments nicht hinnehmen wird: »In der nächsten Woche wird nachgefragt«, so Pau.

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