Die türkische Seite sieht sich im Besitz der besseren Karten

Deutschland und die EU sehen ihre Vorstellungen von der Kooperation Ankaras in der Flüchtlingsfrage nicht erfüllt

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die deutsch-türkischen Regierungskonsultationen stehen entgegen allen anderslautenden Forderungen und Vorstellungen ganz im Zeichen der Flüchtlingskrise.

Wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Tross zu Regierungskonsultationen mit den Spitzen Chinas trifft, beteuert sie stets, dass dabei Themen wie politische Gefangene, Menschenrechte oder Pressefreiheit selbstverständlich von ihr angesprochen würden. Auch die türkische Regierung wäre eine Kandidatin für derlei Vorhaltungen.

Kurdenführer Abdullah Öcalan sitzt seit anderthalb Jahrzehnten auf der Insel Imrali im Gefängnis, Journalisten und Oppositionspolitikern drohen wegen »Majestätsbeleidigung« drakonische Strafen. Und wenn Merkel sagt, der syrische Präsident sei kein akzeptabler Verhandlungspartner, weil er Krieg gegen das eigene Volk führe, müsste auch Ahmet Davutoglu bereits die Einreise nach Deutschland untersagt werden.

Natürlich wird das nicht geschehen. Gar nicht miteinander zu reden ist im übrigen - wenn man tatsächlich friedliche Problemlösungen anstrebt - selten einen kluge Entscheidung; nicht anders bei Baschar al-Assad als bei Davutoglu. Aber selbst wenn sich die Kanzlerin tatsächlich zu Kritik bei den genannten Problemen aufraffen sollte, ist das wohl höchstens ein Werfen mit Wattebällchen.

Nein, zu erwarten ist, dass ein Thema alles dominiert, und das ist die Flüchtlingsfrage, in der der Türkei als momentanem Haupttransitland überragende Bedeutung zukommt. Merkel und andere EU-Spitzenpolitiker haben im Herbst öffentlich erklärt, dass der Flüchtlingsandrang ohne Mitarbeit der Türkei nicht eingedämmt werden könne. Dies aber sei ihr Ziel. Dafür hatte man Ankara bis zu drei Milliarden Euro an direkten Zahlungen und anderweitigen Hilfen in Aussicht gestellt. Dies gilt immer noch, auch wenn Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi vor einer Woche konkrete Schritte in der Sache mit einem »Chefvorbehalt« aus Rom, also einem Veto, vorerst verhinderte.

Davutoglu dürfte heute dennoch mit Vorhaltungen zu rechnen haben. Die Erwartungen der EU, die man recht unverhohlen an den Milliardentransfer geknüpft hatte, sind nicht annähernd erfüllt worden, und Merkel wird Davutoglu fragen, warum. Es ist aber zu vermuten, dass dies eher als Bitte denn als Forderung formuliert wird. Die Trümpfe liegen klar auf türkischer Seite. Diese wird wohl den Preis noch etwas nach oben treiben wollen, wobei es gar nicht mal in erster Linie um Bares geht. Kolportiert wird, dass Ankara große Fortschritte in den EU-Beitrittsgesprächen und erhebliche Erleichterungen bei der Ausstellung von Visa für Türken bei ihrer Einreise in die EU erwartet.

»Davutoglu kann sich darauf verlassen, dass höchst negative internationale Entwicklungen die praktische Bedeutung der Türkei für den Westen erhöhen«, schrieb der Kolumnist Semih Idiz in der Istanbuler »Hürriyet«, der meinungsführenden Zeitung der Türkei. Der türkische Ministerpräsident ist denn auch am Donnerstag in die Offensive gegangen. Davutoglu forderte in Davos laut AFP »konkrete Maßnahmen« der EU zur Überwindung der Flüchtlingskrise. »Das ist nicht nur ein deutsches Problem, es ist kein türkisches Problem - und inzwischen nicht einmal ein syrisches«, so Premier Davutoglu auf dem Weltwirtschaftsforum. »Es ist ein globales Problem.« Er werde diese Fragen mit seiner deutschen Kollegin besprechen. »Und wir hoffen, dass die nächsten Schritte konkrete Schritte sind.«

Apropos Syrien und »Anti-Terror-Kampf«. Deutschland will in diesem Krieg nun per Luftaufklärung mitmischen und braucht auch dafür die Türkei, besonders deren Luftwaffenstützpunkt Incirlik. Am Donnerstag absolvierte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihren ersten Besuch des Bundeswehr-Kontingents im Syrien-Einsatz auf der NATO-Basis Incirlik. Die zaghafte deutsche Kritik am antikurdischen Feldzug der türkischen Armee wischte Verteidigungsminister Ismet Yilmaz dort locker vom Tisch: Der Terror, erklärte er von der Leyen, dürfe keine Chance bekommen, egal von welcher Gruppe er ausgehe.

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