Acht Stunden mit Beate Zschäpe

Doku-Drama »Letzte Ausfahrt Gera« über den Versuch der Wahrheitsfindung im NSU-Prozess

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 3 Min.

Kaum eine Frau gibt der Öffentlichkeit so viele Rätsel auf wie Beate Zschäpe, die seit knapp drei Jahren in München vor Gericht steht und lange Zeit kein eigenes Wort über die Lippen brachte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr die Beteiligung an zehn Morden und mehreren Mordversuchen vor. Erst im Dezember 2015 las ihr Anwalt eine Erklärung vor. Sie sei niemals Mitglied im Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und an den Taten von Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos nicht beteiligt gewesen. Sie stützte auch die These, die in diesem Film anklingt: Sie habe die Morde verdrängt, um mit den beiden Uwes in einer Dreier-WG leben zu können.

Das Dokudrama »Letzte Ausfahrt Gera - acht Stunden mit Beate Zschäpe« von Raymond Lay verspricht, ein Gesamtbild von Zschäpe zu präsentieren. Es stützt sich auf ein zwölfseitiges Gedächtnisprotokoll von zwei Verhörspezialisten des BKA. Sie begleiteten die Untersuchungsgefangene 2012 vom Gefängnis in Köln nach Gera, wo sie ihre erkrankte Großmutter treffen wollte. Zschäpes Anwälte sehen das Gespräch als nichtakzeptablen Versuch, ihre Mandantin auszuhorchen. Die Beamten versuchten über lockere Plaudereien, der Beschuldigten Fakten zu den Morden zu entlocken und ihr die Kronzeugenregelung nahe zu bringen. Dieser Versuch scheiterte. Zschäpe konnte, so die These des Films, dem Staat nicht vertrauen, den sie jahrzehntelang verachtete. Sie blieb im Gespräch kontrolliert, antwortete ausweichend.

Diese Konstellation wäre trotzdem der ideale Ausgangspunkt für ein packendes Kammerspiel, einen Disput zwischen den Repräsentanten des Rechtsstaats und einer Frau, die versucht, sich zu positionieren, einer Rechtsextremistin, die das Leid der Opfer verdrängt. Der Film will sie konfrontieren, will den Zuschauer in den Gerichtssaal hereinholen. Er ist Anwalt der Angehörigen der vom NSU ermordeten Männer. Dass dabei der Mord an der Polizistin Nicole Kiesewetter ausgespart wird, hinterlässt gemischte Gefühle. Die einzige Frau und Deutsche unter den Opfern erwähnt Produzent Walid Nakschbandi auch im Presseheft nicht. Ebenso bleibt Zschäpes Kindheit blass, mögliche Ursachen für das Abrutschen in die rechtsextreme Szene werden nicht benannt. Der Film zeigt wenige Aussagen von Familie und früheren Freunden zur Persönlichkeit Zschäpes beim Prozess. Als Zeitzeugen wurden sie von den Filmemachern nicht eingestuft.

Diese Leerstelle schmerzt, weil Christian Fuchs und John Goetze bereits 2012 in »Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland« penibel die Kindheit und die Radikalisierung des Trios beschrieben. Dieser Film bleibt hinter diesen Erkenntnissen zurück. Die Berichterstattung wird von den Filmautoren mit dem Satz kommentiert, die Presse spinne sich das Bild einer friedfertigen Frau zusammen. Was ein wenig ahistorisch wirkt, denn in erster Linie waren Polizei und Verfassungsschutz jahrelang auf dem rechten Auge blind.

Vor allem lieferten Journalisten Thesen zur Thematik des Films, die dieser schuldig bleibt. Weil er sich nicht entscheiden kann, konsequent an der Persönlichkeit Beate Zschäpes dranzubleiben, kommt er ihrer Seele nicht nahe. Er kratzt an der Oberfläche, bleibt thesenhaft und bebildert Bekanntes. Die versprochene psychologische Annäherung misslingt völlig.

ZDF, 20.15 Uhr

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