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Mehr Utopie, bitte: Ein europäisches Basiseinkommen

Die gesellschaftliche Linke ist auf Abwehrmodus. Ein positives Gegenmodell zur Scheinalternative Merkel oder Mob ist nötig

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Wo ist da eigentlich noch positive Utopie in der Debatte über Europas Krise, die von den einen zur »Flüchtlingskrise« umgeschrieben wird, was immer mehr andere dazu bringt, in den Asylsuchenden das Problem zu sehen?

Die gesellschaftliche Linke ist weitgehend in einen Modus der Verteidigung gezwungen: gegen Rechtsradikale und die geistigen Brandstifter, gegen die Ausnutzung der gegenwärtigen Lage zu Renationalisierung, Abbau von Grundrechten, gegen neue soziale Keile und tiefere Klassenspaltung. Viele demonstrieren gegen Neonazis und rechten Mob, viele solidarisieren sich in praktischer Hilfe mit Geflüchteten.

Die parteipolitische Linke, sagen wir besser: die parteipolitische Opposition ist einerseits zu einer Nebendarstellerin degradiert worden, weil die Bundesregierung die grundsätzlichen Konflikte um Kurs und Strategie gleich selbst auf die Bühne bringt. Was Linkspartei und Grüne, was Zivilgesellschaft und kritische Wissenschaft an Alternativen vorschlagen, dringt kaum durch, weil die Aufregung über Seehofer, Söder und Co. große Schatten wirft. Allenfalls noch dringt man auf der Ebene des Feuilletons durch, wie die Beachtung für den »futuristischen Entwurf für europäische Grenzenlosigkeit« von Ulrike Guérot und Robert Menasse gezeigt hat.

Andererseits erweist sich immer mehr, dass die politische Substanz und die parteipolitische Form nicht mehr kongruent sind. Die Grenzen jenes »politischen Blocks an sich«, der für eine europäische Lösung, weniger Abschottung, Erhalt des Asylrechts, menschenwürdige Bedingungen für Geflüchtete und eine über Umverteilung finanzierte materielle Basis für das »Wir schaffen das« eintritt, ziehen sich durch praktisch alle Parteien - ein »politischer Block für sich« wird daraus aber unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht, weil alle in den »alten Formen« verbleiben. Inklusive der Geräusche die das macht - siehe die Debatten über Gastrecht in der Linken, über angeblich sichere Drittstaaten bei den Grünen, über Obergrenzen in der Union und über die von Gabriel gespielte nationale soziale Kartei in der SPD.

Der Eindruck einer Sprachlosigkeit der gesellschaftlichen Opposition, zumindest wenn es um ein »Wie schaffen wir das?« angeht, welches nicht im engen Rahmen des Status quo gedacht wird, stärkt die politische und gesellschaftliche Rechte - die davon profitiert, dass alternative Erzählungen in der Debatte über Asylrecht und die Aufnahme der Geflüchteten so schwach in der Öffentlichkeit repräsentiert sind. Es ist ja nicht so, dass es sie gar nicht gibt - siehe den Text von Guérot und Menasse. Es gibt politische Debatten darüber, Geflüchtete nicht nur als Opfer der europäischen Anti-Asylpolitik zu betrachten, sondern als »kämpfende Menschen«. Es geht dann nicht nur um Abwehr, sondern um die konstruktive Frage, was für ein politisches Gegenprojekt zur Achse Seehofer-Orban angeboten wird, eine Antwort auch auf den Kurs von Merkel und Hollande, der die Abschottung letztlich nur woanders hin verlagern will, auch eine Alternative zur Degradierung von Geflüchteten zu positiven Faktoren auf dem Lohnarbeitsmarkt oder zur die Binnennachfrage erhöhenden Kennziffern.

Ein Punkt, um den es dabei geht und noch viel stärker gehen müsste: Wie kann eine europaweite soziale Absicherung aller Menschen ohne Einschränkungen möglich sein. Es geht um ein Gegenmodell zu rein national gedachten Transfersystemen, die gern zu Ausrede genommen werden, wenn wieder einmal gerufen wird, man müsse erst einmal an »die eigenen Bürger« denken.

Der Grünen-Sozialpolitiker Wolfgang Strengmann-Kuhn hat jetzt eine »Vision« vorgeschlagen, die allen Unionsbürgern überall in der EU freie Beweglichkeit und soziale Absicherung ermöglicht - dazu müssten erstens eine angemessene Grundsicherungssysteme etabliert, zweitens eine Europäisierung der Armutsbekämpfung durchgesetzt, drittens ein europäisches Basiseinkommen eingeführt werden, dessen Zahlungen durch nationale und am individuellen Bedarf orientierte Grundsicherungssysteme ergänzt sind. Anders formuliert: Aus einem europäischen Topf wird das Basiseinkommen gezahlt, »die Menschen, die in der EU leben, erhalten dann jeden Monat eine Geldzahlung direkt aus Brüssel«. Ein erster Schritt dazu könnte, so Strengmann-Kuhn, ein europäisches Basis-Kindergeld oder ein Basis-Arbeitslosengeld sein.

Klar, es muss geklärt werden: Wer ist »Unionsbürger«. Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping hat in ihrem Buch »Wer flüchtet schon freiwillig« einen kleinen Exkurs zur Idee einer »sozialen Unionsbürgerschaft« unternommen. Es geht auch darin um die Antwort auf die Frage, wie in allen EU-Staaten ein diskriminierungsfreier Zugang zu Sozialleistungen für alle möglich wird, wie zudem über ein gestaffeltes System von Mindesteinkommen ein erster wirklicher Schritt hin zur Gewährung transnationaler sozialer Rechte gegangen werden kann.

Dieses Thema dürfte einer der Dreh- und Angelpunkte der Auseinandersetzung werden - auch in der gesellschaftlichen Linken. Es geht am Ende um die auch für organisatorische Substanz von Parteien entscheidende Frage, in welchem Rahmen die Umsetzung verteilungspolitischer Vorstellungen angestrebt werden soll - national oder europäisch. Wer auf die europäische Variante setzt, muss die Frage beantworten, wie sich in einem EU-Rahmen sozialstaatliche Sicherung garantieren lässt - und zwar für alle.

Die Debatte über die Gewährung transnationaler sozialer Rechte, die vor ein paar Jahren schon einmal etwas lauter in der gesellschaftlichen Opposition geführt wurde, könnte einen kleinen Schub gut gebrauchen. Die Diskussion wird übrigens auch von rechts aus geführt, es geht also nicht zuletzt darum, aktuell den Anschluss nicht zu verlieren und jenen das Feld zu überlassen, die schon darüber nachdenken, eine »noch nie erprobte Art Sozialpolitik in globalem Maßstab« zu entwickeln - deren Form und Sicherungsniveau eine Frage der klassenpolitischen Auseinandersetzung sein wird.

Gemeinsam mit Horst Kahrs war an dieser Stelle vor einigen Monaten bereits einmal formuliert worden: »Ein weiterer Grund, an dem europäische Veränderungen scheitern: die Nationalisierung des Sozialen. Dieses bleibt Angelegenheit der Mitgliedstaaten der Euro-Zone, unter dem Vorbehalt, dass die Regeln der Währung eingehalten werden. Die Regeln sehen vor, dass bei den ‘einfachen Leuten’ gekürzt werden muss, wenn ‘Ungleichgewichte’ auszugleichen sind. Eine Währungsunion ohne Solidarunion kann nicht funktionieren – das hat die Linke in Europa von Anfang an gewusst. Doch ein Antrieb zur Europäisierung linker Politik entstand daraus nicht.«

Ein Beispiel wurde damals genannt: eine europäische Arbeitslosenversicherung. Das muss nicht das Modell der Wahl sein, ein europäisches Basiseinkommen, eine soziale Unionsbürgerschaft könnten dies auch sein. Die Debatte darüber aber sollte von links aus jetzt engagierter angegangen werden. Dann kommt auch wieder mehr Utopie in die Debatte über Alternativen zu Einem Europa der Krise und der Abschottung.

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