Der Gedanke geht allein

Gunnar Decker bekam in Berlin den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Künstler, so Decker in seiner Dankesrede, vermeide Beteiligung am Machtkampf, er bleibe »ein Narr, der Fragen aus Blickwinkeln stellt, die andere sich sofort verbieten. Es dennoch zu tun, darin liegt seine Aufgabe.«

Viel ist jetzt von Aufständen die Rede. Der Anständigen, der Gerechten, der wahren Europäer, der Solidarischen. Der Unterdrückten sowieso. Befeuerungsvokabular mit der Gefahr alles Inflationären: Überdruss. In einer Rückschau aber erhält der Begriff plötzlich das Funkeln, das Erregende zurück. Gunnar Decker spricht über Heinrich Mann: »Sein Aufstand der Ästhetik durchbricht jenes vom Antiromantiker Hegel ins 20. Jahrhundert mitgeschleppte Vorurteil, das in Deutschland immer mal wieder zur Staatsreligion zu werden droht: Die Kunst sei bloß eine Erkenntnismöglichkeit zweiten Ranges.« Sie ist keine Heilsarmistin im ideologischen Aberglaubensjoch.

Decker erhielt am vergangenen Freitag den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste in Berlin. Es ist eine aufweckend farbige Rede, die da in Erinnerung bleibt. Geistgebend flanierte und furchte diese Rede des Preisträgers in Literatur und Leben Manns; und im bestandsaufnehmenden Zorn, der sich an Gegenwärtigem entzündete, blieb sie souverän schaumfrei, also kulturvoll.

Decker benennt die »unerhörte Wucht der Modernität, mit der Heinrich Mann in das wilhelminische Kulturverständnis des Jahrhundertwende-Deutschland einbricht«. Erinnert daran, dass Mann, Präsident der Sektion Dichtkunst der preußischen Akademie der Künste, und Käthe Kollwitz die Ersten waren, die von den Nazis hinausgejagt wurden. Spricht über »Jugend und Vollendung des Königs Henri Quatre« und das Elend einer missionsverseuchten Vernunft. Spricht über Impulsgeber: »Ohne Gottfried Benn hätte ich wohl Heinrich Mann für mich nicht entdeckt, jedenfalls nicht als den herausragenden Essayisten.«

Auch über die ungleichen Brüder spricht Decker: »Thomas heiratet reich bei den Pringsheims ein, zeugt sechs Kinder, ob aus Freude an barocken Familienszenarien oder der Zurückweisung eines in der Luft liegenden Verdachts, sei dahingestellt. Heinrich, anfangs ein Autor für Avantgardezirkel, macht dagegen keinen Hehl aus seiner antibürgerlichen Haltung, lebt gefährlich.« Zur Sprache kommt schließlich der gegenwärtige »Nullpunkt der öffentlichen Heinrich-Mann-Hochschätzung, und das ist immerhin schon mehr als die fortgesetzte, jahrzehntelange Destruktion eines vermeintlich überschätzten Säulenheiligen ideologisch motivierter DDR-Erbepflege, der zu Recht mit diesem Staat unterging«.

In Heinrich Manns »Option für den Osten« (wieder Benn), die umzusetzen der Tod verhinderte, 1950 kurz vor der Abreise aus dem ungeliebten USA-Exil, sieht Decker keine automatische und finale Option des Schriftstellers gegen den Westen: »Verstehen wir die schreibende Wegfindung Heinrich Manns als das, was einen Intellektuellen ausmacht: eine Denkmöglichkeit, eine gewollte Alternative zur verbrecherischen NS-Geschichte ... Und nun die Utopie vom besseren Deutschland. Auch sie sollte - dafür sorgte die SED - an den schmutzigen Realitäten der Politik vernutzt werden, ohne darum jemals ganz aufzuhören, ein Denk-, also Hoffnungsraum des Anderswerdens zu sein.« Der Kommunismus: ein »schattenwerfendes Emanzipations-Phänomen«.

Der Preisträger zitiert einen Satz aus Heinrich Manns »Ein Zeitalter wird besichtigt« (1941/44): »Die Oktoberrevolution ist, wie jede echte, tiefe Revolution, die Verwirklichung einer hundertjährigen Literatur.« Ein Verweis auf den Künstler als »das Ungeheuer«, wie es Mann selber sagte; für Decker ist das »ebenso schön wie gefährlich: eine Welt im Kopf erschaffend«. Denn die Menschen (da haben wir das Ungeheuerliche, das just im 20. Jahrhundert die geschichtlichen Extremgesellschaften schuf), »werden wie nebenbei zwangsverpflichtet, in dieser Welt als Kopfgeburten zu leben. Das macht die Intellektuellen in Sachen Politik oft so untauglich, geradezu unzurechnungsfähig.«

Es lebe also die berechtigte Furcht vor jener Tat, die einen hohen Gedanken umsetzt! Der Künstler, so Decker, vermeide Beteiligung am Machtkampf, er bleibe »ein Narr, der Fragen aus Blickwinkeln stellt, die andere sich sofort verbieten. Es dennoch zu tun, darin liegt seine Aufgabe.« Was Mut fordert und in ständigen Kriegen steht. So geht’s von Heinrich Mann zum »trivialen Drama des modernen Intellektuellen«: Dessen sozialer wie geistiger Platz in dieser Gesellschaft, »der Platz eines privilegierten Außenseiters, wird immer mehr wegevaluiert, verjobbt, schlicht weggerechnet.«

Bevor der Ausgezeichnete ans Pult ging, hatte Essayist Friedrich Dieckmann - Juror gemeinsam mit Sebastian Kleinschmidt und Adam Zagajewski, dem vorjährigen Preisträger - über Deckers Beobachtungskultur gesprochen. Über dessen kritischen »Geist urteilender Liebe«. Das »nd«-Feuilleton kommt ins lobende Wort, »Theater der Zeit«. Deckers Autorschaft für die Zeitung (obwohl das doch nur ein Knüllpapierschicksal ist) als Schnell-Kraft, aber nie um den Preis von Tiefeverzicht. Schreiben, bei dem Sprache sich nicht reproduziert, sondern Entdeckung wird. Dieckmann spricht von Robustheit, ohne die der ständige Wechsel zwischen »dem Aktualem und jenem Titanischen«, das ein Buch fordere, nicht möglich sei. Und die essayistischen Annäherungen an Biografien hätten bei Decker nichts von jener Unsitte, in fremdem Leben nur die »moralisierende Beleghaftigkeit fürs eigene Weltbild« zu suchen.

Decker und Dieckmann: Zwiegeist und Doppelglanz. Zum Schluss der Decker-Rede meint man, das Haar des Geehrten wehe ein wenig. Zeitalter-Eishauch und Begeisterungs-Luftzug. Den Preis nennt der aus schönem Grund Erhitzte eine »beglückende Bürde«. Magda Decker, Tochter und Schauspielerin, las zum Schluss einen Text Heinrich Manns: Flucht über die Pyrenäen. Darin der Hoffnungssatz für einen ehrbaren Frieden: »Flüchtlinge für Touristen nehmen und ›Auf Wiedersehen‹ sagen!«

Ein Preis für Essay und literarische Publizistik. Kathrin Röggla, Vizepräsidentin der Akademie, hatte anfangs gesagt, Essays lägen »wie Beton« in den Buchhandlungen. Sowas sagen und listig lächeln und trotzig aufschauen und wissend weiterarbeiten! Wer einen wahren Dichter zutage fördert, so sagt dieser Abend, fördert Verlassenheit zutage, nicht aber Vergangenheit. Denn da ist die leisdröhnende, leiddröhnende Gleichheit, die innere Monotonie: Alles ist immer zu allen Zeiten da - vor allem die Wahrheit, dass es der Mensch selbst ist, der bei seiner Erlösung stört. Aber dies abkühlende Wissen, gültig für alle sozialen wie politischen Verhältnisse, es ist immer auch wieder verwandelbar in Geheimnis; es ist, wie alles Erfahrene, wieder einschmelzbar zum Wunsch: Was zur Scherbe zerbrach, werde dein Stern. So hören wir eine im Grunde innigst skeptische Rede des Preisträgers - in deren tiefster Höhlung jedoch kernt eine stolze Tröstlichkeit. Decker: »Jener Geist, der verhängnisvoll sein kann, trägt auch das Gegenteil davon in sich: das Rettende als Resultat eigener Erfindung - und sei es das Finden eines Fluchtwegs.« Aber: »Der formbildende Gedanke geht immer allein.«

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