Wagenknecht wirft Merkel Wählertäuschung vor

Wie geht es weiter mit den Griechenland-Krediten? Konflikt um Schuldenerleichterungen schwelt weiter: IWF mit Zusagen der Euro-Länder nicht zufrieden / De Masi: Krisenpolitik ist »Autopilot für die Depression«

  • Vincent Körner
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Blick auf das laufende Kreditprogramm für Griechenland ist allerorten von einer Einigung in der Eurogruppe die Rede - doch was ist am Dienstag in Brüssel wirklich herausgekommen? Die Linksfraktion sieht keinen Fortschritt, im Gegenteil - die Vorsitzende Sahra Wagenknecht erhebt den Vorwurf der Wählertäuschung gegen die Bundesregierung. »Jahrelang haben Wolfgang Schäuble und Angela Merkel die Wähler getäuscht. Nun müssen sie zugeben, dass die öffentlichen Kredite an Griechenland, die zur Rettung von Banken und privaten Gläubigern eingesetzt wurden, nicht wie geplant zurückgezahlt werden«, sagte die Linkenpolitikerin.

Am Dienstag hatte die Eurogruppe den Weg für die Auszahlung von 10,3 Milliarden Euro an Athen freigemacht. Das war erwartet worden, allerdings bleibt es beim Konflikt um die Frage der Schuldenerleichterung mit dem IWF. Spürbar ist das nicht zuletzt am Ton: Beispiel eins: Die Chefin des Währungsfonds Christine Lagarde hatte sich auf Dienstreise in Kasachstan aufgehalten, in Brüssel war Europadirektor Poul Thomsen mit am Tisch. »Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, der Managing Director wäre anwesend gewesen«, kommentierte Schäuble dies spitz. »Das hätte ein Reihe von Stunden sparen können.«

Beispiel zwei: Zunächst hatte IWF-Europadirektor Thomsen in Brüssel erklärt, man begrüße, »dass nun alle Beteiligten anerkennen, dass die griechischen Schulden nicht tragfähig sind«. Dies war als Signal verstanden worden, der IWF mache beim laufenden Kreditprogramm mit. So hatte es zumindest Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem verstanden, der in der Nach zu Mittwoch erklärt hatte, die IWF-Experten würden nun die Teilnahme an dem Kreditprogramm empfehlen. Später trat ein hochrangiger IWF-Vertreter in Washington dem Eindruck aber entgegen, der Fonds sei mit den Zusagen der Euro-Länder zu Schuldenerleichterungen bereits zufrieden. »Angemessene Zusicherungen« dafür seien erst noch notwendig, sagte er. Und die Maßnahmen müssten beziffert werden.

Um auch den Internationalen Währungsfonds an Bord zu bekommen, sagten die Eurofinanzminister zwar deutliche Schuldenerleichterungen für Griechenland zu - allerdings erst ab 2018. Ob sich der IWF an dem Kreditprogramm tatsächlich beteiligt, ist weiter offen. Eine Beteiligung des IWF am Programm ist aber Bedingung des Bundestages und der Koalition insgesamt. Unmittelbar vor dem Treffen hatte die Washingtoner Finanzinstitution weitgehende Forderungen wie das Einfrieren von Zinsen für Kredite gefordert. Doch Bundesfinanzminister Schäuble setzte durch, dass Schuldenmaßnahmen erst später, also nach Abschluss des Programms 2018, kommen können.

Das hat vor allem innenpolitische Gründe. Die Deutsche Presse-Agentur dazu: »Was natürlich gut passt, steht im Herbst 2017 doch die nächste Bundestagswahl an. Mit dieser Frage müsste sich also die neue Bundesregierung befassen.« Weitergehende Schuldenentlastungen zum jetzigen Zeitpunkt wären quasi ein viertes Griechenlandpaket. »Für einen solchen Schritt würde es im Bundestag durchaus eine Mehrheit geben - dank der Stimmen von SPD, Grünen und Linken. Aber die schwarz-rote Koalition dürfte dafür kaum die symbolisch wichtige eigene Mehrheit bekommen«, so die Deutsche Presse-Agentur.

Wagenknecht beurteilte den Ausgang der Eurogruppe vom Dienstag als »kläglicher Versuch der Wählertäuschung«. Es sei nicht hinnehmbar, dass »die konkreten Beschlüsse zu den Schuldenerleichterungen erst nach der Bundestagswahl gefällt werden sollen«. Wagenknecht fordert die Bundesregierung auf, sofort die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, »ob den europäischen Steuerzahlern zusätzlich auch noch die faulen Kredite des Internationalen Währungsfonds an Griechenland aufgezwungen werden sollen«.

Zudem erneuerte die Linkenpolitikerin ihre Forderung nach einem »Alternativprogramm zum Euro-Rettungswahnsinn der Bundesregierung«. Mit öffentlichen Investitionsprogrammen für Griechenland und die EU, mit einer Senkung der Staatsverschuldung durch eine EU-weit koordinierte Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre sowie mit Krediten der Europäischen Zentralbank für öffentliche Investitionen könne ein Ausweg aus dem Krisendilemma gefunden werden. Dies sei der richtige Weg, statt weiter auf eine »unkontrollierte Flutung der Finanzmärkte« mit Geld zu setzen.

Der Europaabgeordnete der Linken, Fabio De Masi nannte den Ausgang der Eurogruppe »üblicher Euro-Wahnsinn«. Der überfällige Schuldenschnitt für Griechenland solle »in die Zukunft verschoben werden, damit Finanzminister Schäuble den Bundestag und die Steuerzahler täuschen darf«. Die Auflagen, die der SYRIZA-geführten Regierung in Athen aufgezwungen würden, seien »ein Autopilot für die Depression«.

Zusätzlich zu den bereits beschlossenen Rentenkürzungen und der Mehrwertsteuererhöhung sei ein automatischer Kürzungsmechanismus durchgesetzt worden, der die Staatsausgaben weiter beschneidet, »wenn die völlig verrückten Ziele für den Haushaltsüberschuss nicht erreicht werden«. Stattdessen brauche Griechenland »öffentliche Investitionen, um einen Aufschwung einzuleiten, die Sozialsysteme zu entlasten und zu reformieren«. De Masi weiter: »Der Schäuble-Cocktail mit den Zutaten kein Schuldenschnitt plus mehr Kürzungen ist pures Gift.« mit Agenturen

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