Schmidt sagt Milchbauern 100 Millionen Euro Soforthilfe zu

Milchgipfel sucht nach Antworten gegen den Preisverfall / »Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft« fordert Einführung eines Milchfonds / Attac: Überangebot zerstört Märkte in Ländern des Südens / Grüne legen Forderungen für Nachhaltigkeit vor

  • Lesedauer: 8 Min.

Update 17.00 Uhr: Bund sagt 100 Millionen Euro Nothilfe für Milchbauern zu
Die deutschen Milchbauern sollen als Entlastung wegen drastisch gesunkener Preise Nothilfen von mindestens 100 Millionen Euro bekommen. Zur genauen Höhe will Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) noch Gespräche führen, wie er am Montag nach einem »Milchgipfel« mit Vertretern von Bauern, Molkereien und Handel in Berlin sagte. Der Bauernverband mahnte eine rasche Umsetzung an. Schmidt betonte, die Marktbeteiligten selbst müssten zu einer stärkeren Mengensteuerung kommen. »Ein Weiter so kann es und wird es nicht geben.« Hierüber wollten die Branchenverbände in Dialog treten.

Schmidt kündigte kurzfristige Finanzhilfen von »100 Millionen Euro plus X« an. Über die Höhe des X will er unter anderem mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der EU-Kommission reden. Schmidt sagte, er erwarte auch von den Ländern eine finanzielle Beteiligung an der Existenzsicherung der deutschen Bauern.

Im Hilfspaket des Bundes enthalten sein sollen nach Angaben des Ministers unter anderem Existenzsicherungshilfen, Steuerentlastungen und Freibetragsregelungen zur Schuldentilgung. Nachgedacht werde zudem über Bürgschaftsprogramme und eine Fortschreibung der Entlastung bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung im kommenden Jahr. Hierbei gehe es um Bundeszuschüsse von mindestens 78 Millionen Euro.

Bauernpräsident Joachim Rukwied sprach von Schritten in die richtige Richtung. Das X hinter den 100 Millionen Euro müsse aber »viel, viel größer ausfallen«. Faktor zehn würde nicht ausgleichen, was Betriebe im Moment einbüßten. Er erwarte, »dass wir innerhalb der nächsten zwei Monate erste konkrete Ergebnisse haben. Viel länger Zeit haben unsere Milchbauern nicht.« Die Preise für die Bauern sind teils unter 20 Cent je Liter gefallen. Um die Kosten decken zu können, gelten mindestens 35 Cent als nötig. Ursache des seit Monaten andauernden Preistiefs sind große Milchmengen auf den Märkten.

Schmidt betonte: »Wir brauchen weniger Milch für bessere Preise.« Der Bund helfe kurzfristig in der Not. Es gelte aber: »Wir wollen keine Landwirtschaft, die am Tropf von Hilfszahlungen hängt.« In der Marktwirtschaft sei es nicht Aufgabe des Staates, Produktionsmengen und Preise vorzuschreiben. Der Schlüssel zur Lösung der Krise liege in den Händen von Bauern, Molkereien und Handel. Der Präsident des Handelsverbands Deutschland, Josef Sanktjohanser, sagte: »Absprachen über einheitliche Mindestpreise im Handel darf und wird es aus kartellrechtlichen Gründen nicht geben.« Der Handel nehme aber den Auftrag mit, sich auch weiterhin verstärkt dafür einzusetzen, dass deutsche Lebensmittel ihren Platz in den Supermarktregalen behalten.

Parallel zum »Milchgipfel« protestierte der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, der nicht eingeladen worden war, am Brandenburger Tor. Gummistiefel auf dem Pflaster symbolisierten aufgegebene Höfe. Der Vorsitzende Romuald Schaber sagte: »Wenn den Bauern Geld zur Verfügung gestellt wird, dann muss es an die Bedingung geknüpft werden, dass sie weniger produzieren.« Um Mengen zu senken, fordert der Verband unter anderem einen Bonus von 30 Cent für das Nichtproduzieren eines Liters Milch.

Update 14.40 Uhr: Mindestens 100 Millionen Euro Soforthilfe für Milchbauern
Die deutschen Milchbauern sollen angesichts drastisch gesunkener Preise Soforthilfen von mindestens 100 Millionen Euro bekommen. Über die genaue Höhe werde er noch Gespräche führen, sagte Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) nach einem »Milchgipfel« mit Vertretern von Bauern, Molkereien und Handel am Montag in Berlin.

Milchgipfel sucht nach Antworten gegen den Preisverfall

Berlin. Für eine Stabilisierung der drastisch gesunkenen Milchpreise sieht der Bauernverband Molkereien und Handel stärker in der Pflicht. »Wir müssen mit beiden Partnern zu neuen Formen der Zusammenarbeit kommen«, sagte Generalsekretär Bernhard Krüsken der Deutschen Presse-Agentur vor dem »Milchgipfel« am Montag im Bundesagrarministerium in Berlin. »Wir brauchen bei den Molkereien mehr Verantwortung für Mengensteuerung.« Sie müssten den Erzeugern bessere Rückmeldungen geben, welche Mengen zu welchen Preisen zu vermarkten seien. Vom Lebensmittelhandel erwarte der Bauernverband das klare Signal: »Das Verramschen von Milch muss aufhören.«

Bei dem Krisentreffen will Minister Christian Schmidt (CSU) mit Vertretern von Bauern, Molkereien und Handel beraten. In Aussicht gestellt hat er schon Millionenhilfe, mit der Betriebe finanzielle Engpässe überbrücken können. Schmidt fordert für seinen »Milchgipfel« am Montag Mithilfe von allen Beteiligten - Molkereien, Handel und Landwirten. »Ich werde sehr offen und deutlich sein, weil ich es nicht akzeptieren kann, dass jeder mit dem Finger auf den anderen zeigt«, sagte er im ARD-»Morgenmagazin«.

Die Bauern seien allerdings diejenigen, die derzeit allein die Marktrisiken tragen müssten - sie seien in einer »katastrophalen Situation«. Molkereien, Handel und Verbraucher müssten zu Zugeständnissen bereit sein. »Ich suche nicht nach Schuldigen, ich suche nach Lösungen«, sagte Schmidt. Zum »Milchgipfel« sind die Landes-Agrarminister nicht eingeladen - mit ihnen wolle er nächste Woche sprechen, sagte Schmidt. »Auch die Länder müssen ja ihre Verantwortung mit wahrnehmen, und ich höre ja durchaus Signale, dass man das will.«

Die Milchpreise für die Bauern sind zuletzt teils unter 20 Cent je Liter gefallen. Zum Decken der Kosten gelten mindestens 35 Cent als nötig. Ursache des schon seit Monaten andauernden Preisverfalls sind große Milchmengen auf den Märkten.

Das globalisierungkritische Netzwerk Attac warnte vor den globalen Folgen eines Überangebotes an Milch. »Aus Berlin darf es kein neues ‘Weiter so!’ geben. Über Jahre warben die Agrarpolitik und die großen Molkereien für mehr Weltmarkt. Jetzt haben wir zu viel Milch, die die Höfe ruiniert. Sie wird zum Billig-Exportprodukt Milchpulver und zerstört so auch noch landwirtschaftliche Perspektiven in anderen Ländern. Die Mengen müssen runter«, so Jutta Sundermann von Aktion Agrar.

Die »Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft« sieht vor allem die Discounter in der Pflicht. Zuletzt hatte die Einzelhandekskette Aldi den Milchpreis massiv gedrückt. »Wir müssen runter vom Zuviel an Milch, das den Preis nach unten drückt. ALDI muss seinen Teil der Verantwortung dazu wahrnehmen. Erhöhen Sie den Milchpreis und stellen Sie den Mehrerlös vollständig für einen Milchfonds bereit, der den Höfen zu Gute kommt, die ihre Milchmenge reduzieren und damit einen aktiven Beitrag zur Lösung der Krise leisten,« heißt es in einem offenen Brief.

Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer kritisierte, die vorgesehenen Subventionen verlängerten die Krise nur. »Unsere Milchbauern brauchen keine Almosen oder Liquiditätshilfen in der geplanten Form - schon gar nicht nach dem Gießkannenprinzip«, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. »Viel sinnvoller sind wirksame Marktmechanismen mithilfe einer flexiblen Mengensteuerung.« Es sei unverständlich, dass die Agrarminister der Länder nicht zum Gipfel eingeladen worden seien.

Der Bundesverband der Milchviehhalter warf der Bundesregierung zu spätes Handeln vor und plant am Montag eine Protestaktion am Brandenburger Tor. Notwendig seien Möglichkeiten, die Milchmenge eigenverantwortlich zu senken. Dies sollte mit staatlichen Bonuszahlungen unterstützt werden.

Teilnehmer des »Milchgipfels« sind laut Regierungskreisen neben dem Bauernverband der Raiffeisenverband, der Milchindustrie-Verband, die größte deutsche Molkerei »Deutsches Milchkontor«, der Handelsverband Deutschland, der Bundesverband des Lebensmitteleinzelhandels, die Landwirtschaftliche Rentenbank und der Verband der Bayerischen Privaten Milchwirtschaft.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch wies die Argumentation zurück, Konsumenten könnten mit ihrem Einkaufsverhalten die Verdienste der Milchbauern beeinflussen. Auch wenn Verbraucher im Supermarkt »zu einer teureren Milch greifen - beim Landwirt schlägt sich das praktisch nicht nieder«, erklärte Sophie Unger von Foodwatch am Montag.

Die Organisation hatte nach eigenen Angaben Preise von 31 Milchmarken aus dem Kühlregal und von H-Milch verglichen und ihnen die Preise gegenübergestellt, die von den Molkereien an die Bauern bezahlt werden. Demnach betrug die Preisspanne im Supermarkt bis zu 83 Cent pro Liter oder 180 Prozent. Die Auszahlungen die Bauern variierten aber nur um maximal fünf Cent oder 20 Prozent. Am ehesten würden höhere Supermarktpreise bei Bio-Milch an die Landwirte weitergereicht, erklärte Foodwatch.

»Es ist beim Einkaufen von Milch vollkommen intransparent, wie viel vom Verkaufspreis beim Bauern ankommt«, kritisierte Unger. Bei teureren Marken zahlten die Verbraucher »vor allem für Werbung und Marketing«, während die Landwirte fast immer einen niedrigen Auszahlungspreis erhielten. Aus Verbrauchersicht sei es daher »völlig vernünftig«, die billigere Variante zu kaufen.

Dagegen erklärten der Einzelhandelsverband HDE und der Lebensmittelhandelsverband BVLH am Montag, der Kunde habe »die Wahl, durch das eigene Einkaufsverhalten seinen Beitrag zu leisten«. Der Lebensmittelhandel »hält in allen Bereichen des Molkereisortiments preislich und qualitativ ein breites Angebot vor«.

Die Grünen wollen am Montag in Erfurt indes ihre Positionen für eine nachhaltige Landwirtschaft und artgerechte Tierhaltung in Thüringen vorstellen. Ihnen geht es angesichts des Preisverfalls bei Milch, aber auch bei Schweinefleisch um ein Umsteuern weg von immer größeren Betrieben. Die Forderungen der Grünen zur Agrarpolitik wollen die Landessprecherin Stephanie Erben und der Agrarpolitiker Olaf Müller begründen. Mit der Zukunft der Landwirtschaft soll sich am 4. Juni auch ein kleiner Parteitag beschäftigen.

Die Grünen wollen unter anderem, dass Kühen der Weideaufenthalt an mindestens 120 Tagen im Jahr ermöglicht wird. Nach kontroversen Diskussionen über Betriebsgrößen und Massentierhaltung hatte Thüringens Bauernpräsident Helmut Gumpert in der vergangenen Woche Vertreter der Partei in seinen Betrieb in Ostthüringen eingeladen. Stallanlagen mit 450 Milchkühen hätten eine Größe, die die Grünen für angemessen hielten, hieß es danach. Agenturen/nd

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