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Linkes Lager gegen rechten Block

Bernd Riexinger über die ureigenen Interessen der Gewerkschaften und ihre viel zu bescheidenen Ansprüche

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 9 Min.
Rechts, links, arm, 
reich – die Spaltung der Gesellschaft verschärft sich. Zugleich werden die Parteien machtpolitisch immer flexibler. Dies ist ein Konflikt der repräsentativen Demokratie. Was ist zu tun? Ein 
Gespräch über das linke Lager und wie man es aktivieren kann.

In einem Strategiepapier, das Sie mit Ihrer Ko-Vorsitzenden Katja Kipping vor dem Magdeburger Bundesparteitag der LINKEN geschrieben haben, ist die Rede von einem »Lager der Solidarität«, das es aber noch nicht gebe. Wer gehört denn zu diesem Lager?
Wir sehen zunehmend eine gesellschaftliche Spaltung, eine soziale Spaltung, eine starke Prekarisierung sowohl der Arbeit als auch der Lebensverhältnisse. Es besteht damit die große Gefahr, dass sich die Mittelschichten mehr und mehr abgrenzen - gegenüber Flüchtlingen oder gegenüber denen, die im sozialen Gefüge unter ihnen stehen. Im Kern ist genau das die »Lösung« der Rechten, die diese Spaltung mit einem völkischen Ansatz verschränken. Dem müssen wir eine linke Lösung entgegensetzen. Das heißt deutlich zu machen, dass die Mittelschicht und die Kernbelegschaften, die Erwerbslosen und die prekär Beschäftigten gemeinsame Interessen haben, dass wir da Zusammenhalt brauchen, um zu verhindern, dass diese Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.

... die da wären?
Regulierte, unbefristete Arbeit, von der man leben und sein Leben planen kann, statt dauernder Unsicherheit in Leiharbeit und Werkverträgen. An der Stelle müsste es ein Bündnis zwischen Mitte und Unten geben. Das, was wir »Lager der Solidarität« nennen, reicht von Gewerkschaften über die Sozialverbände, die vielen Flüchtlingshelfer, TTIP-Gegner, AktivistInnen, usw. Im Kern geht es darum, dass so etwas wie ein gemeinsames Klassenbewusstsein hergestellt wird, gemeinsame Interessenlagen der Mitte gegen die Interessen der Kapitalbesitzer, der Reichen, die genau diese Spaltung betreiben. Und dieses Bündnis der Solidarität muss sich auch im politischen Raum formieren.

Zur Person

Bernd Riexinger ist seit 2012 Ko-Vorsitzender der Linkspartei. Der 61-jährige Baden-Württemberger steht der gewerkschaftsnahen Parteiströmung Sozialistische Linke nahe und ist Mitglied der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken. Über die Möglichkeit eines Politikwechsels und das »Lager der Solidarität« sprach mit ihm nd-Redakteur Jörg Meyer.

Die Probleme treiben die Menschen aber jetzt schon um. Das »linke Lager« gibt es noch, es ist aber fast verstummt. Wie lässt es sich aktivieren?
Ich glaube, dass das offen ist. Wenn wir die gewerkschaftlichen Kämpfe, die Streiks innerhalb der letzten 15 Jahre angucken, dann waren das Solidaraktionen derjenigen, die entweder schon in diesem unteren Bereich sind, wie Verkäuferinnen, oder die in der Grauzone sich bewegen und ungerecht behandelt werden, wie Erzieherinnen oder Bewachungspersonal in den Flughäfen. Es hat sich gezeigt, dass diese Kräfte in der Lage sind, sich zu organisieren und sich zu wehren. Aber der »nur gewerkschaftliche Kampf« reicht nicht aus. Man braucht auch politische Rahmenbedingungen, damit diese Kämpfe auf Dauer zum Erfolg führen können.

Bitte ein Beispiel.
Im Westen sind gerade noch 51 Prozent der Betriebe tarifgebunden, im Osten sind es 37 Prozent. Das hat dramatische Folgen für die Beschäftigten. Die, die nicht im Tarif sind, verdienen durchschnittlich fast 20 Prozent weniger, da geht es fast immer um Beschäftigte im unteren Lohnbereich. Das werden wir nur lösen können, wenn die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert wird, wenn es wieder zur Regel wird, unter Tarifverträge zu fallen. Genau wie die Frage der Werkverträge, die fast immer Tarifflucht bedeuten. Das zu verhindern, ist eine Frage des politischen Willens. Deswegen müssen diese Auseinandersetzungen immer in beide Richtungen gehen. Wie können Arbeits- und Lebensbedingungen für alle verbessert werden? - das ist eine politische Frage.

Sie haben die Gewerkschaften aufgefordert, Druck auf die Parteien auszuüben und in dem Sinne zusammenzuarbeiten. Wie soll das aussehen?
Seit Union und SPD sich in der Mitte drängeln, gibt es kein linkes Parteienlager mehr. Wir erleben aber eine Polarisierung der Gesellschaft - da müssen die Parteien reagieren. Das eben genannte gesellschaftliche Lager der Solidarität ist ganz wichtig - das darf aber nicht bedeuten, dass wir SPD und Grüne aus der Verantwortung entlassen. Politikwechsel darf nicht nur ein formales Regierungsprojekt sein, sondern muss immer von gesellschaftlichen Mehrheiten getragen werden. Unsere großen politischen Themen, von der Reform des Rentensystems über die Bekämpfung der Prekarität, Investitionsprogramme für die öffentliche Infrastruktur oder den Wohnungsbau bis hin zu Integrationsprogrammen oder eine friedliche Außenpolitik, haben eine große Identität mit der Programmatik der Gewerkschaften. Wenn wir sagen, es muss gesellschaftlicher Druck entstehen, dann braucht man dafür auch die außerparlamentarischen Gruppen, die für einen Stimmungswechsel in der Gesellschaft kämpfen. Es wäre deshalb wichtig, dass die Gewerkschaften insbesondere auf die SPD und die Grünen Druck ausüben, aber auch gerne auf uns als LINKE, um tatsächlich Merkel 2017 abzulösen. Das muss ja das Ziel sein - verbunden mit einem klaren Bruch gegenüber der neoliberalen Politik der letzten 30 Jahre.

Der ehemalige DGB-Vorsitzende Michael Sommer hat 2013 gesagt: »Wir sind nicht irgendein Verein zur Verbesserung der Welt, sondern wir sind nicht mehr und nicht weniger als die Interessenvertretung der Arbeit.« Die Meinung ist verbreitet in den Gewerkschaften. Wieso sollten die also Druck auf die Politik ausüben?
Das ist verkürzt gedacht. Neben der sinkenden Tarifbindung ist heute jeder zweite neu geschlossene Arbeitsvertrag befristet. Mit befristet Beschäftigten kannst du aber ganz schlecht streiken. Das verändert die Kräfteverhältnisse zugunsten des Kapitals. Die Reichweite betrieblicher und tariflicher Regelungen wird immer kleiner durch Outsourcing, Werkverträge oder Leiharbeit. Vieles können doch die Gewerkschaften seit Jahren nicht mehr alleine regeln, sondern da müssten sie in den politischen Raum gehen. Und sie müssen erkennen, dass ihre bescheidenen pragmatischen Ansprüche, die sie an die Große Koalition gestellt haben, inzwischen erschöpft sind. Die wenigen Korrekturen zum Mindestlohn oder bei der Rente reichen bei Weitem nicht aus. Die Gewerkschaften wollen zur Bundestagswahl eine große Rentenkampagne machen, aber mit wem wollen sie denn eine Rentenreform machen, die lebensstandardsichernde Renten und armutsfeste Renten sichert? Da müssten die Gewerkschaften großes Interesse an einem Politikwechsel haben, und man müsste gerade von ihnen erwarten, dass sie starken Druck ausüben und dafür werben.

Und was sagen die Gewerkschaften zu Ihren Ideen? Wurde Ihr Bitten schon erhört?
Es geht nicht um ein Bitten, sondern darum, dass sie ihre ureigensten Interessen äußern. Die Gewerkschaftslandschaft ist unterschiedlich aufgestellt. Wir haben Gewerkschaften, die Schnittstellen zu politischen Entscheidungsprozessen haben, etwa im öffentlichen Dienst. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat stark deregulierte Bereiche zu betreuen. An den Stellen gibt es durchaus Interesse an einer politischen Initiative. Auf dieses Interesse muss man bauen. Aber sie sollten formulieren, was sie für Erwartungen haben. Es ist doch völlig deutlich: Die Verwüstungen, die die neoliberale Politik angerichtet hat, sind so groß, dass es inzwischen völlig neue politische Konstellationen gibt. Die bilden den Nährboden für rechte Kräfte. Darunter leiden im Übrigen auch die Gewerkschaften: Ihre Mitglieder haben zum Teil überdurchschnittlich rechts gewählt. Das sind nicht alles Rassisten oder Rechte, sondern da drückt sich auch eine große soziale Verzweiflung aus.

Wenn die Gewerkschaften zudem nicht mehr die Interessen ihrer Mitglieder durch Tarifpolitik und Betriebspolitik erfüllen können, verlieren sie an Bindekraft. Deshalb müssten sie selber Interesse daran haben, einen Politikwechsel mit herbeizuführen.

Und das geschieht dann mit dem rot-rot-grünen Lager?
Ein Teil der Gewerkschaften ist sehr SPD-orientiert. Von daher hängt der Ausgang der notwendigen Debatte auch ein Stück weit von der Positionierung der SPD ab. Sigmar Gabriel gibt sich ja seit Kurzem radikaler und linker. Das hatten wir schon öfter vor Wahlen: Die SPD rückt nach links, macht aber nach den Wahlen wieder dieselben Fehler. Die Frage ist ja, ob das ein ernsthafter Kurswechsel ist oder nur eine PR-Maßnahme. Das wird Einfluss auf die Gewerkschaften haben. Ich denke, sie wären auch gut beraten, eigenen Druck in Richtung Kurswechsel auszuüben. Ich würde mir kämpferische Töne wünschen. Ein Beispiel: Dass der DGB zum Leiharbeitsgesetz einen positiven Kommentar abgegeben hat, war doch ein Witz. So etwas stößt bei der eigenen Basis auf völliges Unverständnis. Ein Gesetzentwurf, der sogar noch den Koalitionsvertrag verschlechtert, nichts regelt - da muss doch Kritik kommen, da müssen offensive Forderungen kommen. Ich finde, für gar nichts sollten sich die Gewerkschaften auch nicht hergeben, und mit diesem Gesetzentwurf haben wir noch nicht einmal den Spatz in der Hand.

Der Begriff »Lagerwahlkampf«, den Sie aktuell oft geäußert haben, stammt aus den 1980er Jahren. Trägt der heute noch? Ich beobachte eher, dass auf Bundesebene alle mit allen koalieren können - außer mit der LINKEN.
Genau. Wir haben ein Kartell neoliberaler Parteien. Den Rechten hat zum Aufschwung verholfen, dass die Bevölkerung nicht erkennen kann, dass es einen bürgerlich-rechten Block gibt, der für sozialen Kahlschlag und Privatisierungen steht und das mit Konkurrenzdruck und zum Teil nationalistischen Positionen verschränkt. Da braucht es einen erkennbaren linken Block, der für einen starken Sozialstaat steht, mit sozialen Garantien und Investitionen in Beschäftigung und das Gemeinwohl. Ich glaube, so eine Alternative würde die Rechten zurückdrängen. Aber das liegt nicht an uns. Dafür müssen sich SPD und Grüne entscheiden: Löst sich die SPD aus der Umklammerung der Großen Koalition und steht wieder für sozialdemokratische Politik? Und begreifen sich die Grünen als neue grüne FDP, die nach allen Seiten offen ist und auch als Regierungsreserve für die CDU? Das hängt auch davon ab, was die Bürgerinnen und Bürger von den Parteien fordern. Die LINKE steht für eine Veränderung der Kräfteverhältnisse von Kapital und Arbeit zugunsten der Arbeit, um die Gesellschaft von Grund auf zu verbessern.

Parteien sind kollektiver Ausdruck von gesellschaftlichem und politischem Willen. Ist das politische System mittlerweile so abgehoben, dass die Parteien andere gesellschaftliche Akteure um Hilfe fragen müssen?
Nein. Wir sehen jedoch eine Repräsentationskrise der Politik. Man kann nicht von Entpolitisierung schreiben, wenn gerade eine politische Polarisierung in der Gesellschaft stattfindet. Die Frage ist doch eher, wie kann diese Entwicklung nach links gewendet werden. Es gibt keine Zwangsläufigkeit, dass das nach rechts geht. Die linken Kräfte in der Gesellschaft müssen Konzepte entwickeln, die dem gerecht werden.

Und wie könnten diese Konzepte aussehen?
Wir sehen Beispiele in den USA oder Großbritannien, mit Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn, die auf die Gesellschaft zugegangen sind und gesagt haben, wir können das nicht alleine machen, wir brauchen eine Bewegung in der Gesellschaft. Ich glaube, die LINKE muss so eine Einladung aussprechen. Wir haben durchaus ermutigende Zeichen: Trotz aller ausbleibenden Wahlerfolge in letzter Zeit haben wir einen Zulauf sowohl bei Wählern und Mitgliedern als auch von jungen Leuten, die etwas tun wollen, die sich deutlich gegen Rechts positionieren, die aber auch zu uns kommen, weil die soziale Frage für sie eine Rolle spielt.

Also wird die LINKE jetzt Bewegungspartei?
Ich glaube, wir haben durchaus eine Chance, diese Leute auch zu aktivieren, indem wir nicht sagen, wir sind eure Stellvertreter, wir machen das schon für euch, es reicht, wenn ihr ein Kreuzchen bei uns macht, sondern indem wir eine Einladung zum Mitmachen aussprechen und Impulse geben, dass dort tatsächlich eine politische Bewegung daraus entsteht. Wir leben gerade tatsächlich in einer politischen Umbruchphase, in der man keine Panik kriegen darf. Das sind lange Prozesse, in deren Verlauf neue Herausforderungen für die Linken entstehen. Und da muss man in der Tat Antworten haben, die hier auch eine neue Politisierung auslösen können.

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