Späte Rüge an Riad

US-Militär möchte im Jemen-Konflikt nicht für saudische Kriegsverbrechen mithaften

  • Oliver Eberhardt, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kampfflugzeuge kamen auch am Dienstagmorgen und schossen über Sana‘a, offiziell Hauptstadt Jemens, Raketen ab. »Die Opfer sind nur noch sehr schwer zu zählen«, sagt ein Mitarbeiter des Roten Halbmondes: »Heute waren es mindestens zwei in einem Wohnhaus; vier auf einer Hauptstraße.«

Mindestens 1000 Luftangriffe hat die internationale Militärallianz seit dem Frühjahr 2015 verüben lassen; 900 davon gehen nach Auskunft das US-Außenministeriums auf das Konto Saudi-Arabiens, das das Bündnis offiziell anführt, dem unter anderem Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten angehören.

Mindestens 10 000 Menschen seien seit Beginn der Kämpfe im Frühjahr 2015 getötet worden, sagte Jamie McGoldrick, UNO-Koordinator für humanitäre Hilfe am Dienstag in Sana‘a, und schränkte gleichzeitig ein: »Wir wissen, dass die Zahl der Opfer tatsächlich sehr viel höher liegt, aber wir wissen nicht um wie viel.« Denn zusammengerechnet wurden nur die Zahlen von Krankenhäusern und Rettungsdiensten. Viele Opfer werden aber sofort beerdigt.

Gut 70 Prozent der gezählten zivilen Opfer seien bei Luftangriffen getötet worden, heißt es beim Roten Halbmond. Nach welchen Kriterien die Ziele ausgewählt werden, dazu äußern sich saudische Militärsprecher schon seit Monaten nicht mehr. Gleichzeitig fragen aber jetzt die offiziellen Verbündeten nach der Strategie hinter den Angriffen. Jemen ist in mehrere Teile zerfallen; neben einem von der international anerkannten Regierung kontrollierten Gebiet gibt es eine Region, in der die Huthi-Milizen das Sagen haben. Hinzu kommen Gebiete, in denen Al Qaida, der Islamische Staat oder örtliche Stämme die Macht ausüben.

Vor allem in den USA, die die Militärallianz bislang mit Informationen unterstützte, geht die Regierung nun auf deutliche Distanz. In der vergangenen Woche wurde ein US-Koordinierungsteam aus dem Hauptquartier des Bündnisses in Riad abgezogen.

Wenig diplomatisch erklärte man im Pentagon, warum: Die Zielauswahl sei zuletzt »ständig kontrovers« gewesen, sagte ein Sprecher; das amerikanische Personal in Saudi-Arabien habe »keinen Einfluss« darauf gehabt, was mit den Hilfestellungen geschieht: Seit April hatte das US-Militär auch saudische Kampfflugzeuge in der Luft betankt.

Vor zwei Wochen hatte die Hilfsorganisation »Ärzte ohne Grenzen« den Abzug ihres Personals aus sechs Krankenhäusern bekannt gegeben. Obwohl man stets die Koordinaten der Einrichtungen an die Allianz übermittelt habe, seien die Hospitäler wiederholt Ziel von Angriffen geworden. Die saudische Regierung spricht von »Fehlern«.

Bei einem Besuch in Riad drängte US-Außenminister John Kerry am Wochenende auf eine Fortsetzung der Friedensgespräche, die Anfang August gescheitert waren. Sein Vorschlag: Huthi und Regierung sollen eine Einheitsregierung bilden; die Huthi sollen sich parallel dazu aus von ihnen kontrollierten Gebieten zurück ziehen und ihre schweren Waffen an eine »dritte Partei« übergeben. Im Gegensatz dazu sah der bisher diskutierte Plan des UNO-Vermittlers Ismail Scheich Ould Ahmed vor, dass die Huthi erst die Waffen niederlegen und dann über die zukünftige politische Situation gesprochen wird. Präsident Abedrabbo Mansur Hadi erklärte sich nun »im Grunde« zu einer Einheitsregierung bereit. Allerdings besteht er weiterhin darauf, dass die Huthi zuvor erst die Waffen abgeben - ein Zeitplan, den die Organisation kategorisch ablehnt; Hadi schaffe damit vollendete Tatsachen, ohne dass man dafür etwas bekomme. Für jene Gebiete, die von keiner der beiden Parteien kontrolliert werden, gibt es zudem noch nicht einmal einen Vorschlag.

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