Erika Mustermann wird 50

Die Modellbürgerin ist eine Erfindung der Behörden - doch ihr Mythos lebt

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 4 Min.
Um das Leben der Modellbürgerin ranken sich viele Mythen. Im Laufe der Jahre hat sie verschiedene Identitäten angenommen.

Es wird ein ruhiger Geburtstag werden. Weder Geschenke noch Glückwunschkarten wird es geben, wenn Erika Mustermann am 12. August 50 Jahre alt wird. Deswegen wird sie aber nicht in die Midlife-Crisis stürzen: Die Frau, deren Foto diverse Mustervordrucke ziert, ist bloß eine Erfindung der Behörden. Doch ihr Mythos lebt.

Um ihre etwas verwirrende Biografie zu verstehen, muss man wissen, dass unter diesem Namen verschiedene Phantome unterwegs sind. Bereits Ende der 70er Jahre tauchte auf Ausweismustern eine Blondine namens »Renate Mustermann« auf. Richtig prominent wurde aber erst ihre Nachfolgerin Erika, die in den 80er Jahren ins Rampenlicht trat: Ihr Schwarz-Weiß-Foto prangte auf dem Muster des neuen Personalausweises, der erstmals zentral in der Bundesdruckerei produziert wurde.

Die in Plastik eingeschweißte Karte, die 1987 das alte Ausweisbüchlein ablöste, sollte fälschungssicher sein - eine Reaktion auf Fälschungen der Roten Armee Fraktion (RAF). Erika die Erste, war eine Blondine mit Ponyfrisur, angeblich am 12. September 1945 in München geboren. Sie war bald im ganzen Land bekannt. »Nach dem Zweiten Weltkrieg war Erika Mustermann eine der führenden deutschen Persönlichkeiten«, sagt Informatiker Uwe Haupt, der ihr 1995 mit Kollegen der Universität Bremen eine der ersten Internetseiten in Deutschland widmete. »Wir beschäftigten uns damals mit virtuellen Persönlichkeiten. Da drängte sich die Figur Erika Mustermann förmlich auf. Ein Kasten Bier hat dann sein Übriges getan«, erinnert sich Haupt. Aber nicht nur Computerfreaks waren von Erika fasziniert. Auch Briefe von Verehrern und Heiratsanträge sollen für sie bei der Bundesdruckerei eingegangen sein.

Doch die Ära der Original-Erika, für manche Fans bis heute die einzig wahre Erika, ging nach zehn Jahren zu Ende. Grund war der technische Fortschritt: Die Ausweisfotos wurden farbig. Die neue Erika, Jahrgang 1957 und ebenfalls gebürtige Münchnerin, trug eine Brille und blickte streng in die Kamera. Schon vier Jahre später musste sie der dritten Erika weichen, da die Ausweise jetzt mit Hologrammen gesichert wurden: Auf den Mustern lächelte fortan laut damaliger Pressemitteilung der Bundesdruckerei eine »junge dynamische Frau mit frechem Kurzhaarschnitt«, die am 12.8.1964 geboren worden war.

Bei diesem Datum ist es geblieben, auch wenn andere Angaben variierten: Aus der Münchnerin wurde eine gebürtige Berlinerin, gewohnt hat sie in München, später in Köln, dann in Berlin. Immerhin sieht Erika seit etwa 2007 auf den Fotos unverändert aus: eine freundlich dreinblickende Blondine mittleren Alters mit langen Haaren und blauen Augen.

Für die Fotos standen offenbar Mitarbeiterinnen der Bundesdruckerei Modell - wer wirklich hinter Erika steckt, will niemand verraten. Vor Jahren soll sich die Frau, die ihr das Gesicht verlieh, aber gegenüber Journalisten enttarnt haben. Sie bezeichnete sich laut »Spiegel« als »eine gute, anständige Bürgerin« und zeigte offenbar keine großen Berührungsängste. So zitierte sie das Magazin: »Wenn mich jemand auf der Straße wiedererkennen würde, dann wäre ich stolz.« Heute hüllt sich die Bundesdruckerei über derlei Angelegenheiten in Schweigen.

Überraschenderweise findet man im Telefonbuch zwei private Einträge unter »Erika Mustermann«, einen davon in Augsburg. Da erreicht man aber nicht Frau Mustermann, sondern Herrn Weichselbraun. Früher, erzählt er, habe hier eine größere WG gelebt, die es leid war, ständig neue Bewohner an- und abzumelden. Aus Bequemlichkeit und Kostengründen ließ man den Anschluss auf »Erika Mustermann« laufen. Eigentlich hätten er und seine Frau den Eintrag längst ändern wollen, sagt Peter Weichselbraun, »aber die Post hat’s verpennt«.

Es gibt aber auch echte Mustermänner. Da wäre Erikas männliches Pendant Max. Von ihm existiert das Gerücht, er sei mit Erika verheiratet. Schließlich ist sie laut Ausweis eine geborene Gabler - ihren Nachnamen hat sie also bei ihrer Heirat angenommen. Doch Max Mustermann ist ledig - er ist erst elf. Wie ist der Junge, der im niedersächsischen Quakenbrück lebt, zu dem Namen gekommen? Auf geordneten Wegen: Als seine Eltern seinen Vornamen wählten, haben sie nicht an die berühmten Namensvettern gedacht. »Wir haben den Namen Max eben als schön und gut empfunden«, erzählt Vater Thomas Krogmann, dessen Lebensgefährtin Mustermann heißt. »Mustermann ist hier auch kein so besonderer Name.« Im Raum Quakenbrück leben mehrere Verwandte des Namens.

Es gibt nur wenige echte Mustermanns. In ganz Deutschland tragen etwa hundert Menschen den Namen, so Sprachwissenschaftlerin Prof. Damaris Nübling von der Universität Mainz. Erika dagegen ist ein gängiger, wenn auch etwas altmodischer Vorname. Beliebt war er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Erfinder der ersten Erika Mustermann, Jahrgang 1945, haben ihr also einen zeitgemäßen Vornamen verpasst. Etwas haben sie aber nicht bedacht: »Ohne es zu beabsichtigen haben sie einen ›verweiblichten Mann‹ geschaffen«, meint Nübling: Erika ist die weibliche Form von Erich bzw. Erik. Der Nachname endet auf »-mann«, obwohl es sich um eine Frau handelt. Bei den Schöpfern war wahrscheinlich der Realitätssinn ausgeprägter als ihr emanzipatorischer Geist: Nachnamen enden nur sehr selten auf »-frau«. Österreichische Behörden sind da fortschrittlicher. Auf dortigen Personalausweisbeispielen ist eine »Mag. Dr. Musterfrau Isolde« abgebildet. Vielleicht könnten die deutschen Behörden etwas Boden wettmachen, wenn sie ihrer Erika zum 50. wenigsten einen Doktortitel schenken.

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