Eine schöne Idee

Das Grundeinkommen hat Anhänger in allen politischen Spektren. Mehrheitsfähig ist das Konzept jedoch nicht. Eine Bilanz zum zehnten Geburtstag

  • Jens-Eberhard Jahn
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Netzwerk Grundeinkommen kämpft für eine Alternative zu Hartz IV und Arbeitszwang. Die Szene feierte vor einigen Tagen seinen Geburtstag in Berlin. Aber was hat sie bislang erreicht?

Im Sommer vor zehn Jahren gab der Bundesrat sein »Ja« zu Hartz IV. Am selben Tag fand in Berlin ein Vernetzungstreffen von Organisationen statt, die seither für einen Gegenentwurf dazu kämpfen: ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), das die Existenz sichert, gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und einen individuellen Rechtsanspruch darstellt. Dieses Einkommen soll ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zu Arbeit oder andere Gegenleistungen garantiert werden. Mit dabei beim neuen Netzwerk Grundeinkommen: Arbeitslosen- und Sozialhilfeinitiativen, die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB), Teile der Bündnisgrünen und der PDS. Inzwischen hat es über 3700 Mitglieder, die mit politischen und künstlerischen Aktionen die Idee des Grundeinkommens verbreiten.

Dem ersten Netzwerkrat gehörte auch die jetzige LINKEN-Vorsitzende Katja Kipping an. Heute wie damals ist sie überzeugt »dass Freiheit, Demokratie und Solidarität nur auf der Grundlage einer garantierten materiellen Absicherung aller Menschen gedeihen«. Der Unternehmer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, trug die Idee in die Mitte der Gesellschaft, der ehemalige Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus sogar in die CDU. Susanne Wiest und 50 000 MitunterzeichnerInnen ihrer Petition zwangen den Bundestag im Jahr 2008, sich mit dem BGE zu beschäftigen. Im deutschsprachigen Raum gab es im vergangenen Jahrzehnt vier internationale Tagungen zum Thema Grundeinkommen. Das Echo in den Medien hielt sich bei alldem in Grenzen.

Meist wird das Grundeinkommen von PolitikerInnen und UnternehmerInnen als Sozialromantik abgetan. Für die Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, Regina Stiehler-Hinz, resultiert dies »aus der berechtigten Angst, Kontrollverluste hinnehmen zu müssen«. Die Wirtschaft verlöre die Kontrolle über die Arbeitnehmenden, da nicht mehr jeder noch so schlechte Job angenommen werden müsste. Die Politik, weil sich mehr Menschen einmischen könnten. Einen Vorgeschmack auf die Einmischung bot im vergangenen Jahr die Europäische Bürgerinitiative für ein Grundeinkommen, die von knapp 300 000 Menschen unterstützt wurde. Sie scheiterte zwar, führte aber zu einer neuen europaweiten Vernetzung der Grundeinkommensszene. In der Schweiz wird voraussichtlich 2016 eine Volksabstimmung zum BGE stattfinden.

Während es in vielen Ländern zumindest Pilotprojekte gibt, dümpelt das Modell in Deutschland vor sich hin. Das liegt nicht nur am Widerstand von Konservativen oder Wirtschaftsliberalen. Auch Gewerkschaften und ein großer Teil der gesellschaftlichen Linken tun sich schwer mit der Idee, jedem Menschen ohne Prüfung jeden Monat eine bestimmte Summe Geld zum Leben zu überweisen. Knackpunkt ist die Finanzierungs- und Umverteilungsfrage. Sie setzen eher auf Vollbeschäftigung und Arbeitszeitverkürzung zur Sicherung der Existenz durch Arbeit.

Aber auch innerhalb der Grundeinkommensszene selbst ist man sich ganz und gar nicht einig. Es gibt eine große Bandbreite von Modellvorschlägen. Sie unterscheiden sich in der Höhe des Einkommensbetrags, in den Finanzierungsquellen, in der Art und Größe der Einsparung anderer Transferzahlungen, im Verhältnis zu den Sozialversicherungen, bei arbeitsmarkpolitischen Regulierungen und in vielen weiteren Einzelheiten. Der Energieberater und Sozialwissenschaftler Ulrich Schachtschneider möchte beispielsweise ein Grundeinkommen über Öko-Abgaben finanzieren und so Grundeinkommens- und Ökobewegung zusammenbringen. Auch für WachstumskritikerInnen aus der neu entstehenden Degrowth-Bewegung böte das Grundeinkommen »ein gastliches Umfeld für ein Leben in einer vom Wachstumszwang befreiten Gesellschaft«, meint Schachtschneider. Denn es ermögliche das Ausprobieren nicht-konsumistischer Lebensstile.

Ronald Blaschke, der seit Beginn dem SprecherInnenrat des Netzwerks Grundeinkommen angehört, plädiert für eine schrittweise Einführung des BGE über eine Grundsicherung für Kinder und Jugendliche, die Einführung eines Bildungsgeldes, einer Sockelrente, sowie für die Abschaffung von Hartz IV-Sanktionen und Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld. Wesentlich unbürokratischer wäre es jedoch, zunächst für alle ein BGE in nicht Existenz sichernder Höhe einzuführen und dieses dann schrittweise anzuheben. Diesen Weg wollten die Grünen gehen. Auf der Bundesdelegiertenkonferenz erhielt im Jahr 2007 ein Antrag aus Baden-Württemberg, der ein BGE von 420 Euro vorsah, immerhin 40 Prozent der Stimmen. Damit aber war das Thema bei den Bündnisgrünen zunächst erledigt. Doch Ende August kursierte bei den Grünen ein links-libertäres Papier mit dem Titel »Grüner Neuaufbruch«, in dem auch ein Systemwechsel hin zum BGE gefordert wird.

Die LINKE zeigt sich bei dem Thema besonders gespalten. BefürworterInnen wagten nach dem Scheitern bei den Grünen keine offene Abstimmung. In diesem Jahr stand das Bedingungslose Grundeinkommen erstmals beim Bundesparteitag auf der Tagesordnung. Internationale Gäste und ExpertInnen waren geladen. Doch wenige Stunden vorher wurde der Punkt - offiziell aus Zeitgründen - gestrichen. Nun soll die Debatte im nächsten Jahr nachgeholt werden.

Vielleicht würde es helfen, wenn sich alle BGE-BefürworterInnen in einer Partei organisieren würden, wie Felix Werdermann in der Wochenzeitung »Freitag« rät. Sie könnten aber auch mit dem Opportunismus von PolitikerInnen rechnen und alle Kraft darein setzen, die Idee populärer zu machen. Nach zehn Jahren Netzwerk Grundeinkommen ist die Grundeinkommensszene breiter verankert als je zuvor. Sie feiert sich selbst. Zurecht. Aber viel mehr gibt es im Augenblick auch nicht zu feiern.

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