Systemrelevant

Tom Strohschneider über einen Versuch des Finanzamtes Frankfurt, das Netzwerk Attac mundtot zu machen

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Methode, zivilgesellschaftliche Organisation, die sich kritisch in öffentliche Diskussionen einmischen und dabei auch einmal eine für die gerade Herrschenden unangenehme Forderung stellen, mit den Mitteln des Steuerrechts in Existenznot und damit zum politischen Schweigen zu bringen, kennt man von Ländern, an deren demokratischer Substanz Zweifel bestehen.

Nun hat das Finanzamt – ausgerechnet das der Bankenmetropole Frankfurt am Main – dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit abgesprochen und damit jenen Verein, der die Forderung nach einer längst überfälligen Finanztransaktionssteuer hierzulande popularisierte, vor ernste Probleme gestellt. Über 90 Prozent der Finanzierung von Attac erfolgt über Spenden. Sind diese nicht mehr abzugsfähig, gehen die so eingeworbenen Mittel nach der Erfahrung ähnlicher Fälle deutlich zurück. Aber auch kapitalismuskritische Arbeit kostet im Kapitalismus Geld.

Der Fall ruft nicht nur deshalb Empörung hervor, weil der Gedanke nahe liegt, hier werde im Hintergrund politisch agiert. So hat es unter anderem ein SPD-Politiker vermutet – ein sozialdemokratischer Finanzfachmann aus Hessen übrigens. Und die steuerrechtliche Attacke auf Attac erfolgt ja auch ausgerechnet in jener Zeit, da das Netzwerk, um das es etwas stiller geworden war zuletzt, in den Protesten gegen die umstrittenen Freihandelsabkommen wieder etwas aufblüht. Im November will Attac auf einem Ratschlag »eine Debatte darüber führen, was wir der völlig verfehlten Krisenbewältigungspolitik der EU und unserer Regierung entgegensetzen können«, will nach Wegen »zu einer sozial-ökologischen Transformation« suchen und beantwortebn, was »unsere Möglichkeiten der politischen Intervention« sind.

Das und noch mehr gerät mit der Entscheidung des Finanzamtes mindestens unter Druck. Der Fall wirft zudem auch ein Schlaglicht auf eine zentrale Frage einer demokratischen Gesellschaft: Was hält diese für gemeinnützig? Hier geht es nicht nur um eine Auslegung der Abgabenordnung, deren Paragrafen in langen Aufzählungen etwa die Förderung des Tierschutzes, die Rettung von Leben oder den Schutz der Ehe als Aktivitäten anerkennt, die der Allgemeinheit dienen sollen. Im Fall Attac geht es um die Frage, welche Form des politischen Engagements und der Einmischung in öffentliche Belange im Wortsinne gemeinnützig sind. Anders gesprochen: Was braucht eine res publica um mehr zu sein als bloße Verwaltung von Staatsbürgern?

Wenn hier nun eine Finanzbehörde in den Aktivitäten von Attac – das Netzwerk macht Bildungsarbeit, organisiert öffentliche Interventionen, mischt sich in politische Entscheidungen ein, befähigt Menschen, dies auch selbstbestimmt zu tun – nicht einmal eine (anerkannt gemeinnützige) Förderung des demokratischen Staatswesens erkennen möchte, lässt das eine grundlegende Missachtung zivilgesellschaftlicher Aktivität erkennen – also ein steuerrechtlich verbrämtes Unverständnis darüber, was eine Demokratie dazu braucht, um eine zu sein.

Der nun laut Attac erhobene Vorwurf des Finanzamtes, das Netzwerk könne nicht mehr als gemeinnützig anerkannt werden, weil es allgemeinpolitische Ziele verfolgt, ist nicht nur logisch absurd. Er steht in einer fragwürdigen Tradition: Man kennt Versuche, politischen Widergeist und kritisches Engagement mit der Keule formaler Grenzziehungen einzuschüchtern etwa von den Versuchen, die ASten an den Universitäten zu reinen Verwaltungsgremien angeblich »neutraler« studentischer Belange zu machen.

Bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung des Finanzamts keinen Bestand hat. Denn Attac ist systemrelevant, weil es mit seiner Kritik hier und da bis an die Grenzen des Systems vorstößt – und damit den Gedanken wachhält, dass noch grundlegende Änderungen in der Gesellschaft nötig sind, damit deren selbst gesteckte Maßstäbe von Gerechtigkeit, gutem Leben, Freiheit und so fort Realität werden können.

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