Vom Freund Spaniens zum Feind

Der katalanische Regierungschef Artur Mas verscherzt sich alle Sympathien.

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei Schritte vor, einer zurück. Auf diese Formel kann die Politik des katalanischen Regierungschefs Artur Mas gebracht werden. Von einem verlässlichen Partner mutierte der 58-jährige liberalkonservative Christdemokrat in einem Jahrzehnt quasi zum Staatsfeind. Da er als Gefahr für die Einheit Spaniens gilt, wird Mas bisweilen schon Verhaftung angedroht. Denn seit zwei Jahren versucht sich der Chef der Konvergenz und Einheit (CiU) an die Spitze der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu stellen.

Der 1956 in Barcelona geborene Mas trat früh der Demokratischen Konvergenz Kataloniens (CDC) bei. Er zog 1987 in den Stadtrat ein. Unter dem katalanischen Patriarchen Jordi Pujol stieg er 1995 ins katalanische Parlament auf und wurde 1997 Wirtschaftsminister. Als er den Posten 2001 aufgab, um als »Conseller en Cap« zweiter Mann der Regierung zu werden, galt die Nachfolge von Pujol als vorgezeichnet. Vor elf Jahren übernahm er dann die Führung der CDC und damit auch des Bündnisses CiU, das mit der schwächeren Demokratischen Union (UDC) gebildet wird.

Statt die Regierungsgeschäfte von Pujol zu übernehmen, verlor die CiU mit Mas erstmals seit 1980 die Macht in der wirtschaftlich starken Region. Als sie einst die Regierung nach der Franco-Diktatur übernahm, lernte Mas gerade Helena Rakòsnik kennen und heiratete die Frau mit Wurzeln in Tschechien 1982. Dass 2003 die Linke Wahlsieger wurde, war eine bittere Pille für den Vater von drei Kindern. Das lag vor allem daran, dass die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) ihren Stimmenanteil auf 17 Prozent fast verdoppeln konnte.

Mas, ältester Sohn einer bürgerlichen Familie der Textilindustrie, zeigte sich als gewiefter Stratege. Der Volks- und Betriebswirtschaftler trat zwei Schritte vor. CiU brachte sich in der Opposition konstruktiv in die Debatte um das neue Autonomiestatut ein, die von der neuen Regierung einer Linkskoalition von ERC, der linksgrünen Initiative für Katalonien (ICV) und der katalanischen Sektion der spanischen Sozialisten (PSC) geführt wurde. Die PSC stellte als stärkster Koalitionspartner mit Pasqual Maragall den Premier. Es ging vor allem um die Anerkennung Kataloniens als Nation, eine Ausweitung und Absicherung von Autonomie- und Sprachenrechten und eine bessere Finanzierung der unterfinanzierten Region.

Als die Verhandlungen mit den regierenden spanischen Sozialisten (PSOE) stockten, reiste Mas in die spanische Hauptstadt. Hinter dem Rücken der von PSC geführten katalanischen Regierung trat er einen Schritt zurück. Er einigte sich mit dem damaligen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero auf ein verwässertes Statut. Der Strippenzieher führte die Linksparteien vor. Aus der Opposition trat er wie ein Regierungschef auf, da die PSOE immer wieder in Madrid die Stimmen der CiU benötigte. Die katalanische PSC schluckte das neue Dokument auf Druck aus der Madrider Zentrale.

Die Linkskoalition zerbrach, denn die ERC trat aus, da sie sich von den Sozialisten hintergangen fühlte. Vorgezogene Neuwahlen gewann Mas 2006 zwar mit 31,5 Prozent, dennoch kam es zur Neuauflage der geschwächten Linkskoalition.

Mas legte nach. Er konnte den Sozialisten sogar vorwerfen, dass in Madrid »sein« Autonomiestatut von denen noch weiter »abgehobelt« wurde, die auch in Barcelona regierten: den Sozialisten. Das gab der Präsident der Verfassungskommission Alfonso Guerra (PSOE) offen zu.

2010 wurde sein Traum wahr, CiU gewann mit gut 38,5 Prozent die Wahlen und Mas wurde Präsident der »Generalitat«. Doch Mas war sofort mit Unmut konfrontiert, da das spanische Verfassungsgericht das eigene Finanzierungssystem gekippt hatte, und nicht einmal mehr im Vorwort des Statuts durfte Katalonien unverbindlich Nation genannt werden. Das war der Wendepunkt, der viele Katalanen zu Verfechtern der Unabhängigkeit machte.

Die Klage hatte die spanische Volkspartei (PP) eingereicht, die Mas in Katalonien stützte, wie seine CiU früher auch PP-Regierungen in Madrid gestützt hatte. Als die rechten Nationalisten 2011 die Macht in Spanien übernahmen, konnte er trotz guter Beziehungen die Finanzierung Kataloniens nicht verbessern. Ministerpräsiden Mariano Rajoy weigerte sich beharrlich, mit ihm auch nur darüber zu verhandeln. Die PP höhlte gleichzeitig über Landesgesetze Autonomie- und Sprachrechte aus, was zur Massenmobilisierung der Unabhängigkeitsbewegung führte.

Als Millionen für »Katalonien als neuen Staat in Europa« demonstrierten, ging Mas erneut zwei Schritte vor. Er setzte 2012 vorgezogene Neuwahlen an, um sich das Plazet für ein Referendum über die Unabhängigkeit nach Vorbild Schottlands zu holen. Er verlor zwar viele Stimmen an die ERC, blieb aber mit ihrer Unterstützung Präsident. Als kürzlich das Verfassungsgericht das Unabhängigkeitsreferendum verbot, ging er erneut seinen Schritt zurück und blies es einseitig ab, obwohl er sich mit der ERC, der ICV und der linksradikalen CUP darauf geeinigt hatte und stets bekräftigte, es gäbe keinen »Plan B«. Stattdessen will er nun am 9. November nur noch eine unverbindliche Befragung durchführen. Die hat bis dato keine juristische Grundlage und wird von den Katalanen mehrheitlich als Muster ohne Wert eingeschätzt. Mas steht vor einem Scherbenhaufen.

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