Made in Europe: Schmelztiegel der Steinzeitkulturen

Genetischer Vergleich bestätigt drei frühe Einwanderungswellen. Von Andreas Knudsen

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 5 Min.

Große Sportereignisse und der Eurovision Song Contest sind sicher die besten Gelegenheiten für die Europäer, ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede zu studieren. Dabei wird man leicht konstatieren, dass wir uns einerseits sehr ähnlich sind, aber charakteristische Züge sich relativ einfach geografisch gruppieren lassen. Bleibt die Frage, warum das so ist. Diese hat die Genetiker seit dem Durchbruch der DNA-Technologie beschäftigt und die Entdeckungen der letzten Jahre beginnen ein deutliches Bild zu zeichnen, woher die heutigen Europäer kamen. Kürzlich veröffentlichte ein internationales Wissenschaftlerteam im Fachjournal »Nature« (Bd. 513, S. 409) Untersuchungsergebnisse, die das Bild von der Entstehung der modernen Europäer verändern dürften.

Vor rund 8000 Jahren - in der mittleren Steinzeit - besiedelten nicht nur viele Pflanzen und Tiere das von den zurückweichenden Eiszeitgletschern geräumte Gebiet, auch die ersten Gruppen des Homo sapiens begannen hier zu jagen und Wildfrüchte zu sammeln. Das relativ warme Klima sicherte ihnen gute Lebensbedingungen und eigentlich gab es keinen Grund für große Änderungen. Diese kamen hingegen von außen, als sich aus dem südwestlichen Asien, genauer gesagt dem Gebiet der heutigen Türkei, größere Menschengruppen auf den Weg nach Nordwesten machten. Über die Balkanhalbinsel drangen sie langsam, aber stetig vor. Sie folgten oftmals den Flussläufen, an deren Ufern die neuen Siedler günstige Bedingungen für ihr Leben vorfanden. Denn im Gegensatz zu den Jägern der ersten Besiedlungswelle folgten sie nicht dem Wild, sondern waren auf der Suche nach neuem Ackerland, das in ihrer bisherigen Heimat knapp geworden war. Das mag in einer Zeit, wo Ackerbauern der Inbegriff der Sesshaftigkeit sind und ein Bauer viele Menschen ernährt, paradox klingen. Doch die recht junge Landwirtschaft produzierte sich ihre erste Krise selbst. Das Nahrungsangebot wurde zwar einförmiger als das der schweifenden Jäger und Sammler, aber dafür stabiler und größer. Die Folge: eine wachsende Bevölkerung, die mit den vorhandenen Methoden nicht mehr genug Land zur Bearbeitung vorfand.

Der Bosporus war in jener Zeit kein Hindernis, denn damals bestand zwischen Schwarzem Meer und Ägäis noch eine durchgehende Landbrücke. Im Laufe der Generationen vermischten sich die Neuankömmlinge mit der angestammten Bevölkerung. Was diese von den Fremden hielten, die sich im Schweiß ihres Angesichts mühten, die Erde umzuwühlen, um dann darauf zu warten, dass unbekanntes Gras darauf wächst, wissen wir nicht. Wenn man eine Analogie zu modernen Zeiten zieht, wird es vermutlich eine Mischung von Erstaunen und Belächeln gewesen sein - bis neues, wohlschmeckendes Essen, höherer Komfort der fest siedelnden Bevölkerung und die Luxuswaren, die sie produzierten, zur Nachahmung anspornten.

Die Forschergruppe untersuchte das DNA-Material von neun Individuen, um dem europäischen Mix auf die Spur zu kommen. Sie wählten dazu das 8000 Jahre alte Skelett eines Jägers, das in einer Höhle in Luxemburg gefunden wurde, das 7000 Jahre alte Skelett einer Frau aus der Nähe von Stuttgart, die zur agrarischen Linearbandkultur gehörte, und sieben Skelette von Jägern, die vor 8000 Jahren in der Gegend des schwedischen Molata lebten. Aus den Genen des Luxemburgers konnten die Forscher herauslesen, dass dessen Vorfahren aus einer relativ kleinen Gruppe kamen, was auf einen evolutionären »Flaschenhals« in dieser Entwicklungslinie hindeutet. Aus den Genen der Stuttgarterin konnte hingegen abgelesen werden, dass sich schon Generationen vor ihr Menschen der ursprünglichen Jägerbevölkerung und solche mit Wurzeln im Nahen Osten vermischten. Der Luxemburger hatte wahrscheinlich blaue oder zumindest helle Augen, während die Stuttgarterin braune hatte. Während der Luxemburger noch eine ziemlich dunkle Hautfarbe hatte, wiesen die Individuen aus Molata und Stuttgart bereits die für heutige Europäer charakteristische helle Hautfarbe auf.

Doch während die Einwanderung von Jägern und später Bauern nach Europa in zwei Wellen schon lange bekannt ist, enthüllen die Skelette von Molata ein weiteres Geheimnis. Ihre Gene verweisen auf eine dritte Einwanderungswelle aus dem nordöstlichen Sibirien. Diese war bisher nicht bekannt. Die Analyse des Skeletts eines Jungen, der vor 24 000 Jahren unweit des Baikalsees beim sibirischen Ort Malta beigesetzt worden war, hatte gezeigt, dass Europäer und Indianer einen Teil ihres Genmaterials teilen. Die Gene der Molata-Skelette füllen nun einen Teil der Lücke zwischen den modernen Europäern und ihren fernen sibirischen Verwandten. Diese Gruppe spaltete sich in den folgenden Jahrtausenden mehrfach auf. Eine von ihnen ließ sich nach dem Ende der Eiszeit im heutigen Skandinavien nieder.

Die Verwandtschaftsverhältnisse der heute lebenden Europäer mit ihren Steinzeit-Ahnen wurden mit Hilfe des Erbmaterials von 2400 Individuen, die heute über den ganzen Kontinent verstreut leben, geklärt. Angesichts der Mobilität, die damalige Europäer auszeichnete, ist es keine Überraschung, dass sämtliche untersuchten Europäer von heute genetische Merkmale aller drei Gruppen von Steinzeit-Neusiedlern in sich tragen. Lediglich der prozentuale Anteil ist unterschiedlich und liegt zwischen 20 und 80 Prozent der einen oder anderen Gruppe und erklärt, warum ein Schwede sich äußerlich so stark von einem Griechen unterscheidet.

Die Gentechnologie liefert allerdings auch Hinweise auf eine weitere, spätere Gruppe von Einwanderern. Finnen, Samen und Mordwinen stammen vermutlich von Menschen ab, deren Wurzeln im sibirischen Osten zu suchen sind. Malta und Sizilien passt ebenfalls nicht ins Bild der beständigen Vermischung, denn die Gene der meisten Inselbewohner deuten auf eine spätere Besiedlung direkt aus dem Nahen Osten hin. Moderne Europäer sind sie gleichwohl und der nächste Eurovisionsjahrgang wird nicht nur einen neuen Mix Popmusik vorstellen, sondern wie gewohnt auch die Palette der europäischen Bevölkerung präsentieren.

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