Ein Kaninchen namens Ramelow

Jahr für Jahr aufs Neue: Im Mehringhoftheater moderiert Angela Merkel den kabarettistischen Jahresrückblick

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Frage ist: Trägt er dieses Jahr wieder sein rotes Hemd? Die Antwort lautet: Ja, er trägt dieses Jahr wieder sein rotes Hemd. Es gibt sie also noch, die wenigen Dinge, auf die man sich verlassen kann. Die Rede ist von dem Bestsellerautor und Lesebühnenprofi Horst Evers - der sich diesen schönen Künstlernamen einst gegeben hat, weil er in einer Gemeinde namens Evershorst geboren ist - und seiner Vorliebe für die oben genannte Hemdenfarbe. Traditionell bevorzugt er auf der Bühne als Hauptkleidungsstück ein rotes Herrenoberhemd, während er in der bewährten Art und Weise - die Augäpfel starr hervortreten lassend, behutsam Kunstpausen vor den Pointen setzend - seine Texte zum Vortrag bringt.

Wie jedes Jahr um diese Zeit steht er auch dieser Tage wieder mit dem sogenannten Jahresendzeitteam auf der kleinen Bühne des Kreuzberger Mehringhoftheaters: dem Schriftsteller und Blogger Bov Bjerg, dem Chansonsänger Manfred Maurenbrecher und den Kabarettisten Christoph Jungmann und Hannes Heesch, der als Parodist in die Rollen verschiedener Politiker schlüpft und mittlerweile ein ansehnliches Repertoire aufzuweisen hat (Wowereit, Gauck, Müntefering, Stoiber, Schröder, Helmut Schmidt u.a.).

Verlassen kann man sich auch darauf, dass wie jedes Jahr Angela Merkel (C. Jungmann) unbeschwert plaudernd durchs Programm führen wird, wie immer erkennbar an ihrer schlammfarbenen Faschingsperücke und dem unvermeidlichen Blazer in Altrosa oder Pfirsich.

Ungewohnt dagegen ist das unerwartete Erscheinen von Ursula von der Leyen (H. Heesch), die - bekleidet mit einer Weste in Tarnfarben bzw. »Camouflage-Optik« - gleich zu Beginn des Abends das Publikum darüber in Kenntnis setzt, wie sie die Bundeswehr zu modernisieren beabsichtigt: unter anderem nämlich, indem neue, geeignete Einsatzorte für moderne Bundeswehrflugzeuge gefunden werden, das Militärhistorische Museum in Gatow etwa oder das Luftfahrtmuseum Wernigerode.

In rascher Folge werden dann weitere Themen des Jahres und die zugehörigen Problembären abgefertigt: Flughafenchaos, Eisenbahnerstreik, Ukraine-Krise, Mauerfalljubiläum, Wolf Biermann. Und natürlich der Systemwechsel in Thüringen. Dort nämlich ist neuerdings - nachdem über viele Jahrzehnte hinweg »die CDU an der Macht beteiligt« war, zwar »mit wechselnden Partnern«, aber immerhin schon »seit 1949« - nun überraschend »plötzlich Stalin wieder an der Macht. Er nennt sich jetzt ›Bodo Ramelow‹«, so klärt Bov Bjerg das ahnungslose Publikum auf. »Die pure Verharmlosung! Bodo Ramelow, so nennt eine Achtjährige ihr Kaninchen!« Doch unter diesem Decknamen ist es dem Kerl, »getarnt als ein gläubiger evangelischer Einzelhandelskaufmann aus Niedersachsen«, gelungen, die Macht in Thüringen an sich zu reißen. »An dieser perfiden Tarnung kann man sehen, wie gefährlich diese Stalinisten immer noch sind. Kann nicht mehr lange dauern, dann errichten sie auf der Wartburg einen Zwangsbibelkreis, und im Kirchturm von Zeulenroda stationieren sie sowjetische Mittelstreckenraketen.«

Horst Evers indes sinniert darüber, wie es wohl wäre, wenn analog zur dieses Jahr Schlagzeilen verursacht habenden »Scharia-Polizei« im Berliner Stadtteil Wedding eine »Etikette-Polente« auf Streife geschickt würde: »Sie können hier nicht ohne Bierflasche sitzen! Sie müssen schon ein bisschen Integrationsbereitschaft mitbringen!«

Der »kabarettistische Jahresrückblick«, den es in dieser Form nun seit bald zwei Jahrzehnten gibt, hat Tradition: Die spezifische Mischung aus satirischen Kommentaren zum Zeitgeschehen, Politikerparodien, Klamauk, Spottliedern und Chansons, die da von den beiden theatersportgestählten Springinsfelden (Jungmann, Heesch) gemeinsam mit einstigen Lesebühnengrößen (Bjerg, Evers) und dem Liedermacher Maurenbrecher unverdrossen Jahr um Jahr auf die Bühne gebracht wird, gibt es so nirgendwo anders und hat vor allem zweierlei, das andere Kabarettprogramme oft nicht haben: den Charme des Halbimprovisierten und Spontaneistischen und eine oft die Grenzen des Genres auslotende Spielfreude der Darsteller und Vortragenden. Auch deshalb ist wohl der kleine Saal an jedem Jahresende aufs neue brechend voll.

Andererseits versorgen die Künstler auch bereitwillig ein sich äußerst amüsierwillig gebendes und jederzeit zustimmungsbereites, sich linksliberal dünkendes Publikum mit Witzen, das wiederum auch über die eine oder andere eher flaue Pointe dankbar lacht. Zuweilen hat man den Eindruck, ganze Wagenladungen von DGB-Funktionären und ganze SPD-Ortsverbände werden vor dem Theater ausgeladen und hernach hineingeleitet.

Zwar sind die Stuhlreihen stets so eng aneinandergestellt, dass das bloße Dasitzen zur abendfüllenden Anstrengung wird. Und wer keinen Sitz am Rand erwischt hat, ist mindestens eine Stunde, bis zur Pause, zwischen Stuhllehnen und den Oberschenkeln und Rümpfen seiner Sitznachbarn eingekeilt. Doch das nehmen alle klaglos hin. Schließlich werden hier auch die besten Witze zum deutschen Sieg der Fußballweltmeisterschaft 2014 erzählt. Unter anderem vom obersten Bundesgrüßaugust Gauck, den Hannes Heesch - mit förmlich ins Gesicht gefrästem falschem Dauerlächeln und ununterbrochen salbungsvolles Geschwätz absondernd - als schmierigen, grenzenlos selbstverliebten Lackaffen gibt: »Merkel und ich haben diesen WM-Sieg doch gar nicht gefeiert. Wenigstens nicht im Spiegelsaal von Versailles.«

Und nicht zu vergessen: Jetzt, wo dieses Jahr doch eine kleine Raumsonde erfolgreich auf einem fernen Kometen gelandet ist, muss eine Frage wenigstens erlaubt sein: »Hmm. Auf dem Kometen ›67P/ Tschurjumow-Gerassimenko‹ oder auf einer Flughafenbaustelle in Brandenburg? Wo sind die Chancen, auf intelligentes Leben zu treffen, größer?«

Kabarettistischer Jahresrückblick 2014. Die Vorstellungen im Mehringhoftheater sind bis 11.1. ausverkauft. Karten gibt es nur noch für das Theater am Kurfürstendamm: 14.1.-18.1., 20 Uhr, 17., 18.1. auch 16 Uhr.

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