Die Wut des Kochs

Über banale und nicht so banale Kränkungen

  • Schmidbauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor vielen Jahren fiel mir die Rolle des alleinerziehenden Vaters in den Schoß oder vielleicht auch auf den Kopf; es war eine lehrreiche Umstellung, die mich für alle Zeiten von jeder Geringschätzung der Mühe befreite, die ein Haushalt mit Kindern verursacht. Als Selbstständiger konnte ich meine Arbeit so organisieren, dass ich ab Mittag Zeit hatte, ein Essen für zwei Schülerinnen zuzubereiten. Meine Töchter spotten noch heute, selten und gutmütig, über die Qualität meiner Küche. Ich sage mir dann im Stillen, dass es meine Dosenravioli waren, die indirekt dazu beitrugen, dass beide ausgezeichnete Köchinnen wurden.

Die Dosenravioli waren der einfallslose Tiefpunkt meiner Künste; es ist an sich unfair, an sie zu erinnern, aber wenn in einer Familie gerne gelacht wird, werden nur ungern Pointen verschenkt. Jedenfalls gab ich mir Mühe, mit Kurzgebratenem und Schnellgekochtem, Pasta, Risotto ... Und immer, wenn mir etwas gut gelungen war und die Kinder pünktlich am Tisch hätten sitzen müssen, verspäteten sie sich. Manchmal kamen sie gar nicht, waren mit einer Freundin mitgelaufen und hatten bei deren Eltern gegessen.

Ich kann heute noch fühlen, wie damals die Wut in mir wuchs und sich staute. Es war die Zeit vor dem Mobiltelefon, es gab nichts zu tun, außer zu warten und sich zu ärgern. Ich erinnere mich nun aber nicht, auch nur ein einziges Mal das Vernünftige getan zu haben: mich hinzusetzen, dankbar zu sein, dass wenigstens ich eine warme, gut zubereitete Mahlzeit habe, sorglos die Kinder den Konsequenzen zu überlassen, dass abgekühltes und wiederaufgewärmtes Essen nicht besonders schmeckt.

Solche Erfahrungen machen bescheiden, was die menschliche Fähigkeit angeht, das kleinere Übel zu wählen, wenn der Traum vom Guten platzt. Dann lieber gar nichts! Dann lieber warten, bis alle schlecht gelaunt ein schlechtes Essen verzehren und statt Käse über heiße Nudeln Missvergnügen über kalte Teller reiben! Es wäre doch trivial, egoistisch, sich einfach alleine hinzusetzen! Vergnügt zu genießen, würde obendrein den Vorwürfen die Wucht nehmen, die sich gegen die Verspäteten richten, würde das pädagogische Ziel in die Ferne rücken, dass so etwas nie wieder vorkommen wird! Der verstörte, vergrämte, sich entwertet fühlende Koch wird durch seine tiefe Kränkung, sein nicht zu übersehendes Leid alle überzeugen, ihm nie wieder die Szene zu rauben, deren Restmöglichkeiten er jetzt entschlossen sich und den Kindern verdirbt: dass alle um den Tisch sitzen und gut finden, was er gemacht hat.

Solche trivialen Beispiele, die sich in meinen Erinnerungen aufblähen (»wir sind fast immer pünktlich gewesen«, erinnern sich die Töchter), illustrieren enttäuschte Erwartungen in bedrängten Familien. Je weniger Kontakte noch als haltgebend erlebt werden, desto höher werden die Ansprüche, desto starrsinniger wird an ihnen festgehalten, desto geringer die Chancen, nach dem kleineren Übel zu suchen und es zu finden.

Solange zwei Eltern da sind, die gut miteinander können, wird eine kleine Krise wie das Zuspätkommen der Kinder zum Essen entschärft. Sie verliert die Qualität, die sie in meinem Fall hatte. Glückliche Familien erleben täglich das ein oder andere Problem; in traumatisierten gibt es nur Harmonie oder Katastrophe.

Ich habe die Erinnerungen an meine Wut als Koch in glücklicheren Zeiten nicht verdrängt, sondern festgehalten. Die Gefühle von damals vertiefen meine Einfühlung in die Not der Patientinnen und Patienten, vor allem in der Paartherapie. Die Arbeit als Familientherapeut konfrontiert immer wieder mit der Einsicht, dass die Kleinfamilie ein riskantes Ding ist, ein System an der Grenze zur Überlastung. Wenn ein Mitglied nicht mehr funktioniert, wenn nicht Dritte da sind, die für Ausgleich sorgen, dann wird es mühsam, Kränkungen zu verarbeiten. Und je höher die Erwartungen werden, die sich angesichts von Frust und Verlust aufbauen, desto schneller die Enttäuschung, desto tiefer der Sturz.

Und gleichzeitig - auch das ist eine Erinnerung an die Zeit als Alleinerziehender - entwickeln sich in Familien Kräfte der Selbstheilung. So fühlte ich mich verpflichtet, den Töchtern Frühstück zu machen, ehe ich sie in die Schule schickte. Gern tat ich das nicht, ich bin keine Lerche. Aber ich bemühte mich schlaftrunken, bis ich hörte: »Papi, bleib lieber im Bett, wir kommen zurecht!«

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