Digitale Sittenkunde

Streit um Foto im Netz

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit der Provokation in der Mediengesellschaft ist das so eine Sache. Betreibt man sie mit Stil, ruht darin ein aufklärerischer Keim. Betreibt man sie um ihrer selbst Willen, wird Provokation schnell mal zum aggressiven Akt. Wer wüsste das besser als Jan Böhmermann, dieser provokante Seiltänzer auf dem schmalen Grat zur Kriegserklärung.

Auf Twitter hat der Moderator kurz vor seiner neuen Show im ZDF, die doch eher Gebrauchtware vom Ableger Neo ist, ein Bild gepostet, das vermutlich jeder kennt, der Rostock-Lichtenhagen nicht für ein Lampengeschäft hält. Es zeigt einen Alltagsfaschisten im Nationalmannschaftstrikot jener Tage, der sich während der rassistischen Angriffe aufs berühmte Sonnenblumenhaus vor lauter Ausländerhass beim Hitlergruß in die Hose gepisst hat. Dieses Foto wurde in den vergangenen 22 Jahren so oft auf allen Kanälen verbreitet, dass man glatt den Fotografen vergessen könnte, der naturgemäß hinter der Kamera steht. Er heißt Martin Langer und lebt nach menschlichem Ermessen davon, sich die Veröffentlichung seiner Werke honorieren zu lassen. Und wie!

Denn Böhmermann bekam bald nach dem bebilderten Tweet Post von Langers Anwalt mit der sachlichen Bitte, 1000 Euro inklusive Abmahngebühren zu überweisen. Mit freundlichen Grüßen, blablabla. Das hätte der umtriebig Fernsehberserker nun zähneknirschend akzeptieren und dem Urheberrecht gemäß bezahlen können, das in diesem Punkt unstrittig ist. Doch Böhmermann wäre nicht Böhmermann, würde er der Ausgangsprovokation nicht eine Anschlussprovokation folgen lassen, die die Grenze zum aggressiven Akt bewusst überschreitet.

Denn der fraglos medienrechtskundige Tageszeitungsjournalist aus Bremer Tagen hat den entsprechenden Postverkehr komplett auf Twitter verbreitet, auf jener Plattform also, auf der ihm die Abmahnung gewissermaßen bessere Manieren beibringen sollte. Das nun führte zu dem, was kommen musste: einem genüsslichen Hickhack um Deutungshoheiten, Persönlichkeitsrechte, digitale Sittenkunde und das, was im Netz erlaubt ist oder nicht. Und letztgenanntes, keine Frage, debattiert nun fröhlich mit.

An diesem - manche mögen sagen: kleinlichen Streit - entspinnt sich schließlich eine äußerst notwendige Diskussion darüber, wo kommerzielle Nutzung beginnt und wo bloßes Mitteilungsbedürfnis endet, was also mehr so nebenbei gepostet wird, als schmückendes Beiwerk belanglosen Gezwitschers, und was sich im Bereich journalistischen Sendungsbewusstseins abspielt, also kostenpflichtig ist. Die Netzgemeinde der Blogger und Plattformsurfer, das zeigt sich seit Mittwoch überall im Netz, ist da naturgemäß gern auf der Seite des honorarfrei Verbreitenden; Experten sehen das schon etwas differenzierter. Der Berliner Rechtsanwalt Robert Golz zum Beispiel fordert folglich, die Rechtsgrundlage auf den beiläufigen Verbreitungsbedarf sozialer Netzwerke hin zu überarbeiten.

Die Debatte muss weitergeführt werden. Denn dass jeder im Netzwerk Gefahr läuft, horrende Honorarforderungen zu bekommen, ist ebenso unhaltbar wie das Denken der »Generation alles umsonst«, Urheberrechte seien was für Kapitalisten und Spießer.

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