Werbung

Raus aus der Windel, rein in die Schauspielschule

Wer sein Kind bei einem Fußballverein anmeldet, sollte damit rechnen, dass es schon früh einen flexiblen Umgang mit den Fairplay-Regeln lernt. Doch wer sich die Entscheidungen der Bundesliga-Schiedsrichter anschaut, kann die Jugendtrainer nicht mehr kritisieren.

Wer nicht wissen will, wie Cristiano Ronaldo, Pierre-Emerick Aubameyang und andere Hollywood-Größen ihren Torjubel zelebriert, sollte keinesfalls in diesen Frühlingstagen an einem Spielplatz vorbeigehen. Er sieht sonst lauter Kinder und Pubertierende (das sind die, die zwischen den Ballkontakten des Rasen vollspucken), die sich nach jeder vergebenen Chance wild die Haare raufen und nach den Treffern die bizarrsten Jubelarien vollführen. Jeder Jugendtrainer, der noch ganz bei Trost ist, müsste die Kids wegen erwiesener Teamunfähigkeit also eigentlich aus der Mannschaft schmeißen.
Doch er wird einen Teufel tun. Zum einen hätte er dann keine Spieler mehr. Zum anderen tun die lieben Kleinen ja nichts anderes als das nachzuäffen, was sie bei den Großen sehen.

So viel zur Folklore. Nun zum Ernst des Lebens. Denn das, was aus der Glotze ins echte Leben träufelt, hat echte Konsequenzen.

Eine nicht repräsentative Umfrage im verkinderten Freundeskreis ergab ein einhelliges Stimmungsbild: ja, alle 6-, 7- und 8-Jährigen, die in irgendwelchen Jugendmannschaften der Region Fußball spielen, werden von ihren Trainern darauf geeicht, dass sie gut daran tun, sich bei einer Berührung durch den Gegenspieler sofort fallen zu lassen. Der Schiedsrichter, heißt es, pfeife sonst kein Foul.

Als Menschen, die in ihrer Eigendefinition alles tun, um das dämliche Wort »Gutmensch« zu umgehen, haben wir alten Leute daran natürlich zu knabbern. Die unschuldigen kleinen Wesen schon so früh auf Lug und Betrug zu polen, wo sie doch bitteschön die reine große Freude am Kicken zelebrieren sollen, daran muss man sich natürlich erstmal gewöhnen.

Meine Betrugs-Eingewöhnungsphase dauert nun schon seit zehn Wochen. Zehn Wochen, in denen ich etwa 20 Profi-Fußballspiele live im Stadion und viel zu viel Lebenszeit bei Glotzen-Fußball verbracht habe. In der ganzen Zeit habe ich – okay, zum Teil nach diversen Wiederholungen – dutzende Fehlentscheidungen gesehen, bei denen der Schiedsrichter danebenlag, weil er auf einen theatralischen Sturz hereinfiel. Und ich habe nicht einen einzigen Elfmeterpfiff gesehen, der gegeben worden wäre, weil ein Spieler beim Torschuss gehindert wurde, ohne sich in die Lüfte zu begeben.

Die Frage nach dem Ei und den Huhn stellt sich also dringend: Bringen die Bambini-Trainer ihren Kids das Schummeln und Betrügen bei, weil die Profi-Schiedsrichter so schlecht sind? Oder haben es die Profi-Schiedsrichter so schwer, weil die Delinquenten von Kindesbeinen an zu perfekten Schauspielern erzogen werden?

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal
Mehr aus: Sonntagsschuss